■ Aus dem Tagebuch von Wam Kat: Großer Aufbruch
Jeder Krieg dauert länger, als die Waffen sprechen“, hat Wam Kat vor einigen Wochen aus Tirana geschrieben. Ein Pazifist aus Überzeugung, der schon im Krieg um Bosnien versucht hat, den Opfern zu helfen. Seit Anfang Mai ist er in Albanien unterwegs. Im Internet hat er für seine Aktion „Balkan Sunflowers“ nach weiteren Mitstreitern für seine Art des Graswurzel-Friedens gesucht und sie auch gefunden. Auf seinem Laptop schreibt er Tagebuch und verschickt seine Briefe in alle Welt. Man kann sie im (englischen) Original abonnieren mit einer Mail an majordomoecn.cz, Text: „subscribe l-diary“, oder auf der Website unter www.ddh.nl/org/balkansunflower/online nachlesen.
Tirana 18. Juni: Es ist ein Uhr nachts und ich sitze auf meinem Balkon. Vier Häuserblocks entfernt feiern ein paar Kosovaren eine Riesenparty. Das „Danke-Nato“-Konzert gestern auf dem Skanderbeg-Platz habe ich nicht besucht. Aber hier gefallen mir die Lieder aus ihrer Heimat gut. Ja, es ist eine Art Party, die Leute sind glücklich, können nach Hause – wenigstens haben sie wieder ein eigenes Land.
„Wann gehst du zurück?“, ist die häufigste Frage im ganzen Land. Auch unter den NGOs. Die Hälfte der Leute, zu denen man gerade einen Kontakt aufgebaut hat, ist schon wieder weg. Wir haben uns die Lagerhallen der NGOs angeschaut und waren völlig überrascht über die Menge der Güter, die schon seit Wochen, wenn nicht Monaten in diesem Land sind. Jetzt kommen sie ans Licht. Es ist wie in Aladins Schatzkammer. Jedesmal wenn wir hineingehen, finden wir Dinge, von denen nicht einmal die NGOs wissen, daß sie sie haben.
In einem der Lager, in dem sie arbeiten, haben Freiwillige von uns mit den Flüchtlingen zusammen im Fernsehen die ersten Bilder aus ihren Heimatorten gesehen. Jubel bei jedem nicht zerstörten Gebäude. In Djakovica sendet das Radio immer noch, oder schon wieder, im Gemeindehaus tagt eine Art Gemeinderat und auch die Post hat geöffnet. Das vor allem hat großen Applaus geerntet, weil einige der geflohenen Frauen dort gearbeitet haben. Jetzt wissen sie, wo sie wieder anfangen können, wenn sie zurückgekehrt sind.
Ich frage mich nur, unter welchem System sie arbeiten wollen? Wer wird sie bezahlen und mit welchem Geld? Soviel ich weiß, soll die D-Mark im Kosovo Nationalwährung werden. Wird danach eine andere, eigene Währung kommen, ein eigener Staat? Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Vielleicht wird es auch eine neue Flagge geben – heute ist es noch die Nationalflagge von Albanien. Nach der Fernsehsendung ist eine Lehrerin hinausgerannt, hat eine albanische Fahne gekauft und allen Kindern gezeigt. Sie haben die Fahne geküßt. Die Lehrerin übrigens war Abgeordnete im illegalen Parlament des Kosovo und saß dafür acht Jahre im Gefängnis. Jetzt erst werden solche Geschichten erzählt, da man sich sicher fühlt vor den Serben.
Tirana, 19. Juni: Als ich heute morgen das Büro der UNO besuchte, war dort die Krise ausgebrochen. Das Büro ist verantwortlich für den Minenschutz und war – wie immer – erst im Planungsstadium, als der große Flüchtlingszug zurück in den Norden begann. Das Büro wollte allem zuvorkommen und hatte neben seiner normalen Krisenarbeit schon Flugblätter vorbereitet für die Zeit der Rückkehr. Nur kam dieser Augenblick ein wenig früher als geplant.
Das meiste Informationsmaterial ist übrigens beinahe dasselbe, das schon in Bosnien und Kroatien verteilt worden ist. In jedem Fall aber ist es sehr nett zu sehen, wie die UNO ihre Kinder-Comics auf den neuesten Stand für das Kosovo gebracht hat. In der bosnischen Version war ein kleiner, kurzhaariger Vater mit Mutter und zwei Kindern zu sehen, jetzt hat der Mann schwarze, leicht gelockte Haare und die Familie fünf Kinder.
Tirana, 25. Juni: Später am Abend habe ich Leute von der Flüchtlingsorganisation Check getroffen, die drei Lager im Norden unterhalten hat. Sie sind alle leer. Vor zwei Tagen hat Check Kontakt mit uns aufgenommen und uns gefragt, ob wir Freiwillige brauchen. Sie haben zu viele. Im Augenblick können wir immer noch Helfer gebrauchen, aber die Lage ändert sich schnell. Es ist unglaublich. Wenn ich diese Zeilen schreibe, verlassen 2.000 weitere Flüchtlinge Albanien. Morgen muß ich entscheiden, wann und wohin wir ins Kosovo umziehen. Von unserem ursprünglichen Plan, hier in Albanien zu arbeiten, ist nicht mehr viel übrig. In zwei Wochen sind alle zu Hause – aber nicht in ihren Häusern. Wir werden sehen, laßt uns glücklich darüber sein, daß alle diese Menschen in ihre Heimat zurückkehren.
Wam Kat
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