Auftakt Handball-WM: Ein tugendhaftes Team
Das Nationalteam, das bei der WM ins Achtelfinale will, wird von den kleinen Vereinen bestückt, große Namen fehlen. Das Achtelfinale soll trotzdem drin sein.
STUTTGART taz | Auch Uwe Gensheimer hatte am Mittwochabend den Weg in die Stuttgarter Rennauto-Arena gefunden. Er tat dort, was er derzeit tun kann: Der Linksaußen der Rhein-Neckar Löwen schüttelte Hände, stand für Fotos mit den Fans bereit, gab Autogramme und Interviews.
Nur Handball konnte Gensheimer nicht spielen, ein Achillessehnenriss hindert ihn daran. Am 35:25-Sieg der deutschen Handball-Nationalmannschaft im letzten WM-Test gegen Rumänien war der Mannheimer also nicht beteiligt, auch im Flieger, der die Mannschaft von Bundestrainer Martin Heuberger am Donnerstag zur Weltmeisterschaft nach Spanien flog, suchte man ihn vergebens.
Gensheimer ist freilich nicht der einzige der aktuell ohnehin wenigen großen Namen im deutschen Handball, die bei der WM fehlen. Auch Holger Glandorf, Lars Kaufmann (beide SG Flensburg-Handewitt) oder Michael Kraus (HSV Hamburg) sind nicht mit von der Partie. Vor allem in Glandorfs Fall erhitzte das schon im Vorfeld die Gemüter. Der Rückraumspieler zeigte sich nach langer Verletzungspause im Ligabetrieb zuletzt in blendender Form, für die WM freilich sagte er ab, weil er die Zeit zur Regeneration nutzen möchte.
Grollender Heiner Brand
„Diese Entscheidung ist nicht nachvollziehbar“, grollte prompt Heiner Brand, verbunden mit grundlegender Kritik an Teilen der Liga: „Einige Vereine geben immer noch nicht das zurück, was nötig wäre. Da sind die Egoismen weiterhin erkennbar“, stellte der ehemalige Bundestrainer und jetzige Sportdirektor des Deutschen Handballbundes fest.
Martin Heuberger, seit anderthalb Jahren Brands Nachfolger im schweren Bundestraineramt, macht ein Gesicht, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen, wenn dieses Thema aufkommt. Er ist es einfach leid. „Das Thema ist durch“, sagt er stattdessen. Er will nicht länger über die reden, die nicht mit zur WM fahren, sondern über jene, die dabei sind.
Über die sagt er: „Ich bin von dieser Mannschaft überzeugt.“ Der Mann aus Schutterwald sagt aber auch: „Die Mannschaft befindet sich im Umbruch. Man muss ihr Zeit geben.“
Fakt ist: Es ist eine Mannschaft der eher kleinen Namen aus den eher kleineren Bundesligavereinen, die da Donnerstag zur WM nach Spanien geflogen ist. Nur drei Spieler der Topklubs THW Kiel (Dominik Klein und Patrick Wiencek) und Flensburg (Steffen Weinhold) waren mit an Bord, dafür ebenso viele der HSG Wetzlar (Tobias Reichmann, Kevin Schmidt, Steffen Fäth). Insgesamt stehen sechs WM-Novizen im Team, neben Wiencek, Weinhold und den drei Wetzlarern gibt auch der Magdeburger Stefan Kneer sein WM-Debüt.
Altes Problem Einsatzzeiten
„Es ist unser Bestreben, eine Mannschaft für die Zukunft aufzubauen“, sagt Heuberger dazu passend. Für die Gegenwart, also diese Weltmeisterschaft, gilt laut Bundestrainer indes: „Es wäre vermessen, von Medaillen zu sprechen. Davon sind wir weit entfernt.“ Wann solche überhaupt wieder in Aussicht stehen könnten, lässt der 47-Jährige indes offen. „Ich alleine kann das eh nicht. Dafür brauche ich die Unterstützung der Liga.“
Schließlich finde dort die Hauptarbeit mit den Spielern statt. „Das alte Problem sind die Einsatzzeiten“, sagt Heuberger. Gerade in den deutschen Topklubs sind die spielbestimmenden Positionen im Rückraum zum Großteil unvermindert mit Personal aus dem Ausland besetzt. Entsprechend sagt der Bundestrainer über seine Mannschaft: „In der Breite sind wir sehr gut aufgestellt. Aber auch der ein oder andere Topspieler täte uns sicherlich ganz gut.“
Deutsche Tugenden
Mit wirklicher Weltklasse ist das aktuelle DHB-Team nur durch den Berliner Silvio Heinevetter im Tor gesegnet und, schon mit Abstrichen, auf den beiden Außenpositionen durch den Kieler Klein sowie den Rhein-Neckar-Löwen Patrick Groetzki. Dem Rückraum indes kann – zumindest international gesehen – kaum mehr als das Prädikat solide angeheftet werden, auch für die Spielmacher Michael Haaß (FA Göppingen) und Martin Strobel (TBV Lemgo) gilt dies.
Was an individueller Klasse fehlt, soll entsprechend durch mannschaftliche Geschlossenheit, Kampfgeist und Leidenschaft kompensiert werden. Oder mal so gesagt: Was bei den Fußballern verpönt ist, muss die Handballer wohl über die WM retten: deutsche Tugenden. „Wir können bei der WM eine Mannschaft erwarten, die sich zerreißt und kämpft bis zum Umfallen“, verspricht folgerichtig Mannschaftskapitän Oliver Roggisch (34), der älteste und wohl auch tugendsamste im Team.
Zumindest bis ins Achtelfinale soll das die deutschen Handballer führen. Mindestens Platz vier in der Vorrundengruppe A, in der Brasilien, Tunesien, Argentinien, Montenegro und Titelverteidiger Frankreich die Gegner sind, ist dafür notwendig. „Das wird schwer genug“, sagt Martin Heuberger.
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