■ Aus dem Tagebuch von Wam Kat: Der Abglanz des Westens
Wam Kat, Friedensaktivist schon im Bosnienkrieg, hat für seine Aktion „Balkan Sunflowers“ im Internet nach Freiwilligen gesucht, die den Flüchtlingen aus dem Kosovo helfen wollen. Seit Anfang Mai berichtet er täglich per E-Mail über seine Erfahrungen in Albanien.
Tirana, 13. Juni: Gestern hat uns der Besitzer unseres Hotels in der Hafenstadt Vlora gefragt, was er tun solle, um sein Haus für Touristen attraktiver zu machen. Zum Glück mußten wir nicht sofort antworten, es fiel uns schwer, ernst zu bleiben, als man uns diese Frage übersetzt hatte. So gut es uns möglich war, stellten wir eine Liste der Dinge zusammen, die geändert werden könnten, doch etwa bei Punkt 35 schauten wir uns an und konnten nicht mehr an uns halten. Wir mußten laut herauslachen. Es klingt sarkastisch, und vielleicht ist es das auch, aber dieses Land hat schon ohne die Flüchtlinge Probleme, die fast unmöglich zu lösen sind. Ich sage nicht „unmöglich“, aber „fast unmöglich“, ich möchte optimistisch bleiben.
Hier im Süden sind die Spannungen zwischen den Menschen aus dem Kosovo und Albanien noch größer als im Norden. Die Mentalität ist verschieden, der Dialekt ist verschieden, da kann man nichts machen. Es sind 500 Kilometer von hier bis Pritina. Solche Unterschiede gibt es auch zwischen Hamburg und München, das ist nichts Neues, aber die Flüchtlinge aus den kleinen Bergdörfern werden damit nicht fertig. Ihre ganze Welt ist auf den Kopf gestellt. Sie wollen sofort nach Hause und nicht erst nächsten Monat, weshalb ich fürchte, daß der große Exodus in den Norden viel früher beginnt als erwartet. Früher, muß ich sagen, als das irgend jemand gut finden kann, der auch nur ein wenig weiß über die Zerstörungen und die Minenfelder im Kosovo.
Albanien dagegen scheint gar nicht erfreut, daß die Flüchtlinge schon dabei sind, das Land zu verlassen. Es klingt blödsinnig, aber sie haben etwas mitgebracht, was besser ist als alles hier in den letzten vier oder fünf Jahren. Es ist nicht nur das Geld der NGOs, das Tausenden von Albanern Arbeit gebracht hat, Arbeit auf dem Bau, im Transportgewerbe, Arbeit in Büros, in der Lebensmittelbranche, in Hotels und Restaurants, von denen eine ganze Reihe wieder zusammenbrechen wird, wenn die Flüchtlinge ins Kosovo zurückkehren und die NGOs ihnen nachfolgen. Aber es ist nicht nur das, die Flüchtlinge haben Albanien auch auf die Weltkarte zurückgebracht. Die Führer der ganzen Welt wissen plötzlich, wo dieses Land liegt, und einige von ihnen haben es sogar mit einem Besuch beehrt. Paradoxerweise haben die Flüchtlinge am Ende ein wenig Stabilität in dieses System gebracht, so schwer zu ertragen sie am Anfang auch waren. Deshalb wären die Albaner gar nicht unglücklich, wenn sie noch eine Weile blieben.
Dazu tragen, so scheint es manchmal, auch die großen NGOs bei. Vor allem wenn sie Lager gebaut haben, die jetzt leer stehen. Im Süden ist die ungenutzte Kapazität enorm. Millionen von Dollars sind investiert worden für die Aufnahme von Flüchtlingen, die nie kamen und wahrscheinlich auch nie kommen werden. Man hatte erwartet, daß 80.000 bis 100.000 Vertriebene vor den serbischen Truppen hierherfliehen werden. Sie kamen nicht, und man fragt sich, wie sie zwei Monate ohne irgendeinen Nachschub an Lebensmitteln überlebt haben. Man hatte erwartet, daß die 120.000 Flüchtlinge aus Kukes in den Süden herunterkommen. Sie kamen nicht. Das Ergebnis ist ein Land voller Notunterkünfte, die kaum mehr als eine erste Hilfe leisten können, aber immer noch überfüllt sind, und mit einigen Superlagern, die zu mehr als der Hälfte leer stehen, dafür aber mit allem ausgerüstet sind, was man sich nur wünschen kann.
Ich frage mich, was geschieht, wenn diese riesigen Zeltstädte abgerissen werden, noch bevor sie jemals benutzt wurden. Und wer in diesen Lagerhallen mit abgeteilten Privaträumen und Toiletten leben möchte, wenn die Kosovaren wieder gegangen sind. Was wird mit den Zelten geschehen? Werden sie ebenfalls in das Kosovo abtransportiert und dort für jede Familie neben ihrem zerstörten Haus wiederaufgestellt? Wochenlang hat jede NGO für jedes Zelt gekämpft, und man hat ihnen bis zum heutigen Tag immer gesagt, daß es keine mehr gebe. Hier nun sehen wir Hunderte von Zelten, die einfach nur leer stehen, die niemals benutzt worden sind und auch niemals mehr benutzt werden. Wam Kat
Aktuelle Berichte über die Aktion „Balkan Sunflower“ und die vollständigen Tagebücher von Wam Kat unter www.mir.org
Spenden: Ökobank Frankfurt, Blz 500 901 00, Konto 160 160 1
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen