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Aus Wald und FlurVerblödetes Rotwild

Durch Inzucht geförderte Degeneration: über die Nachwirkungen nationalsozialistischer Wahnvorstellungen.

Geistig eher minderbemittelte Jäger bekommen so eben auch mal was Adäquates vor die Flinte. Bild: dpa

Seit langem wundern sich Spaziergänger bei ihren Streifzügen durch die heimischen Wälder über die zunehmende Vertraulichkeit der dort hausenden Wildtiere. Insbesondere das Rotwild scheint immer zutraulicher zu werden und wirkt bei genauerer Inbetrachtnahme fast schon ein wenig zu distanzlos und blauäugig, wenn nicht gar naiv.

Eine Tatsache, die dem Spaziergänger bei der Beobachtung der Fauna natürlich einerseits entgegenkommt, die aber andererseits professionelle Waidmänner vor ein nicht unerhebliches moralisches Dilemma stellt.

Sei neuestem beklagt beispielsweise die „Bundesdeutsche Forstgemeinschaft“ kurz BFG, eine augenscheinliche Degeneration und geistige Verwahrlosung des deutschen Rotwildbestandes und damit gleichsam eine Fairnessminderung der vermeintlichen Chancengleichheit daraus resultierender Jagdbedingungen. So bemängelte Dr. Werner Brunz, der Vorsitzende der Abteilung „Fauna und deutsche Schusswaffengeschichte“ der BFG, erst dieser Tage im Rahmen eines unaufgeforderten Rundschreibens:

„Ich sage offen und ehrlich, wie es ist: Die Rehe werden immer blöder. Und der Grund ist denkbar einfach.

Durch Inzucht geförderte Degeneration. Wegen der vielen Autobahnen sind seit Jahrzehnten die traditionellen Wildwechselwege der Tiere unterbrochen. Dadurch wird eine Vermischung der unterschiedlichen Populationen und damit auch des Genmaterials quasi unmöglich. Und zu was das führen kann, sieht man ja am Beispiel vieler bayerischer Bergdörfer.“

Nun könnte man derlei Eingriffe in die natürliche evolutionäre Entwicklung gerade bundesdeutschen Rotwildes eigentlich unkommentiert lassen, da solche ungewollt von Menschenhand geschaffenen Phänomene nicht neu sind, sondern sich vielmehr seit Jahrhunderten durch die natürliche Symbiose der deutschen Autobahnen und des Wildbestandes ziehen.

Doch Malte Ratz, seines Zeichens Vorsitzender der Initiative „Deutsches Engagement für Problemphänomene“, DEPP, und ehemaliger Fernsehjournalist, entdeckt dahinter einmal mehr Methode. Ratz, der bis vor wenigen Jahren noch den nostalgischen gynäkologischen TV-Ratgeber „Was die Gebärmutter noch wusste“ moderierte und dort seinerzeit mit der Frage „Wiege ich mit einer Erektion mehr?“ die Fernsehnation spaltete, erspäht die Wurzel des Rotwildproblems gewohnt weitsichtig in der deutschen Geschichte.

„Wir haben es hier“, so Ratz, „wieder einmal mit den Nachwirkungen nationalsozialistischer Wahnvorstellungen zu tun.“ Eine These, die er sehr anschaulich zu vertiefen weiß.

„Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten, warum die Nazis sich damals so sehr im Autobahnbau engagierten. Entweder wollten sie mit der sicherlich von ihnen einkalkulierten, damit einhergehenden Trennung der Wildwechselwege die Überlegenheit der arischen Herrenrasse gegenüber dem gemeinen Rotwild demonstrieren, oder aber sie wollten in bestimmten Waldgebieten durch die Ausgrenzung nicht erwünschten Genmaterials eine arische Herrenhirschrasse züchten. Andere Optionen kommen für mich persönlich nicht infrage.“

Dr. Brunz von der BFG sieht das freilich anders: „Es ist doch immer dasselbe. Wieder einmal muss der Führer herhalten. Jetzt sogar für die Verblödung unseres Rotwildes. Ich gebe gerne zu, dass uns als deutsche Jagdelite die Pirsch auf degenerierte Hirsche und Rehe aufgrund gewisser Einschränkungen der Beute nicht so viel Spaß macht, wie auf genetisch einwandfreie Tiere zu schießen, aber man muss doch auch mal das Positive sehen.

Geistig eher minderbemittelte Jäger bekommen so eben auch mal was Adäquates vor die Flinte. Und wenn es Exemplare einer arischen Herrenrasse sind – umso besser.“ Die Frage, ob Brunz mit der als Zielgruppe anvisierten arischen Herrenrasse tatsächlich die Hirsche oder doch eher die minderbemittelten Schützen meint, ließ der Mann von der BFG allerdings lieber offen.

Der in der BFG übliche Jägergruß „Heil mein Waidmann“ bietet diesbezüglich jedenfalls keinerlei Aufklärung.

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1 Kommentar

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  • V
    valeria

    In manchen entwickelten Nationen haben Wildtiere erkannt: Der Mensch ist gar nicht mehr ein furchteregender Feind und man kann einigermassen mit ihm auskommen. In USA verbreiten sich wilde Tiere in die Vororte. Heute existieren in USA mehr Rehe,Hirsche und Baeren als vor der Ankunft der Europaer : Damals waren einige Regionen schon "ausgejagt" durch die Indianer. Heute ist die Jagd ein teurer und aufwendiger Sport.