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Auftritte Adolf Hitler konnte zum „Führer“ werden, weil die Deutschen an Genies glauben: Wolfram Pyta erweitert den Blick auf die NazizeitDer Künstler an der Macht

Politik als Gesamtkunstwerk: Ein Aufführungskünstler war Hitler ohne Zweifel. Aber warum folgten ihm die Deutschen? Foto: ap

von Wolfgang Ruppert

Wer den deutschen Diktator als „Bestie“ dämonisiert, muss dieses Buch nicht lesen. Wer aber wissen möchte, wie ein bis zum dreißigsten Lebensjahr durchschnittlicher Mensch wenig später zahlreiche Anhänger unter den Deutschen hinter sich bringen und schließlich zum Massenmörder werden konnte, dem bietet es Teilerklärungen an.

Der Stuttgarter Historiker Wolfram Pyta sieht in der suggestiven „Performativität“ Hitlers einen entscheidenden Grund für dessen Erfolg. Dieser Begriff aus der Theaterwissenschaft weist der Art und Weise von Auftritten und ihrer Wirkung eine eigene Bedeutung zu. Fotografien Heinrich Hoffmanns belegen, wie sehr Hitler daran arbeitete.

Obwohl Hitler der meist beforschte Mensch deutscher Sprache des 20. Jahrhunderts ist, blieb bislang die Fragen offen, mit welchen Mitteln es ihm gelang, seine „Gefolgschaft“ zu formieren, die ihm oberste Autorität zuerkannte und ihre Treue schließlich höher stellte als das christliche Tötungsverbot. Dieser besonderen Beziehung zwischen „dem Führer“ und den in offenkundigen „Glaubenserwartungen“ auf ihn bezogenen Deutschen lagen kulturelle Muster zugrunde, die in der Künstlerrolle wurzeln.

Bisher wurde das Wechselverhältnis zwischen Führer und Gefolgschaft mit dem Konzept der „charismatischen Herrschaft“ von Max Weber erfasst. Auch Pyta greift dieses auf. Für ihn spielen nun aber die symbolischen Mittel einer „perfekten Präsentation in öffentlichen Auftritten“ die bedeutsame Rolle, auf die ausgerichtet Hitler seine „Ästhetisierung des Politischen“ betrieb. Bekanntlich sah Walter Benjamin schon 1934/35 darin ein Merkmal der nationalsozialistischen Massenbewegung.

Der Beziehung zu Hitler lagen kulturelle Muster zugrunde, die in der Künstlerrolle wurzeln

Bereits in seiner Jugend hatte Hitler die ästhetische Wirkung von Richard Wagners Opernkunst im Zusammenspiel von Ton, Text und Bühne als eine neue Form des Gesamtkunstwerks bewundert, die eine Lehrbühne auch für den späteren Politiker blieb. Er entwickelte sein Selbstbild mit dem Ziel, Künstler zu werden, scheiterte jedoch im Medium der Malerei. Hier kam er über mittelmäßige Ansichten in Aquarellform zum eigenen Lebensunterhalt nicht hinaus. Noch während des Ersten Weltkrieges bis in das Frühjahr 1919 hinein blieb Hitler ein politisch wenig festgelegter Zeitgenosse, der viel las. Antisemitismus lässt sich bis dahin bei ihm nicht nachweisen. Pyta geht davon aus, dass Hitler erst im Verlauf der allgemeinen Empörung über die Bedingungen des Versailler Vertrages im Mai 1919 politisiert wurde.

Hier setzt Pytas Analyse an. Im Sommer dieses Jahres wurde der Gefreite von der Reichswehr in Rhetorikkursen zum Agitator ausgebildet, um dem Einfluss der radikaleren Linken entgegenzuwirken. Es ist bekannt, dass sich seine rednerische Befähigung schnell zeigte, er zur Führungsfigur in der NSDAP aufstieg und größere Versammlungshallen wie den Circus Krone in München füllte. Dies führt Pyta bereits auf Hitlers suggestiven Ausdruck zurück, Stimme und Körpersprache in sich stimmig zusammenzuführen. Dieser professionalisierte sich zu einem „politischen Aufführungskünstler“, der nicht allein Inhalte darlegen wollte, sondern seine Kundgebungen, zur Begeisterung seiner Zuhörer, als performativen Akt ausgestaltete.

An der Suggestion der Sinne hielt er später bei der Ausgestaltung der Rituale der Partei und schließlich der Reichsparteitage fest. Hierin lag seine Stärke, so die These Pytas, mit der er die zahlreichen Konkurrenten im völkischen Lager, in der eigenen Partei, schließlich in der Regierung ausstach. Auf diese kreative Fähigkeit bezieht Pyta den Untertitel: „Der Künstler als Politiker und Feldherr“.

Eine zweite Ebene bildet den Gegenpol dazu: Mit den außenpolitischen und schließlich militärischen Erfolgen zwischen 1933 und 1940, der Revision des Versailler Vertrages bis zum militärischen Sieg über Frankreich, wuchs ihm der Mythos eines Genies zu, mit einer besonderen Intuition begabt zu sein. Diese Erzählung schloss an den in der Gesellschaft vorhandenen Geniediskurs und die Wirkungsmacht von damit verbundenen Erwartungen an.

Pyta bescheinigt Hitler nicht zuletzt besondere intuitive Kompetenz beim Lesen von militärischen Karten. Indem er sich in seiner Wahrnehmung des Geländes abseits der Konventionen der Generalstäbe bewegte, erzielte er mit seinen Befehlen Überraschungserfolge in der Kriegsführung. Auch bei den Planungsrunden im Führerhauptquartier trug die Kul­turtechnik der schnellen zeichnerischen Umsetzung von Ideen in Entwurfsskizzen zur inneren Durchsetzung seines autoritären Führungsanspruchs bei. Noch 1943 verklärte ihn ein mit Eichenlaub dekorierter General: „Er führt uns zum Endsieg, einer herrlichen Zukunft entgegen.“

Mit seinem Buch erweitert Wolfram Pyta die Geschichtswissenschaft, die in der logozentrierten Auffassung verharrte, „nur der in Texten fassbare Hitler sei der politisch agierende Hitler“ (Pyta) gewesen.

Wolfram Pyta:„Hitler. Der Künstler als Politiker und Feldherr“. Siedler Verlag, München 2015, 848 Seiten, 39,99 Euro

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