Augmented Reality im Gropius Bau: Ich sehe was, das du nicht siehst
Ana Prvačkis AR-Ausstellung im Lichthof des Gropius Baus zeigt via App ein blühendes Paralleluniversum. Es ist eine kollektive Halluzination.
Der Lichthof des Gropius-Baus ist einer der prachtvollsten Ausstellungsräume, die Berlin zu bieten hat. Im ehemaligen Kunstgewerbemuseum – ein historistischer Mischmasch aus Schinkels Bauakademie und Renaissance-Palast – sollten die Architektur und die Ausstattung selbst von exemplarischer Qualität sein. Heute kann man sich kaum noch vorstellen, dass hier nach Kriegsende bis 1978 nur eine ausgebrannte Ruine ohne Dach und ohne Fenster die alliierte Bombardierung überstanden hat und im Lichthof ein ganzer Wald wucherte.
Ein bisschen Natur bringt nun die Augmented-Reality-Arbeit „Apis Gropius“ der serbischen Performance- und Installationskünstlerin Ana Prvački zurück in das zweigeschossige Atrium, allerdings mithilfe modernster Technik. Auf den ersten Blick erscheint der Lichthof bis auf einige Sofas und Bänke leer. Aber wenn man die App „Gropius-Bau“ aufs Smartphone geladen und die Arbeit „Apis Gropius“ gestartet hat, findet man sich bei einem virtuellen „Ich sehe was, was du nicht siehst“ wieder.
Als wären sie alle Teilhaber einer kollektiven Halluzination, winden oder bücken sich die Besucher, um ein Paralleluniversum auszuloten, das nur per Telefon oder einem der Tablets, die an der Kasse ausgegeben werden, zugänglich ist. Denn Ana Prvački hat sich als „artist in residence“ am Gropius-Bau im vergangenen Jahr eine fiktive Bienenart ausgedacht. Aus einer der schwarzen Marmorsäulen rückt dieser Schwarm der Gropius-Bienen aus und fliegt eine Reihe von Honigwaben an, die unter dem Deckenfenster hängen.
Die Bienen ernähren sich aus rosa Blumen, die aus den floralen Motiven auf den Bodenkacheln sprießen. Überhaupt fällt einem dank der Arbeit plötzlich auf, wie viele Naturmotive in der Innengestaltung des Gropius-Baus zu finden sind: die Säulen münden in stilisierten Blüten, in den Gipsornamenten dazwischen erkennt man Eichenblätter, Zweige und andere Pflanzenteile.
Die eigentlich unmöglichen Bilder der Augmented-Reality-Arbeit, die sich auf dem Monitor über Echtzeitbilder aus dem physischen Raum legen, haben dabei so eine Überzeugungskraft, dass man wirklich erstaunt ist, wenn man sie von der Empore im ersten Stock nicht mehr zu sehen bekommt.
Schiefe Metaphern
So ganz vertraut Prvački der Kraft ihrer Arbeit auf dem Smartphone-Monitor dann aber doch nicht und ergänzt die Bilder von den triefenden Honigwaben mit einem poetischen Voiceover, der einige schiefe Metaphern enthält: Erst sollen wir Bienen sein, die den Honig der Bilder um uns herum einsammeln, dann Honigwaben, die mit visuellen Materialien gefüllt werden. Auch eine langatmige Einleitung zu der Arbeit trägt nicht unbedingt zum direkten persönlichen Zugang zu einem Werk bei, das eigentlich auch ohne gewundene Ausführungen der Künstlerin ganz gut zu rezipieren ist.
Augmented-Reality-Arbeiten wie die Prvačkis sind derzeit en vogue: Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Kunstforum hat dem Thema eine lange Titelgeschichte gewidmet, in Düsseldorf findet bereits zum zweiten Mal die „AR-Biennale“ statt. Wer boshaft ist, mag finden, dass bei diesen Werken lediglich der Status quo beibehalten wird: Alle starren wie hypnotisiert aufs Handy.
Doch andererseits kann man AR-Kunst als eine neue, technisch zeitgemäße Weiterentwicklung der Kunst im öffentlichen Raum sehen, die dabei noch den zusätzlichen Reiz hat, sich nur Eingeweihten zu zeigen.
Ana Prvački zeigt alle ihre Werke nur unter der Bedingung, dass der Betrachter für sie keinen Eintritt bezahlen muss. Der Gropius-Bau ist daher derzeit frei zugänglich,und man kann gleich noch einige Installationen zum Thema künstliche Intelligenz im ersten Stock mitnehmen sowie je eine Arbeit von General Idea und Pallavi Paul als eine Art Trailer für die beiden nächsten großen Ausstellungen, die im Gropius-Bau im Herbst zu sehen sein werden.