piwik no script img

Aus der Deutschland-tazPflege auf türkisch

Viele der ehemaligen Gastarbeiter sind heute pflegebedürftig. Einige Einrichtungen haben sich darauf spezialisiert und bieten Betreuung in den Muttersprachen an.

Stolz hält Sadik Arukaslan einen kleinen, sauber geflochtenen Korb in die Höhe. "Den habe ich selbst gemacht", sagt der 73-Jährige. Er strahlt. Auf einem Tisch im Bastelraum liegen Scheren und Filzmaler, drumherum sitzen acht Senioren konzentriert über Papierbögen. Sorgfältig malen sie Mandalas aus, manche mit zitternder Hand.

Eine Handarbeitsstunde für Senioren, wie sie ähnlich in ganz Deutschland stattfinden - mit einem Unterschied: In der Tagespflegeeinrichtung Deta-Med im Berliner Stadtteil Moabit wird fast nur Türkisch gesprochen.

Dass die alten Menschen so aufmerksam über ihren Bildern sitzen, ist für Deta-Med-Geschäftsführer Kamil Akgün keine Selbstverständlichkeit. "Unsere älteren Türken sehen Basteln oft als Kinderkram", sagt er. Gern erinnert er sich an eine Patientin, die hier zum ersten Mal einen Pinsel in die Hand gedrückt bekam. "Zunächst war sie ganz unsicher, aber dann malte sie die tollsten Bilder - selbst ihre Familie war überrascht."

Deutschland-taz

Die Idee: "Ein schöner Land" betitelte die taz am 7. Dezember ihre Deutschland-taz. Es war eine besondere Ausgabe: 14 GastredakteurInnen mit Migrationshintergrund übernahmen für einen Tag die Zeitung. Leider fanden nicht alle Stücke in der Zeitung Platz. Wir werden sie deshalb nach und nach auf taz.de veröffentlichen.

***

Alice Lanzke, 31, ist freie Journalistin, sie lebt und arbeitet in Berlin.

20 Patienten besuchen die Einrichtung von 9 bis 16 Uhr. Zusammen mit PflegerInnen essen sie, treiben Sport, spielen oder reden. Einen Zwang, an den Aktivitäten teilzunehmen, gebe es nicht, sagt Akgün: "Die meisten sagen, dass sie am liebsten zum Plaudern herkommen."

Die meisten Gäste sind Türken oder Araber, wenige kommen aus Deutschland, Italien oder Russland. Das Personal ist darauf eingestellt. Pflegerin Terry Mebrathu kam vor 16 Jahren aus Eritrea nach Deutschland. "Dass das Personal mit den Patienten in ihrer Muttersprache sprechen kann, ist ganz wichtig", sagt sie. Mebrathu spricht Arabisch, Englisch, Italienisch und Deutsch, zudem hat sie bei Deta-Med Türkisch gelernt.

Gerade bei Demenzkranken ist das von Vorteil: Stück für Stück verlieren viele ihre Deutschkenntnisse und kehren gedanklich mehr und mehr in ihre Heimat zurück. Es ist die erste Generation der ehemaligen Gastarbeiter, die nun der Altenpflege bedarf - ein Wachstumsmarkt: Allein für Berlin sagt das Statistische Landesamt voraus, dass sich die Zahl der Migranten über 65 Jahren von etwa 23.000 im Jahr 2002 auf 57.000 im Jahr 2020 erhöhen wird.

Dass Migranten besondere Bedürfnisse in der Altenpflege haben, weiß Pflegedienstleiterin Jutta Herbrechtsmeier: "Das fängt beim Essen an und hört bei der Körperpflege auf." So sei es etwa für einen Araber sehr wichtig, unter fließendem Wasser gewaschen zu werden, dazu komme ein stärkeres Schamgefühl. "Der Umgang ist respektvoller und freundlicher", sagt Herbrechtsmeier über den Unterschied zwischen kulturspezifischer und normaler Pflege.

Das sieht auch Yasare Ünal so. Sie war bereits einmal Patientin in der Deta-Med-Einrichtung, bis ihre Tochter sie in eine deutsche Tagespflege brachte. "Da war es furchtbar langweilig und ich wurde als Ausländerin nicht gut behandelt", berichtet sie. Deswegen ist sie wieder zurückgekommen: "Hier kann ich auf türkisch lachen und scherzen. Und ich werde von den Pflegern mit einem Wangenkuss und einer Umarmung begrüßt."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • I
    Irene

    "Der Umgang ist respektvoller und freundlicher", sagt Herbrechtsmeier über den Unterschied zwischen kulturspezifischer und normaler Pflege."

     

    Wie unglaublich ist das denn? Sollte der Umgang nicht immer respektvoll und freundlich sein?

  • K
    Karola

    Ein sehr schöner Artikel. Aber an die Pflegekräfte ein Denkanstoß: Es gibt, was Freundlichkeit und Respekt angeht keinen Unterschied zwischen kulturspezifischer und normaler Pflege. Denn Respekt und Freundlichkeit sollte das Primat jeder Pflege sein.