Aufsteiger FC Erzgebirge Aue: "Verbissenheit und Geilheit"
Der Zweitligist FC Erzgebirge Aue, die neue Nummer 1 im Osten, überzeugt seit Jahren durch solides Wirtschaften. Jetzt ist sogar ein Durchmarsch in die Bundesliga möglich.
Noch ist es nicht so weit, dass sich Borussia Dortmund nach der Reiseroute ins Erzgebirge erkundigen würde. Noch liegen 22 Spiele in Liga 2 vor der Mannschaft aus Aue. Noch ist unklar, ob sich die "Veilchen", wie sie ob ihrer lila Leibchen genannt werden, dauerhaft an der Tabellenspitze festsetzen und am Saisonende womöglich sogar aufsteigen.
Doch schon jetzt dürfen sie in ihre Vereinschronik schreiben, dass sie im Herbst des Jahres 2010 ganz oben standen, für drei Tage zwar nur, aber immerhin. Zuletzt war das dem Zweitligisten im August 2004 gelungen; damals rutschten sie noch auf Platz 7 ab.
Wenn sich der FC Erzgebirge Aue ins Rampenlicht schiebt, dann steht der traditionsreiche Verein nicht nur für den Erfolg in einem kleinen, nur 16.000 Einwohner zählenden Städtchen an der Lößnitz im Süden Sachsens, sondern dann wird auch immer über den Stellenwert des Ostfußballs debattiert.
Aue, der kleine Verein, der sich ein Portfolio mit 230 Firmen - 1993 waren es nur 16 - zusammengestellt hat, steht beispielhaft für vernünftiges Wirtschaften und Vertrauen in die eigenen Leute. "Die kommen da alle aus der Region", freut sich Klaus Reichenbach, Chef des sächsischen Fußballverbandes. "Da gibt es keine Befremdungen, wenn sie wissen, was ich meine." In Aue habe also kein "Wessi" reingepfuscht, sich bereichert und nur noch verbrannte Erde hinterlassen.
Dresden und Leipzig machten so ihre Erfahrungen mit Fußballusurpatoren, Aue hingegen war in den Nachwendejahren nicht interessant für Ausschlachter aller Art. Denn just zur Wende war der Verein abgestiegen und wie von der Bildfläche verschwunden. "Wir sind in dieser Zeit durch tiefe Täler gegangenen", sagt Bertram Höfer, jahrelang der Finanzchef des Klubs und mittlerweile im Aufsichtsrat als Vize tätig. "Wer die Täler kennt, der genießt jetzt die Aussicht von den Bergen."
Es waren Höfer, ein Mann aus der Textilbranche, und vor allem die Brüder Leonhardt mit ihrer Blechdosenfabrik, die den Klub über 17 Jahre lang prägten. Das Trio ist jetzt in die zweite Reihe gerückt, auch weil man Uwe Leonhardt, dem Expräsidenten, unterstellte, er habe "ein paar Flausen im Kopf" gehabt.
Präsent sind die Architekten des Auer Erfolgs aber noch immer, das Sagen haben nun andere Mittelständler aus der Region. "Flausen" sind in Aue nicht gern gesehen. Hier hat es bitteschön bodenständig zuzugehen, ehrlich und redlich. Das hat einerseits damit zu tun, dass die Auer Klubchefs in der Region nicht ihr Gesicht verlieren wollen, aber wohl auch mit der Bergmannstradition. Bis in die Neunzigerjahre hieß der FC Erzgebirge Aue noch Wismut Aue.
Im Wismut-Kombinat wurde unter sowjetischer Aufsicht von 1947 bis 1990 Uranerz gefördert. Wismut fungierte als Geldgeber des Vereins. Viele Spieler arbeiteten im Bergbau. Das alte Wappen der Betriebssport-Gemeinschaft (BSG) Wismut Aue zieren zwei gekreuzte Hämmer, Insignien der Knappen, mit denen die Fans lieber ins Stadion gehen als mit dem neuen Vereinszeichen.
Die montane Ära ist in Aue freilich vorbei. Ein paar Fanklubs, die auch bisweilen das Steigerlied intonieren, spielen aber noch auf die Vergangenheit an. Sie nennen sich "Schachtis", "Uranies" oder "Radioaktiv".
Das Erzgebirge brachte bislang sehr erfolgreich Nussknacker und Schwibbögen unters Volk, jetzt soll in kleinen Stückzahlen auch der Fußball exportiert werden. Aue beruft sich auf eine gewisse Tradition; in den Fünfzigerjahren wurden sie - allerdings unter dem Namen Wismut Karl-Marx-Stadt - mehrfach DDR-Meister und spielten auch im Europapokal (letztmalig 1987).
Expräsident Uwe Leonhardt weiß um den besonderen Stellenwert des Auer Fußballs: "Aue hat viel mehr Tradition als zum Beispiel Energie Cottbus, wir waren zu DDR-Zeiten eine Kultmannschaft, da wollen wir jetzt wieder hin." Sein Zwillingsbruder Helge hat einmal vom "FC Schalke des Ostens" gesprochen.
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Mit kleinen Schritten bewegt sich Aue aber stetig nach vorn. Vor kurzem hat man das Stadion saniert, die Gegentribüne überdacht - und dafür nur einen Bruchteil der von Uwe Leonhardt einmal anvisierten 44 Millionen Euro ausgegeben.
Während anderswo Traditionsklubs aus dem Osten an der eigenen Misswirtschaft zugrunde gegangen sind, gehört es zur Maxime der Erzgebirgler, mit Geld sparsam umzugehen. Aktuell liegt der Etat bei etwa 8,5 Millionen Euro. Schuldenfrei ist Aue nicht. "Der Aufstieg aus der Dritten Liga hat Geld gekostet, aber wir haben die Lizenz bekommen", sagt Höfer. Das Team sei "eine Mannschaft im wahrsten Sinne des Wortes". Der Trainer Rico Schmitt passt gut ins Auer Gefüge. Sein Auftreten erinnert ein wenig an das eines Feldwebels, überdies spricht er gern von "Verbissenheit und Geilheit", die er beim Personal sehen möchte.
Der Sachse hat sich hochgearbeitet, genauso wie der FC Erzgebirge. Seine Trainerlaufbahn begann 1999 beim unterklassigen Altchemnitzer BSC 97. Ein paar Jahre später landete er in Aue, wo er zunächst schief angeschaut wurde. Aber man hat flugs erkannt, dass er mit seiner trockenen Art schnell von den Fans adoptiert werden würde. Die mögen eh keine Selbstdarsteller.
Auf die steht Klaus Reichenbach, der sächsische Fußballchef, auch nicht. All den ostdeutschen Vereinen, die Neppern auf den Leim gegangen sind oder die die schnelle Mark machen wollten, empfiehlt er Aue als Vorlage zum Abpausen. "Da findet gerade ein kleines Wunder statt", schwärmt er. "Es hätte für den Osten eine Signalwirkung, wenn Aue aufsteigt."
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