: Aus Kunstgewerbe wird Kunst
WIEDERERÖFFNUNG Das Kunstgewerbemuseum am Kulturforum wird heute Abend nach dreijährigem umfangreichen Umbau eröffnet. Ausstellungsräume sind aufwändig neuorganisiert. Hinzugekommenen ist die Modesammlung
■ Mit der Wiedereröffnung des Berliner Kunstgewerbemuseums bekommt die Hauptstadt erstmals eine Dauerausstellung zur Modegeschichte. Nach Sanierung ist das Ausstellungshaus am Kulturforum von Samstag an wieder geöffnet. Zu sehen sind Kleider, Hüte, Schuhe, Taschen, Handschuhe und weitere Accessoires aus der Zeit des 18. Jahrhunderts bis ins 21. Jahrhundert. Grundlage der neuen Modegalerie ist die 2009 angekaufte internationale Sammlung von Martin Kamer und Wolfgang Ruf. (dpa)
VON RONALD BERG
„Im weiß gestrichenen fast leerem Raum steht heute das Wenige, nur äußerst Notwendige an Einrichtung.“ Dieses Zitat von Mies van der Rohe findet sich als Beschriftung zu Couch und Schreibtisch aus dem Landhaus Lemke in Berlin-Hohenschönhausen. Mies hatte das kleine Haus 1932 gebaut und mit eigens entworfenen Möbeln eingerichtet. Jetzt stehen diese Möbel im wiedereröffneten Kunstgewerbemuseum, und der Text gibt so etwas wie das Credo der neugestalteten Einrichtung des Hauses ab.
Das 1985 eröffnete Kunstgewerbemuseum galt, kaum war es endlich fertig, als das hässlichste Gebäude im damaligen Westberlin. Nach 19-jähriger Planung, Revisionen, Umplanungen und Bauarbeiten hatte sich der modernistische Geist der sechziger Jahre verflüchtigt, mit dem Architekt Rolf Gutbrod (1910–1999) seinen Bau ursprünglich entworfen hatte. Das Haus mit seiner fensterlosen Fassade gegenüber der Scharoun’schen Philharmonie war im Übrigen nur als Teil einer ganzen Museumslandschaft gedacht, die Gutbrod ebenfalls ausführen sollte.
Dazu ist es nicht mehr gekommen. Was sich jetzt als Kulturforum zwischen Tiergartenrand und Sigismundstraße mit Kunstgewerbemuseum, Gemäldegalerie, Kupferstichkabinett, Kunstbibliothek und einer absurd misslungenen, zentralen Eingangshalle samt Zugangsrampe erstreckt, ist das verkorkste Ergebnis jahrzehntelanger Querelen. Vor allem krankt das Kulturforum daran, dass eine kühne modernistische Planung in eine postmoderne Mediokrität abgebogen wurde. Jetzt, da die Postmoderne auch schon wieder Geschichte ist, lässt sich Gutbrods Kunstgewerbemuseum noch einmal ganz neu bewerten. Nichts anderes hat Sabine Thümmler, die Direktorin des Kunstgewerbemuseums, getan. Nach gerade einmal einem Jahr im Amt ließ sie ihr Museum schließen, um es jetzt nach drei Jahren innerer Neuorganisation wieder zu öffnen. Thümmler, die zuvor das Deutsche Tapetenmuseum in Kassel geführt hatte, „mag das Gebäude sehr“, wie sie sagt. Selbst der Streifenornamentik an der vorgeblendeten Backsteinfassade des Museums kann sie etwas abgewinnen. Schließlich hat sie über Ornamentik promoviert. Die frühere Kritik an Gutbrods Haus kontert sie mit dem Hinweis, man habe es bisher „gründlich missverstanden“. Tatsächlich sind die anthroposophischen Anklänge mit den fünfkantigen Stützen und den im Grundriss gegeneinander verschobenen Quadranten kaum jemandem aufgefallen. Was einem jetzt als Ergebnis der Neugestaltung hinter dem Eingang des Museums aber erwartet, muss zunächst schockieren. Zu sehen sind kahle Wände und weiter leerer Raum. Vor der Neugestaltung bot sich hier ein völlig anderes Bild. Die offene Struktur mit der zentralen Freitreppe ließ den Blick in die unteren und oberen Geschosse schweifen. Wo zuvor rings um die Treppenanlage allerlei Vitrinen standen, erlaubt die Leere jetzt nur den Blick auf sogenannte „Superzeichen“: dick-rote Schrift, die den Besucher „buchstäblich“ auf die entsprechenden Inhalte hinter den neu eingezogenen Leichtbauwänden des Architekturbüros Kühn Malvezzi verweisen.
Das Berliner Architektenteam hatte bereits 2004 den Wettbewerb zur „Neuordnung der Ausstellung und Umgestaltung des Foyers“ gewonnen. Thümmlers neuer Ansatz hat die Schausammlung des Museums „konzentriert“ und radikal zwischen Verkehrs- und Ausstellungsflächen getrennt.
Die Highlights vom Mittelalter bis in die Renaissance präsentieren sich allerdings überraschenderweise hinter den neuen Wänden fast wie früher gewohnt. Natürlich ist der Welfenschatz wieder zu sehen. Die vielen, golden blinkenden Reliquiare, die Heinrich der Löwe einst dem Braunschweiger Dom gestiftet hatte, beinhalten noch die heiligen Gebeine. Es ist allerdings bisher noch nicht vorgekommen, dass ein gläubiger Katholik sich hier zum Beten niederwarf. Die Konversion von Kultgerät aus der religiösen in die museal-ästhetische Sphäre ist also gelungen. Thümmlers Ansatz bei den neu gestalteten Abteilungen von Design, Jugendstil und der neu hinzugekommenen Modesammlung scheint diese Umwertung noch weiterzutreiben, gemäß dem Motto: Aus Kunstgewerbe wird Kunst.
Am ehesten ist das bei jenen Keramikfiguren einzusehen, die von Künstlern wie Ernst Barlach nun wirklich keinen praktischen Gebrauchswert haben. Genauso übrigens wie das Lüneburger Ratssilber aus dem 16. Jahrhundert – ein weiteres Glanzlicht des Museums. Die Prunkpokale und -schalen dienten nur zum Repräsentieren. Auch die neue Modeabteilung mit ihren Kleidern von etwa 1850 bis fast hinein in die Gegenwart zeigt ausschließlich Haute Couture, also Kleidung, die für Repräsentationsanlässe getragen wird (Dior, Versace, YSL und so weiter). Die Schaufenstervitrinen entlang der ansonsten abgedunkelten, durch Kühn Malvezzi eingezogenen Gänge unterstreichen den Charakter der Kleider als Preziosen. Und im Grunde genommen funktioniert die gesamte Gestaltung von Thümmler so, dass sie Möbel, Schmuck oder auch Services als ästhetisch wertvolle Meisterstücke vorführt. Ein Vergleich mit anders gearteten Stücken oder eine historische Kontextualisierung findet abgesehen von den von Thümmler verfassten Einleitungstexten in der Designabteilung zum 20. Jahrhunderts nicht statt. Mit der Konzentration auf einige herausragende Einzelstücke knüpft Thümmler bewusst an die Ursprünge des eigenen Hauses an. Das Kunstgewerbemuseum wurde ja 1868 als Ort der Geschmacksbildung und als Vorbildsammlung für Handwerk und Industrie gegründet. Dazu passt, dass das Kunstgewerbemuseum jetzt die Nähe zu Modeschulen und Designhochschulen sucht und sich neuerdings als „Schnittstelle zur Kreativwirtschaft“ versteht.
■ Kulturforum, ab 22. November, Di bis Fr 10–18, Sa, So 11–18 Uhr