Aus der Gründungszeit der taz: Hierarchie? Nö.
Die Gründungs-taz in Hamburg kannte keine Chefs. Es war eine selbstbestimmte und sich selbstverwirklichende Redaktion. Doch irgendwann ging es dann nicht mehr ohne. Ein Rückblick.
Große Ereignisse werfen ihren Schatten zwar meist voraus. Aber sie verschwinden hinterher auch gerne im wintermanteldicken Nebel der Geschichte. Und jeder pflegt danach seine eigene Erinnerung an das, was damals geschehen sein mochte.
Meine sieht so aus: Es war ein diskussionsfreudiger Haufen, der sich jeden Morgen im 5. Stock der ehemaligen Dralle-Fabrik im Nernstweg traf, um die taz hamburg zu machen. Säzzerinnen, JournalistInnen, Fotografen, Anzeigenmenschen, LayouterInnen, Fahrer, eingeladene und uneingeladene Gäste brachten zu allen Themen, die täglich auf den Tisch kamen, ihre sehr eigenwillige Meinung mit. So konnten wir spielend manche Stunde um den Konferenztisch sitzen, auch wenn schon alles gesagt war, jedoch noch nicht von jedem, und das sollte ja sein in dieser selbstverwalteten, selbstbestimmten und sich selbstverwirklichenden Redaktion.
Dieses Biotop erwies sich als ideal für beinahe jede persönliche Disposition der Beteiligten. Profilneurotiker genossen das vielköpfige Publikum. Choleriker entzündeten sich an den allfälligen Reibungspunkten. Melancholiker hatten noch immer etwas zum Leiden, weil dann doch nicht genau ihre Sicht der Dinge obsiegte. Fundamentalisten konnten täglich grundsätzlich werden. Die Pragmatiker unter uns feierten ebenso häufig Erfolge, weil selbst die ausgeschlafenste Runde irgendwann zu erschöpft war, um den Produktionsprozess noch länger aufzuhalten. Und es erschien, auch wenn es manchmal kleinerer Wunder bedurfte, tagtäglich eine neue Ausgabe.
Die Produktionsverantwortung wechselte wöchentlich. So kam jeder mal in den Genuss von mörderischen Blicken säumiger Autoren und Autorinnen, hingeschleuderten Flüchen der mit unleserlichen Manuskripten kämpfenden SäzzerInnen oder durfte zum einsamen Kampf gegen die kilometerlange Papierschlange mit meist nutzlosen Agenturmeldungen antreten, die aus dem Fernschreiber quoll, den wir zwar in einem kleinen Raum abgeschlossen, aber nie gebändigt hatten. Einsam, weil just an diesem Sonntagmorgen nur der Chef vom Dienst den Weg in die Redaktion gefunden hatte. Wobei immer, auch dies eines der täglichen Wunder, früher, manchmal später, weitere MitstreiterInnnen erschienen und in die Tasten, Satzmaschinen, Fotoentwicklerflüssigkeiten griffen.
In der ersten Zeit war das alles vermutlich genau die neue Freiheit, die wir alle gewollt hatten. Ein radikaler Ausbruch aus den Strukturen der autoritären Arbeitswelt. Ein wahrhaft neues Zeitungsmachen jenseits aller Hierarchien, die wir zwar meist nur vom Hörensagen kannten, aber deshalb nicht weniger heftig ablehnten. Und wenn wir draußen in der Welt Kollegen von anderen Medien trafen, dann beneideten sie uns nicht selten um unser kleines Glück: Ihr könnt machen, was ihr wollt? Toll!
53, fing 1981 mit einer Gerichtsreportage bei der taz hamburg an. Zuletzt war er Redaktionsleiter einer Wochenzeitschrift, aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Nur wir Glücklichen rieben uns langsam daran auf. All unser Reden führte ja nicht zu einem Blatt, das wir in allen Teilen gleich schätzten, weil im Grunde jeder an seinem Platz doch nur das machte, was er gerne wollte. Zudem wurde im Eifer der Diskussion manche Wunde geschlagen, die nicht mehr heilen wollte. Als dann zum ersten Mal, wenn auch ironisch, sogar das Wort vom Tyrannenmord fiel, mit dem sich die eine von der anderen Fraktion befreien könnte, war klar, dass sich etwas ändern musste.
Als Kompromiss hielt eine feste Institution namens Chef vom Dienst Einzug. Zwei neue KollegInnen wurden engagiert. Zur Etablierung ihrer Macht hatten sie zunächst neben dem Terminplan einerseits nur ein prägnantes Paar Augenbrauen, das Bände sprach, andererseits eine durchsetzungsstarke Freundlichkeit, die mit der Frage "LiebeR ..., wo bleibt Dein Text?" Schreibhemmungen pulverisierte.
Wie alle Macht neigte auch diese zur Ausdehnung. Heute bestimmt die taz-Chefredaktion "maßgeblich den Inhalt der Zeitung", lese ich im Redaktionsstatut. Sie darf also das, wovor wir im Anfang bestimmt alle gewarnt hätten. Hat das der taz genützt oder geschadet? Das müssen die Leser entscheiden und es scheinen heute jedenfalls mehr zu sein als damals.
Ich habe in über sechs Jahren taz gelernt: Freiheit ist schön, aber sie macht auch viel Arbeit, um hier noch einmal den Geist von Karl Valentin ins Spiel zu bringen. Und es ist die Freiheit des anderen, die man erstmal aushalten können muss. Daran gescheitert zu sein, scheint mir aber immer noch besser, als es nie versucht zu haben.
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