Aus der Deutschland-taz: Das Ende der Dankbarkeit

Ich hatte es schon geschafft: vom Arbeiterkind zur Türkin zur Migrantin. Nun wundere ich mich, dass ich für viele Deutsche wieder eine Ausländerin bin.

Nach 40 Jahren wollte ich nicht mehr den Bückling machen. Bild: DGone / photocase.com

Nur selten lasse ich mich aus der Ruhe bringen. Viel lieber schreibe ich lustige Bücher über mein deutsch-türkisches Leben. Es ist auch noch nicht so lange her, dass ich mich artig bei den Deutschen, Deutschland, meiner deutschen Lehrerin, unserer deutschen Nachbarin Anni, dem deutschen Staat und dem deutschen Bildungssystem bedankt habe.

Schließlich, so dachte ich früher, darf ich das Leben, das ich als Tochter eines anatolischen Ziegenhirten in Deutschland führe, nur leben, weil diese oben genannte Gruppe mir das dankenswerterweise ermöglicht hat.

Aber irgendwann ist auch Dankbarkeit aufgebraucht. Schließlich bin ich Mutter einer vierjährigen Tochter, die in Deutschland geboren wurde, die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt und vermutlich den Rest ihres Lebens in Deutschland verbringen wird. Ich dachte, ich werde kein gutes Vorbild abgeben, wenn meine Tochter mitbekommt, dass ihre Mutter nach 40 Jahren immer noch den Bückling macht. So beschloss ich, nicht mehr dankbar zu sein.

Hatice Akyün (41) ist Journalistin und Schriftstellerin. Sie lebt in Berlin.

In einem Radiointerview, in dem ich die steigende Ausländerfeindlichkeit der Deutschen kommentieren sollte, sagte ich, dass ich früher Arbeiterkind war, dann ein Mensch mit Migrationshintergrund aus mir wurde und es momentan wieder üblich sei, von Ausländern zu sprechen. Ich beschwerte mich, dass ich es doch sehr unverschämt finde, mich nach 40 Jahren wieder zur Ausländerin zu machen. Dass ich keine Ausländerin bin, dass ich Deutsche bin. Ich bin integriert, spreche die deutsche Sprache, aber vor allem stehe ich in Deutschland in Lohn und Brot und zahle hier meine Steuern. Rhetorisch fragte ich in dem Interview zurück, warum mir jetzt wieder der Stempel "Ausländer" aufgedrückt wird.

Meine Empörung war offenbar ein großer Fehler. Nach der Sendung bekam ich Dutzende E-Mails, in denen mir Undankbarkeit vorgeworfen wurde. Eine Dame schrieb mir, dass ich unverschämt sei, weil ich wohl vergessen habe, wem ich mein Leben in Deutschland zu verdanken hätte.

Sie hatte mich gegoogelt und so herausgefunden, wie viel Deutschland mir ermöglicht hat. Und sie erklärte mir, dass ich ohne die Deutschen heute in Anatolien säße und Schafe hüten müsste. Ich sei nicht nur unverschämt, sondern auch undankbar. Eine andere Frau brachte es weniger charmant auf den Punkt und schrieb mir, dass ich von Deutschland profitiert habe und ich "undankbares Pack" sei.

Ich überlegte fieberhaft, was wohl mein Profit sein könnte? Und dann fiel es mir plötzlich ein: Dank meiner in Deutschland genossenen Bildung habe ich tatsächlich viel erreicht. Zum Beispiel den Spitzensteuersatz! Danke, Deutschland, danke!

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