Aus dem Postwachstumsatlas von LMd: Immer heißer
Es gibt nicht zu wenig, sondern zu viele fossile Ressourcen – sie müssen in der Erde bleiben.
In der industriellen Revolution hat die Menschheit gelernt, Kohle, Öl und Gas zu nutzen, und sich damit aus der Abhängigkeit von den traditionellen Energiequellen Sonne, Wind, Wasser und Biomasse befreit. Seitdem haben nicht zuletzt die technologischen Innovationen auf der Basis fossiler Energieträger ein stetiges Anwachsen der Weltbevölkerung und ein Ansteigen des durchschnittlichen globalen Pro-Kopf-Einkommens ermöglicht.
Gleichzeitig treibt die Menschheit seit Beginn der Industrialisierung die Angst vor der Erschöpfung fossiler Energieträger um. Angefangen mit William Stanley Jevons, der bereits in den 1860er Jahren vor den Folgen einer bevorstehenden Kohleknappheit warnte, über den ersten Bericht des Club of Rome 1972 bis hin zu aktuellen Vertretern der Peak-Oil-Hypothese wird die Befürchtung geäußert, dass mit der Erschöpfung fossiler Ressourcen auch der erreichte Wohlstand ein baldiges Ende finden könnte.
Erkenntnisse der letzten 20 Jahre deuten jedoch zunehmend darauf hin, dass nicht die begrenzten Vorkommen fossiler Ressourcen, sondern ihre ungebremste Nutzung die größte Bedrohung für den Wohlstand und die globale Armutsbekämpfung bedeutet. Denn die Verbrennung fossiler Energieträger führt zur Ansammlung von CO2 in der Erdatmosphäre. Die daraus entstehenden Klimaveränderungen könnten in vielen Ländern schwerwiegende Auswirkungen auf die soziale und wirtschaftliche Stabilität haben.
Bereits heute zeigt sich, dass der Klimawandel Ökosysteme gefährdet und die landwirtschaftliche Produktivität verringert. Ein Ansteigen der globalen Durchschnittstemperatur um 4 Grad Celsius oder mehr birgt zahlreiche Risiken: höhere Meeresspiegel, häufigere Extremwetterereignisse, Dürren, Klimaflüchtlinge, Ausbreitung von Krankheiten und Rückgang der Artenvielfalt.
Die Folgen sind ungewiss
Das Ausmaß dieser Folgen des Klimawandels ist freilich ungewiss. Wenn die Natur in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts ihre Karten aufdeckt, werden sie im besten Fall weniger schlimm sein als befürchtet, vielleicht fallen sie aber auch deutlich stärker aus. Viele Klimafolgen werden wahrscheinlich unumkehrbar sein, beispielsweise das Abschmelzen des Grönlandeisschildes, das über mehrere Jahrhunderte hinweg zu einem Ansteigen des Meeresspiegels von sieben Metern führen könnte. Solche Ungewissheiten sind allerdings kein Argument, um einfach abzuwarten. Vielmehr muss eine kluge Klimapolitik die Risiken von Überraschungen und Extremwetterereignissen gegen die Kosten des Klimaschutzes abwägen.
Der vorliegende Beitrag ist ein Vorabdruck aus dem neuen „Atlas der Globalisierung“ von Le Monde diplomatique, der am 28. Juli erscheint. Darin geht es um das nächste große Zukunftsthema: Postwachstum. 176 Seiten, 300 Karten und Grafiken; mit Download des kompletten Inhalts, für 16,- Euro (für GenossInnen und taz-AbonnentInnen, die bis zum 28.7. vorbestellen nur 13,- Euro). Weitere Infos gibt es bei Le Monde diplomatique.
Um die Gefahren des Klimawandels einzudämmen, fordert die internationale Gemeinschaft, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf maximal 2 Grad Celsius zu begrenzen. Das bedeutet, dass der globale CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2100 auf insgesamt etwa 1.000 Gigatonnen (Gt = Milliarden Tonnen) CO2 begrenzt werden muss. Zum Vergleich: Die weltweiten Emissionen lagen 2011 bei etwa 33 Gt CO2 und sind im vergangenen Jahrzehnt trotz aller klimapolitischen Anstrengungen stärker gestiegen als in den Jahrzehnten zuvor.
Die rund 1.000 Gt CO2 sind aber nur ein Bruchteil der Menge, die durch Verbrennung der verfügbaren globalen Ressourcen fossiler Energieträger in die Erdatmosphäre gelangen würde – das wären nämlich etwa 16.000 Gt CO2. Besonders Kohle ist weltweit reichlich vorhanden und kann dank technischer Verfahren relativ preisgünstig in verschiedene flüssige und gasförmige Treibstoffe umgewandelt werden. Aus Sicht der Klimapolitik ist also nicht die Knappheit der fossilen Energieträger, sondern im Gegenteil ihr reichliches Vorkommen das zentrale Problem.
Die Grenze für weiteres Wirtschaftswachstum liegt nicht in der Begrenztheit der Vorkommen von Öl, Gas und Kohle, sondern in der Aufnahmefähigkeit der Erdatmosphäre. Um den gefährlichen Klimawandel zu vermeiden, muss sich die Menschheit selbst eine Grenze bei der Nutzung der fossilen Ressourcen setzen. Neuere Szenarien des Weltklimarats gehen von einer möglichen Erwärmung um etwa 4 Grad Celsius im Jahr 2100 aus, wenn der Treibhausgasausstoß nicht reduziert wird. Eine entschlossene Klimapolitik mit einem 2-Grad-Ziel muss dagegen erreichen, dass – verglichen mit einem Szenario ohne Klimapolitik – etwa 40 Prozent Gas und Öl sowie 80 Prozent der ansonsten geförderten Kohle ungenutzt in der Erde verbleiben.
Gar nicht so teuer
Ein derart ambitionierter Klimaschutz sollte immerhin zu relativ moderaten Kosten machbar sein. Die im Weltklimarat begutachteten Modellrechnungen zeigen, dass ein Erreichen des 2-Grad-Ziels das Wachstum des globalen Bruttoinlandsprodukts um lediglich 0,06 Prozentpunkte jährlich verringern würde (bei einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum des weltweiten BIPs von 1,6 bis 3 Prozent).
Diese vergleichsweise geringen Kosten ergeben sich aus den Einsparmöglichkeiten durch gesteigerte Energieeffizienz und kostengünstige emissionsarme Technologien wie erneuerbare Energien und Biomasse, die CCS-Technologie (Kohlenstoffabscheidung und -speicherung) und in manchen Weltregionen auch die Nuklearenergie. Einige dieser Technologien sind kommerziell noch nicht erprobt (insbesondere CCS), andere bergen schwer abschätzbare Risiken.
So könnte eine intensive Nutzung von Biomasse zur Energiegewinnung in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion treten und die Ernährungssicherheit gefährden. Die eingeschränkte Verfügbarkeit dieser Technologien würde die Kosten des Klimaschutzes freilich noch einmal erhöhen. Wenn man diese Mehrkosten gegen die dadurch vermiedenen Gefahren abwägt, erscheinen sie aber immer noch vertretbar.
In jedem Fall setzt die nachhaltige Lösung des Klimaproblems ein globales Klimaschutzabkommen voraus, das die Nutzung der weltweit günstigsten Minderungsoptionen gewährleistet und sicherstellt, dass die Emissionen überall ausreichend reduziert werden. Die UN-Klimaverhandlungen der letzten Jahre lassen aber nicht darauf hoffen, dass ein solches Abkommen in absehbarer Zeit zustande kommt. Der Grund hierfür ist vor allem, dass es für jedes Land von Vorteil ist, sich als Trittbrettfahrer zu verhalten und von den Emissionsreduktionen anderer Länder zu profitieren, ohne eigene Emissionsminderungen auf sich zu nehmen.
Ottmar Edenhofer, Christian Flachsland und Michael Jakob sind Direktor, Arbeitsgruppenleiter und Research Fellow am Mercator Insitut (MCC); Jérôme Hilaire ist PostDoc am Potsdamer Institut für Klimafolgenforscher (PIK).
Globaler Preis für Emissionen
Es gibt noch eine Reihe weiterer Hindernisse für den Klimaschutz: Die meisten Schwellen- und Entwicklungsländer wollen (noch) keine verbindlichen CO2-Obergrenzen akzeptieren, da diese ihnen die Wege aus der Armut verbauen könnten. Insbesondere ärmere Länder verzeichnen in den letzten Jahren einen teils rasanten Emissionsanstieg, getrieben durch hohes Wirtschaftswachstum und eine verstärkte Nutzung von Kohle.
Kohle ist aber nicht nur reichlich vorhanden und billig, sondern erzeugt bei der Verbrennung den höchsten CO2-Ausstoß pro Energieeinheit. Außerdem gibt es Widerstände von den Eigentümern fossiler Rohstoffe, deren Vermögensbestände durch eine schärfere Klimapolitik de facto entwertet werden, sowie von energieintensiven Industrien und von Bevölkerungsgruppen, die von den Kosten des Klimaschutzes überproportional betroffen sind.
Das vielversprechendste Instrument zur Emissionsreduktion ist die Einführung eines globalen Preises für Treibhausgasemissionen. Damit würden negative Klimaeffekte direkt als Kosten in die Entscheidungen von Unternehmen und Individuen einfließen, so dass die günstigsten Minderungsoptionen gesucht werden. Dies kann durch den Emissionshandel, durch Steuern auf Emissionen oder Mischsysteme, wie etwa einen Emissionshandel mit einem Mindest- und Höchstpreis, umgesetzt werden.
Für einen global kostengünstigen Klimaschutz ist dabei wesentlich, dass das Preissignal in allen Weltregionen mittel- und langfristig ähnlich hoch ist – Emissionen würden dann dort vermieden, wo dies am günstigsten ist. Außerdem bestünde kein Anreiz mehr, Fabriken zu verlagern oder Kapital in Weltregionen zu investieren, in denen es keine CO2-Bepreisung gibt. Zudem müssen Anreize zur Entwicklung und Verbreitung neuer Technologien geschaffen werden, etwa durch die Förderung von Grundlagenforschung; in begrenztem Maße sollte auch die Markteinführung dieser Technologien etwa durch Einspeisetarife gefördert werden.
Konsumverzicht ist schwierig
Häufig heißt es auch, man sollte den Klimawandel durch Konsumverzicht aufhalten. Dieses Argument muss aber nach ärmeren und reichen Bevölkerungsgruppen differenziert betrachtet werden und erscheint angesichts kostengünstigerer alternativer Optionen zur Reduktion von Emissionen als zentrale Klimaschutzmaßnahme unnötig und ungeeignet. Empirische Untersuchungen legen nahe, dass ab einem Jahreseinkommen von etwa 15.000 Euro pro Kopf weiterer Konsum das Wohlbefinden und das persönliche Glück kaum mehr steigert.
In vielen Industrieländern haben die materiellen Bedürfnisse also möglicherweise ihren Sättigungsgrad bereits erreicht. Selbst wenn diese empirisch umstrittene Hypothese zutrifft, befinden sich weltweit die meisten Menschen aber noch weit von dieser Wohlstandsschwelle entfernt. Ihnen einen Konsumverzicht mit Blick auf Klimaschutz nahezulegen, ist ethisch nicht zu vertreten.
Wirtschaftliches Wachstum erhöht aber nicht unbedingt den Konsum von Luxusgütern, vielmehr kann es die Versorgung mit Grundgütern verbessern, die gemeinhin als wesentlich für ein „gutes Leben“ erachtet werden: soziale Grundsicherung, Gesundheitsversorgung sowie Bildung und Kultur. In vielen Fällen können diese Güter mit vergleichsweise geringem Ressourceneinsatz bereitgestellt werden. Insofern besteht kein notwendiger Zielkonflikt zwischen Emissionsminderungen und verbesserten Lebensbedingungen für die ärmsten Menschen auf unserem Planeten. Grundsätzlich kann auch in reicheren Gesellschaften Wachstum und ein geringerer Ressourcenverbrauch miteinander vereinbar sein.
Entscheidend für ein solches qualitatives Wachstum sind Möglichkeiten, die Güterproduktion und den Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Mit Blick auf die Reduktion von CO2-Emissionen kann dies sowohl durch eine höhere Energieeffizienz, durch den Einsatz emissionsneutraler Energietechnologien und durch Umstellung auf weniger ressourcenintensive Konsumprodukte erreicht werden. Allerdings schlagen Emissionsminderungen durch Konsumreduktion letztlich mit mehr als 2.000 US-Dollar pro eingesparter Tonne CO2 zu Buche, während technische Lösungen wie Effizienzmaßnahmen oder die Verwendung emissionsarmer Brennstoffe nur einen Bruchteil dieses Betrags kosten. Das durch technische Emissionsvermeidung eingesparte Geld könnte dann in Maßnahmen zur Armutsbekämpfung fließen.
Es gibt noch Hoffnung
Aus der Perspektive des Klimaschutzes kommt es also nicht darauf an, den Konsum an sich zu verringern, sondern vor allem den Konsum emissionsintensiver Produkte und Dienstleistungen. Unabhängig davon sollte die Steigerung des materiellen Konsums kein Ziel der Wirtschaftspolitik sein. Viel wichtiger ist, dass die Wirtschaftspolitik jene Grundvoraussetzungen schafft, die ein gelingendes Leben ermöglichen.
Die Frage nach der Möglichkeit steigenden Wohlstands in einer materiell begrenzten Welt ist letztlich vor allem politischer Natur. Nur mit den richtigen Rahmenbedingungen und einer gezielten vorausschauenden Begrenzung der Nutzung natürlicher Deponien wie der Erdatmosphäre können wirtschaftliche Entwicklungen in Bahnen gelenkt werden, die eine Übernutzung verhindern. Dem Klimaschutz dienliche Rahmenbedingungen könnten vor allem durch eine Bepreisung von Treibhausgasemissionen über die Besteuerung oder den Emissionshandel sowie durch die Förderung neuer Technologien geschaffen werden. Solange diese selbst gesetzten Grenzen beachtet werden, spricht aus der Sicht des Klimaschutzes nichts gegen ein weiteres Wachstum der Wirtschaftsaktivitäten.
Auch wenn ein globales Klimaschutzabkommen noch in weiter Ferne liegt und die Emissionen weiter steigen, gibt es doch ermutigende Signale, beispielsweise die Einführung von Klimapolitiken auf regionaler, nationaler und lokaler Ebene. Von den 20 Ländern, die die Hauptverursacher von Treibhausgasemissionen sind, haben immerhin 17 klimapolitische Maßnahmen angekündigt oder bereits umgesetzt. Mehr als 120 Länder stellen finanzielle Förderung für erneuerbare Energien zur Verfügung. Darüber hinaus gibt es etliche Maßnahmen, die nicht in erster Linie im Hinblick auf den Klimaschutz ergriffen werden, aber trotzdem emissionsmindernd wirken.
So hat China vor kurzem umfangreiche Auflagen zur Kohlenutzung in Städten erlassen, um die lokale Luftverschmutzung einzudämmen – und damit gleichzeitig den Ausstoß an Treibhausgasen verringert. Hoffnung macht auch das im Herbst 2014 geschlossene bilaterale Abkommen zwischen China und den USA für ein stärkeres klimapolitisches Engagement sowie die Zusage verschiedener Staaten, über den Green Climate Fund in den kommenden Jahren mehr als 10 Milliarden Dollar für den Klimaschutz in Schwellen- und Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen.
Das alles wird nicht ausreichen, um die immer schneller wachsenden globalen Emissionen zu bremsen und das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Es sind aber vielversprechende erste Schritte auf dem Weg zu einer verstärkten globalen Zusammenarbeit. Nur wenn es der internationalen Klimadiplomatie gelingt, diese Bausteine miteinander zu verknüpfen, kann am Ende ein ambitioniertes globales Abkommen stehen, das die Erdatmosphäre als Gemeineigentum anerkennt und ihre Nutzung als CO2-Deponie tatsächlich vorausschauend begrenzt.
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