: „Aufstehen, kriechen, lecken“
■ Jugendtheaterfestival: Explosives aus Holland und Polen
„Aufstehen, setzen, kriechen, lecken,“ schreit eine, und sechs Mädchen folgen ihr aufs Wort. Die Außenseiterin weiß sich zu behaupten, auch wenn die anderen Mädchen im Internat schon mal über sie herfallen und sie zusammenschlagen.
In feinen, humoristischen Nuancen setzten gestern im Schlachthof auf dem internationalen Jugendtheaterfestival „Explosive“ die holländischen Darstellerinnen in ihrem Stück „Wild Koppig Bloed“ Kraftausbrüche von wildem Spaß ab. Ihr Bewegungstheater erzählte fein und gleichzeitig dynamisch den Wunsch nach Freundschaft und Behauptung. Die Choreographin Hildegard Draayer aus Amsterdam hat auf der Basis von Improvisationsarbeit ein Stück, das stark an Pina Bausch erinnert, erarbeitet.
Immer wieder bricht das Komische durch, während die Codes von Schönheit und Coolness auseinandergenommen werden. Jedes der Mädchen versucht mit „I feel pretty“, einem Song aus der Westside-Story, mal zu zeigen, wie schön sie denn ist. Doch nicht selten brechen Text und Gefühle auseinander. Kino ist Bezugspunkt für Hildegard Daayer, Suspense und Rhythmus machen aus „Wild Koppig Bloed“ ein sattes Stück, das das jugendliche Publikum begeisterte.
Das anschließend im Schlachthof vorgestellte Stück „Teatr Dada von Bzdülöw“, das der polnische Choreograph Leszek Bzydyl mit einer Gruppe von Jugendlichen einstudierte, bezieht sich auf Bilder und Fragmente von Dramen Heiner Müllers. Das Bewegungstheater der Jugendlichen, die in Danzig seit vier Jahren regelmäßig privat in einem Jugendclub zusammenspielen, ist darstellerisch ebenso professionell wie das ihrer holländischen Kollegen.
Dennoch verlangt das Stück viel Vorverständis ab, um aus der verschlüsselten Symbolsprache und dem intellektuellen Anspruch einen Sinn zaubern zu können.
Sehr „abstrakt“, wie wenigstens einer der Jugendlichen zu antworten wußte. Nicht um allgemeine Spaßspiele gehe es ihm, meinte Choreograph Bzdyl, sondern Fragen möchte er stellen. Bzdyl übt Kritik an der MTV-Kultur und möchte die Frage nach der Abhängigkeit unter den Menschen stellen. Ein kulturpessimistischer Gemeinplatz.
Der Verantwortung des Autors in seinem Stück möchte er dadurch Rechnung tragen, daß er selbst die Rolle des Autors übernimmt – was leider auf der Bühne überhaupt nicht deutlich wird. Diese hermetische Fragestellung vermochte er nach der Vorführung zwar in Worten zu erklären. Im Stück blieb sie jedoch im Dunklen. Der Tenor im Publikum: „Hab– ich nicht verstanden“.
Anke Schmidt-Bratzel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen