Aus Le Monde diplomatique: Die schmutzige Brigade von Bagdad
Bis Ende 2010 will Washington alle Kampfeinheiten abgezogen haben. Stellvertretertruppen wie die irakischen "Special Forces" werden von ihren Landsleuten schon heute gefürchtet. Ein Bericht
Die Dämmerung sickert aus dem staubigen Himmel auf Bagdad herab, als Hassan Mahsan mir demonstriert, was seiner Familie letzten Sommer widerfahren ist. Wir stehen im Hof seines aus Betonblöcken errichteten Hauses. Seine Kinder beobachten uns schweigend, während seine Frau große Teigringe durch die Luft wirbelt und an die Innenseiten eines prasselnden Ofens pappt.
Er greift nach dem Kopf seiner knapp einen Meter großen Tochter, wie man eine Melone packt. Er steht hinter ihr und fuchtelt herum, als würde er ihre Arme fesseln. Dann hält er ihr ein imaginäres Gewehr an den Kopf und sagt: "Sie nahmen mir die Augenbinde ab, richteten das Gewehr auf ihren Kopf, entsicherten und erklärten: ,Du sagst uns jetzt, wo al-Zaydawi ist, oder wir erschießen deine Tochter.' "
Hassan und seine Familie wohnen in Sadr City, dem armen Schiitenviertel von Bagdad, in dem über zwei Millionen Menschen leben. Es war ziemlich ruhig in der Nacht vom 10. Juni 2008, berichtet Hassan. Dann waren plötzlich die Helikopter über dem Haus, und eine Explosion drückte die Eingangstür ein, fast wäre sein schlafender Jüngster in den Flammen umgekommen.
Er selbst fand sich mit gefesselten Händen auf dem Boden, zu Füßen von acht Männern, die ihre Gewehre auf ihn gerichtet hatten. Zunächst wusste Hassan nicht, ob es Iraker oder Amerikaner waren. Die Männer hätten sich nicht wie die irakischen Truppen bewegt, die er kenne. Sie hätten ausgesehen und gesprochen wie Landsleute, trugen aber amerikanisch aussehende Uniformen und ihre Waffen waren eindeutig US-Gewehre mit Nachtsichtvisier.
Er sagte ihnen, dass er Polizeibeamter sei, und zeigte ihnen seinen Ausweis. Aber sie nahmen ihm seine Pistole ab und behaupteten, er sei Befehlshaber einer lokalen Miliz, der Mahdi-Armee. Als sie ihn wegschleppten, riefen sie seiner Frau zu, er sei "erledigt". Doch kurz bevor sie abrückten, ließen sie ihre Identität erkennen. "Wir sind das Sonderkommando, die schmutzige Brigade", erinnert sich Hassan ihrer Worte.
Die Iraq Special Operations Forces heißen abgekürzt Isof. Der Aufbau dieser Einheiten ist wahrscheinlich die größte Investition in Spezialtruppen, die Washington je vorgenommen hat. Aber den Kontrollen, mit denen andere Regierungen solche tödlichen Sonderkommandos an die Kandare legen, sind sie nicht unterworfen.
Das Projekt begann schon kurz nach der Eroberung Bagdads im April 2003. Damals begannen die US-Spezialeinheiten der Green Berets in der jordanischen Wüste junge Iraker auszubilden, die keinerlei militärische Vorkenntnisse hatten. Heute ist daraus etwas entstanden, was der Traum jedes Green Beret ist: eine geheime, tödliche, mit modernster US-Waffentechnologie ausgerüstete Spezialbrigade, die auf Jahre hinaus unter amerikanischem Kommando operiert und weder einem irakischen Ministerium noch einer anderen irakischen Instanz gegenüber Rechenschaft ablegen muss.
Die Isof sind mittlerweile auf neun Bataillone angewachsen, die auf vier regionalen "command bases" verteilt sind. Alle vier sollen bis Dezember eine eigene "Nachrichtenbeschaffungszelle" haben, die unabhängig von den anderen irakischen Nachrichtendiensten operieren wird. Die Isof haben mindestens 4 500 Mann und sind damit ungefähr so stark wie die im Irak stationierten Special Forces der US-Armee selbst. Innerhalb einiger Jahre soll ihre personelle Stärke verdoppelt werden.
Nach Ansicht von Roger Carstens, Oberstleutnant im Ruhestand, bauen die US Special Forces im Irak "die effektivste Streitmacht der Region auf". Carstens arbeitete bis 2008 im Rahmen des Centre for a New American Security als Berater für die nationale irakische Antiterroreinheit und half die irakischen Antiterrorgesetze zu formulieren, die für die Isof gelten.
Von seinen "Jungs" ist er hell begeistert: "Die wollen ständig nur raus und die Bösewichte umlegen. Diese Jungs sind scheißheiß drauf. Sie sind so gut wie wir. Wir haben sie ausgebildet. Sie benutzen dieselben Waffen. Sie bewegen sich wie Amerikaner."
Als die US Special Forces im April 2007 damit begannen, die Isof schrittweise irakischer Kontrolle zu unterstellen, ging die Befehlsgewalt weder auf das Verteidigungs- noch das Innenministerium über, wie es überall auf der Welt üblich wäre. Washington drängte die irakische Regierung vielmehr zur Gründung einer neuen, auf Ministerebene angesiedelten Antiterrorbehörde. Diese untersteht direkt Ministerpräsident Nuri al-Maliki und leitet die Isof unabhängig von Polizei und Armee. So bestimmt es eine Verordnung Malikis, der zufolge auch das irakische Parlament keinerlei Einfluss auf die Isof hat und kaum etwas über deren Aufgaben erfährt.
Beaufsichtigt wurde diese Antiterrorbehörde bislang zumeist von Offizieren der US Special Forces wie Carstens. In dessen Augen ist eine solche unabhängige Kommandostelle "die perfekte Struktur" zur weltweiten Terrorismusbekämpfung.
Offiziell sind die Isof der irakischen Regierung unterstellt. Für die Leute in Bagdad aber ist die "schmutzige Brigade" eine aus Irakern zusammengesetzte Geheimtruppe der US-Armee. Das kommt der Wahrheit ziemlich nahe, denn die US Special Forces sind noch immer eng mit den Isof liiert. Das gilt von der Planung und Durchführung einzelner Missionen bis hin zu Entscheidungen über taktische Fragen und langfristige politische Ziele. Außerdem stellen die US Special Forces nach wie vor "Berater auf allen Ebenen der Befehlshierarchie", wie Brigadegeneral Simeon Trombitas einräumt. Er hat als Kommandeur des multinationalen Iraq National Counter-Terror Transition Teams den Übergang der Befehlsgewalt über die Isof-Einheiten an die irakische Regierung organisiert und begleitet.
Seit Januar 2008 war es Isof-Kommandeuren erlaubt, an gemeinsamen Missionen und Einsätzen mit den US Special Forces teilzunehmen. Und im Sommer 2008 - zur Zeit, als Hassans Familie angegriffen wurde - begannen die Isof-Bataillone unabhängig von den US-Beratern eigene Operationen in Sadr City durchzuführen, wo US-Soldaten aufgrund vertraglicher Vereinbarungen der Zutritt verwehrt ist. Seither mehren sich die Klagen über Menschenrechtsverletzungen, Erschießungen und politisch motivierte Verhaftungen, unter anderem von Oppositionspolitikern.
Die US-Regierung verfolgt nur das Ziel, "so schnell wie möglich so viele Kampftruppen wie möglich" auszubilden, meint Peter Harling, Nahostexperte bei der International Crisis Group. Dagegen hat man sich kaum bemüht, Kontrollmechanismen einzubauen, um Missbrauch zu verhindern: "Es ging vor allem darum, die Kapazitäten auszubauen, ohne eine Aufsichtsinstanz zu schaffen, die verhindern könnte, dass manche der Einheiten zu Handlangern von Politikern werden."
Sadr City ist immer noch eine Hochburg des Widerstands gegen die irakische Regierung und die US-Besatzung. Die Milizen sind zwar im Straßenbild nicht mehr präsent, aber an den Betonmauern, die von den US-Truppen um die Stadt hochgezogen wurden, kleben immer noch unzählige Bilder des antiamerikanischen Klerikers Muktada al-Sadr. Und die Gebetsrufe von den Moscheen enden mit der Forderung nach dem baldigen Abzug "des Feindes".
Hassan al-Rubaie, der für die Partei al-Sadrs im Sicherheits- und Verteidigungsausschuss des irakischen Parlaments sitzt, wirft den Isof vor, die Bewohner von Sadr City durch eine Strategie der kollektiven Bestrafung einschüchtern zu wollen: "Sie terrorisieren ganze Viertel, nur um irgendwen zu ergreifen, der angeblich ein Terrorist ist. Damit muss Schluss sein."
Die Berater der US Special Forces tun wenig, um diese Vorwürfe zu entkräften. Weder Klagen von Einzelnen noch öffentliche Proteste noch Beschwerden irakischer Offiziere noch parlamentarische Forderungen nach Auflösung der Sondereinheiten konnten die US-Regierung bisher dazu bewegen, der von ihr geschaffenen Truppe genauer auf die Finger zu sehen. Im Gegenteil. US-Berater wie Carstens unterstellen allen Klagen über die Isof politische Motive: "Der Gegner versucht doch nur, die irakischen Spezialeinheiten in Misskredit zu bringen. Das macht er nicht, weil sie etwas Schmutziges tun."
In der Nacht des Überfalls auf das Haus von Hassan Mahsan wurde der 26-jährige Haidar al-Aibi erschossen. Ohne jede Vorwarnung, berichten die Angehörigen, die mich in ihrem Wohnzimmer empfangen und Tee anbieten. An den Wänden hängen Bilder des schiitischen Märtyrers Hussein. In einer Ecke sitzt laut weinend die Mutter des Getöteten, in ihrem Schoß, fast ganz in den Falten ihres schwarzen Gewands versteckt, schläft das Kind ihres Sohnes.
Fathil al-Aibi berichtet, wie die ganze Familie um Mitternacht durch eine Explosion geweckt wurde. Sein Bruder Haidar rannte aufs Dach, um zu sehen, was los sei, und wurde sofort durch die Schüsse von einem Nachbardach tödlich getroffen. Als Fathil zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder Hussein versuchten, Haidar nach unten zu bringen, wurden auch sie beschossen. Deshalb blieb Haidar zwei Stunden lang leblos auf dem Dach liegen, während rote, von Zielfernrohren gebeamte Laserstrahlen bedrohlich über die Fenster der Wohnung huschten.
Etwa zur selben Zeit wurde am anderen Ende der Straße auf den Polizeibeamten Ahmed Schibli geschossen. Ahmed zeigt uns im Schein einer Petroleumlampe die beiden Einschusslöcher in seiner Hauswand. Die Männer, die seine Eingangstür aufsprengten, bezeichneten sich selbst als schmutzige Brigade. Sie hatten amerikanische Waffen, nicht Kalaschnikows wie die nationale Polizei. Sie haben sofort geschossen, als sie drin waren, berichtet Ahmed: "Und es waren keine Warnschüsse. Sie feuerten auf mich, als ich mich zu Boden warf, als wollten sie mich umbringen. Als seien wir Topterroristen."
Einer der Schüsse tötete Ahmeds 63-jährigen Vater. Seinem Sohn hielten die Eindringlinge ein Gewehr an den Kopf, von seiner Frau verlangten sie, das Zimmer nach seiner Dienstwaffe zu durchsuchen, die er aber auf dem Polizeirevier gelassen hatte.
Ahmed und sein Bruder wurden an den Stadtrand verschleppt, zusammen mit ihrem Nachbarn Hassan. Im Dunkeln mussten sie sich mit anderen Männern in einer Reihe aufstellen. Um seine Geschichte zu belegen, zeigt mir Ahmed die offizielle Beschwerde des örtlichen Armeekommandeurs namens Mustafa Sabah Yunis, derzufolge eine "unbekannte bewaffnete Schwadron" in seine Zone eingedrungen sei und ihn verhaftet habe.
Alarmiert durch die Schüsse waren nämlich Einheiten der irakischen Armee angerückt. Aber auch sie gerieten unter Feuer, berichtet Hussein al-Aibi. Die Soldaten haben seinen Bruder Haidar schließlich vom Dach geborgen und wollten ihn in Begleitung von Major Abu Rajdi ins Krankenhaus bringen. Doch ihr Auto wurde von einem Kämpfer der schmutzigen Brigade angehalten, erzählt Husseins Bruder Fahil. Auf die Frage, wohin sie fahren, sagte Rajdi: "Wir haben hier einen Studenten, der mit nichts etwas zu tun hat, und den ihr kaltblütig niedergeschossen habt." Daraufhin prügelte der Isof-Soldat auf Rajdi ein und befahl: "Dreh um und fahr zurück, sonst schießen wir ihn tot und dich gleich dazu."
Auf Haidars Beerdigung bat Fathil Major Abu Rajdi, den Vorfall offiziell zu bezeugen. "Sie sind ein Vertreter der Regierung und haben alles mit eigenen Augen gesehen", sagte er dem Major. "Sie haben gesehen, dass er keine Waffe trug." Aber Rajdi habe abgelehnt: "Das ist die schmutzige Brigade. Vor denen haben wir Angst. Wenn wir die sehen, treten wir den Rückzug an. Wenn ich gegen sie aussage, bin ich morgen tot. Sie killen, und niemand wird sie zur Rechenschaft ziehen, weil sie zu den Amerikanern gehören."
Mit seiner Angst steht Major Rajdi nicht allein. Das Misstrauen gegen die Isof ist in der regulären irakischen Armee ziemlich verbreitet. "Wir sind manchmal ganz überrascht, wenn sie auftauchen", sagt Oberstleutnant Yahya Rasul Abdullah, Kommandant des 3. Bataillons der 42. Brigade in Sadr City. "Es passieren schlimme Dinge. Einige von ihnen stehlen, manche vergewaltigen Frauen. Anders als wir kennen sie die Leute auf der Straße nicht. Sie greifen ohne Rücksicht auf Verluste an. Und wir haben darunter zu leiden."
Berichte über frühere Isof-Operationen in der Umgebung von Bagdad legen den Verdacht nahe, dass die Amerikaner ihren Schützlingen gewaltsame Aktionen gegen Zivilisten bewusst erlauben. In Adhamija, lange Zeit eine Hochburg des sunnitischen Widerstands in Bagdad, berichteten mir zwei Krankenhausangestellte über einen Vorfall im Jahr 2006.
Beide erzählten, dass ein Isof-Mann, der sich selbst als "Captain Hussam" bezeichnete, beim Anblick seines im Al-Numan-Krankenhaus verstorbenen Vorgesetzten eine Maschinengewehrsalve abgefeuert habe. Ein rotbärtiger US-Soldat habe schweigend danebengestanden. Einer der Augenzeugen erzählte, der Iraker habe den Totenschein seines Kommandanten verlangt und für den Fall, dass sie den Befehl nicht befolgen, gedroht: "Ich werde euch foltern, ich werde euch umbringen, und die gesamte Bevölkerung von Adhamija dazu." Nach Auskunft der beiden Zeugen sind die acht Männer, die in das Krankenhaus eindrangen, in Humvees vorgefahren, die ausschließlich US-Soldaten und Isof-Leuten zur Verfügung stehen.
Der eigentliche Leiter des Isof-Projekts ist US-General Trombitas vom Iraq National Counter-Terror Transition Team. Im Lauf seiner dreißigjährigen Militärlaufbahn hat Trombitas fast sieben Jahre lang Spezialeinheiten in Kolumbien, El Salvador und anderen Ländern ausgebildet. Im Februar führte er mich durch Area IV, eine gemeinsame amerikanisch-irakische Militärbasis in der Nähe des Bagdad International Airports, wo US Special Forces ihren irakischen Nachwuchs ausbilden. Er habe auf der ganzen Welt mit Spezialeinheiten gearbeitet, erzählt er mir mit jungenhaftem Lächeln, aber die Männer, die ich hier zu sehen bekomme, das seien "die Besten".
Trombitas ist "sehr stolz auf das, was in El Salvador geleistet wurde". Unerwähnt lässt er die Tatsache, dass aus den von US-Beratern trainierten Spezialeinheiten die Todesschwadronen hervorgingen, die in den 1980er-Jahren über 50 000 Zivilisten ermordeten, weil sie mit der linksgerichteten Guerilla sympathisiert haben sollen. Auch in Guatemala waren Angehörige der Spezialeinheiten, die in den 1960er-Jahren von den USA zur Terrorbekämpfung ausgebildet worden waren, später als Todesschwadronen an der Ermordung von rund 140 000 Menschen beteiligt. In den frühen 1990er-Jahren bildeten die US Special Forces eine Eliteeinheit der kolumbianischen Polizei aus, die im Verdacht steht, einige der Morde begangen zu haben, die den Paramilitärs zugeschrieben werden (Trombitas diente 1989/90 in El Salvador und von 2003 bis 2005 in Kolumbien, also nach diesen Ereignissen).
In einem offiziellen Blog des Verteidigungsministeriums erläutert Trombitas, dass die in Lateinamerika eingesetzten Ausbildungseinheiten "ganz leicht" in den Irak zu transferieren seien. In Bagdad erzählt er mir, dass an der Ausbildung der dortigen Isof auch salvadorianische Sonderkommandos beteiligt waren: "Wir sind eben alle Verbündete. Je länger wir zusammenarbeiten, desto ähnlicher werden wir uns. Indem wir unsere Werte und Erfahrungen an andere Armeen weitergeben, machen wir sie zu unseresgleichen."
Trombitas führt mich in eine Lagerhalle, wo schwarz maskierte Isof-Kämpfer auf uns warten. Er zeigt mir das ganze Arsenal von US-Waffen: Maschinengewehre, Scharfschützengewehre, ultramoderne Nachtsichtgeräte und Wüstentarnanzüge, in denen die Soldaten wie Teddybären aussehen. Von einer Galerie aus blicken wir auf eine Häuserattrappe hinab, an den Wänden Pin-ups mit gezückten Pistolen, in einem der Zimmer zwei lebendige Männer mit verhüllten Gesichtern, die "Terroristen" mimen, und ein vielleicht zehnjähriger Junge, der die Geisel spielt.
Plötzlich eine Explosion. Die Tür fliegt ins Zimmer, dann eine heftige Schießerei. Nach etwa einer Minute führen die Agenten des Sonderkommandos die festgenommenen "Terroristen" und die Geisel heraus. Sie bringen auch eine lebensgroße Pappschablone mit, die einen langhaarigen Typen in Jeansjacke zeigt, der eine Frau als Geisel umklammert hält. Die Stirn des Pappterroristen hat mehr als zwanzig Einschusslöcher. "Sind schon tolle Schützen!", sagt Trombitas und lächelt stolz.
Der General kommt von selbst auf die Einhaltung der Menschenrechte zu sprechen. Die US Special Forces, sagt er, nehmen jeden Vorwurf einer Menschenrechtsverletzung sehr ernst. Seit Beginn seines Einsatzes im August letzten Jahres habe man zwei Iraker wegen Gefangenenmisshandlung entlassen. Konkreter will er nicht werden. Ich spreche ihn auf einen Einsatz an, der breit dokumentiert und im irakischen Parlament heftig diskutiert wurde: Im August 2008 stürmten Isof-Einheiten - angeblich von US-Apache-Helikoptern aus der Luft gedeckt - den Regierungssitz der Provinz Dijala. Sie verhafteten ein Mitglied der Irakischen Islamischen Partei, der wichtigsten sunnitischen Partei des Landes, und außerdem den sunnitischen Rektor der Universität. In der darauffolgenden Nacht töteten sie eine Sekretärin und verwundeten vier bewaffnete Wachleute.
Beim Wort Dijala protestieren die US-Soldaten, die um uns herumstehen, sofort gereizt. Ein Dolmetscher interveniert: "Bitte, im Interesse des guten Rufs der Isof lassen wir das besser weg."
Abdul-Karim al-Samarrai ist bereit, über Dijala zu sprechen. Für den Parlamentarier, der für die Regierungspartei Vereinigte Irakische Allianz im Sicherheits- und Verteidigungssausschuss sitzt, sind die Ereignisse vom letzten August eines von vielen Anzeichen dafür, dass Ministerpräsident al-Maliki mit den Isof üble Absichten verfolgt: "Die Politiker befürchten, dass diese Streitkräfte zu politischen Zwecken eingesetzt werden." Als sich das Parlament über die Verhaftung von Politikern durch die Isof empörte, bestritt Maliki, von der Operation in Dijala gewusst zu haben, obwohl er sie hätte genehmigen müssen. Wenn aber der Mann, der offiziell für die Isof-Einsätze verantwortlich ist, keine Ahnung von dem Einsatz hatte, von wem kam dann der Befehl? Oder hat Maliki gelogen, um zu vertuschen, dass er das Sonderkommando für politische Zwecke nutzt? Oder haben andere, sprich die Amerikaner das Sagen?
Dijala war nur der erste öffentlich gewordene Fall von Verhaftungen, die womöglich politisch motiviert waren. Im Dezember 2008 nahm ein Isof-Kommando 35 Beamte des Innenministeriums gefangen, die angeblich Gegner von Malikis Islamischer Dawa-Partei sind. Im März 2009 setzten die Isof mindestens einen Führer der Awakening Councils fest. Das sind die halb offiziellen Nachbarschaftsmilizen, die von Maliki zunehmend enttäuscht sind, weil er sie weder, wie versprochen, in die irakische Armee integriert noch mit anderen Jobs versorgt hat.
Der Irak-Experte Michael Knights sagt, die Regierung Maliki habe eine "Kultur der direkten Kontrolle" entwickelt. Als Mitarbeiter des regierungsnahen Washington Institute for Near East Policy, dessen Irakabteilung er leitet, reist Knights regelmäßig nach Bagdad und hat enge Kontakte zu den Sicherheitsdiensten des Landes. Er ist überzeugt, dass die Isof auf regionaler Ebene von "handverlesenen, loyalen Anhängern oder Verwandten von Maliki" kontrolliert werden. Das erinnert ihn an Saddam Hussein. Dass Maliki jeden Einsatz persönlich genehmige oder ablehne, sei nur eine Vermutung, doch der Regierungschef mache gelegentlich durchaus "von seinem Privileg als Oberkommandierender der Streitkräfte Gebrauch". Knight hält es für möglich, dass sich die Isof zu Malikis persönlicher Todesschwadron entwickeln. "Der Ministerpräsident bemüht sich um seine Wiederwahl, und seinen Möglichkeiten sind kaum Grenzen gesetzt." Das zeige sich schon an der Art und Weise, wie seine Regierung seit Jahren mit den Sadristen umspringt.
Samarrai fordert, zusammen mit anderen Parlamentsmitgliedern, die Auflösung des Antiterrorbüros. Für die Existenz einer bewaffneten Brigade außerhalb der Kontrolle von Innen- oder Verteidigungsministerium gebe es keinerlei Rechtsgrundlage: "Die Leute haben Angst vor einer Organisation mit so schrecklichen Fähigkeiten, die direkt dem Premierminister unterstellt ist."
Ein Kollege Samarrais stört sich an den engen Verbindungen zwischen Isof und Amerikanern: "Wenn die USA aus dem Irak abziehen, wird dies die letzte Streitmacht sein, die sie hier lassen," sagt Hassan al-Rubaie. Er befürchtet, eine so mächtige, verdeckt operierende Einheit, die eng mit den Amerikanern liiert bleibt, könnte den Irak zur "US-Militärbasis der Region" machen. Für ihn sind diese Spezialtruppen zu "Ersatz"-Amerikanern geworden.
Präsident Barack Obama hat bereits angekündigt, dass er in Zukunft stärker auf die US Special Forces setzen will. Und Verteidigungsminister Robert Gates hat zum Oberbefehlshaber in Afghanistan jenen General Stanley McChrystal ernannt, der von 2003 bis 2008 als Chef des Joint Special Operations Commands geheime Militäroperationen geleitet hat und für die Ausbildung von Spezialeinheiten im Ausland zuständig war. In dieser Rolle kommandierte er auch fünf Jahre lang die US Special Forces im Irak.
"Für unsere Eliteeinheiten bedeutet der Abzug aus dem Irak nicht das Ende ihrer Mission", hat Gates im Mai 2008 erklärt, damals als Verteidigungsminister der Bush-Regierung. Seit Obama ihn als Verteidigungsminister übernahm, hat sich Gates zu dieser Frage nicht mehr geäußert. Doch Obama selbst will die Fähigkeiten zur irregulären Kriegsführung institutionell weiter ausbauen. Und das Weiße Haus betont neuerdings die Notwendigkeit "einer zuverlässigeren Ausbildung, Ausrüstung und Beratung ausländischer Sicherheitskräfte, damit unsere Verbündeten vor Ort gemeinsamen Bedrohungen besser entgegentreten können".
Wie der Experte Bowden betont, bieten diese "Verbündeten vor Ort" den USA die Möglichkeit für verdeckte Einsätze: "Die ideale Geheimoperation ist eine, die von lokalen Spezialeinheiten durchgeführt wird."
Am Ende meines Besuchs in Area IV frage ich Trombitas, wie lange die USA noch mit den Isof zusammenarbeiten werden. "Die Spezialeinheiten sind auch deshalb speziell, weil wir durch sie unsere Beziehungen zu den ausländischen Einheiten aufrechterhalten", lautet die Antwort. Dann fügt er langsam hinzu: "Unsere Arbeitsbeziehung wird wohl noch eine ganze Weile halten."
Aus dem Englischen von Robin Cackett
© Contrapress media GmbH Vervielfältigung nur mit Genehmigung des taz-Verlags
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“