■ Aus-„Zeit“: Neues aus dem Intrigantenstadl
24 Jahre bei der gleichen Zeitung, wo gibt es das noch? Bei der Zeit, zumal beim Feuilleton, ist das ganz normal. Wo Fluktuation ein Fremdwort ist, ist eine Kündigung eine Katastrophe: Theaterredakteur Benjamin Henrichs hat nach 24 Jahren gekündigt. Dabei geht es um einen Konflikt, der schon Jahre schwelt, aber noch einmal richtig zum Ausbruch kam, seit Sigrid Löffler im vergangenen November das Zeit-Feuilleton leitet. Nicht einen Kulturteil, der sich als Museum der Moderne versteht, mit entsprechend musealen Besinnungsaufsätzen und Rezensentenexegesen, die nach einem absurden Proporzsystem geordnet werden, wollte sie. Ein aktuelles Debattenfeuilleton sollte es sein, das sich auch so Neumodischem wie Popkultur nicht verschließt.
Aktuell, Pop, Debatte: drei Reizwörter für den Großteil der Redakteure, die alle auf mehr als zwanzig Jahre Zeit-Zeit zurückblicken. Drei Angriffe auf Henrichs, der für sich stets die Rolle der grauen Eminenz des Feuilletons reklamierte, nie aber selbst die Leitung übernehmen wollte, die ihm zweimal angetragen worden war. Oder wie es ein Blattkenner ausdrückt: „Das war die F.-J.-Strauß- Haltung: Es ist doch egal, wer unter mir Ressortleiter wird.“ Löffler wurde nach Kräften blockiert.
Seit Anfang des Monats amtiert ein neuer Chefredakteur am Hamburger Speersort, und so war für Henrichs die Zeit gekommen, sich das selbst auferlegte Reichsunmittelbarkeitsprivileg (ein Theaterredakteur unterstehe keiner Ressortchefin) erneuern zu lassen. Mit einer Taktik, die in anderen Fällen schon als Drohung genügt hatte: Der beste Theaterschreiber (Henrichs) gehe, wenn nicht... Doch de Weck quittierte die Kündigung.
Anders als Henrichs selbst es lancierte, hatte Löffler ihm keine Informationen vorenthalten (über Andrea Breths Abgang an Berlins Schaubühne), sondern er selbst nicht gelesen, was in allen Morgenzeitungen stand. Ohnehin hatten Henrichs und seine Adepten schon vor jener Sache bei de Weck in Sachen Löffler vorgesprochen.
Der Mann, der über König Lear schrieb, der glaubte, alles über Intrigen zu wissen – er scheint sich nun verschätzt zu haben.lm
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen