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Aufschwung für SyrienPariah-Staat in der Probezeit

Die internationale Gemeinschaft findet Vertrauen in Syriens Regierung: Die EU setzt Sanktionen aus, die arabische Liga lädt al-Scharaa zum Gaza-Gipfel ein.

Quasi über Nacht zum Staatsmann geworden: Syriens De-facto-Präsident Ahmed al-Scharaa Foto: Giuseppe Lami/Zuma Press/imago

Beirut taz | Die EU setzt Sanktionen gegen Syrien aus. Das haben die Au­ßen­mi­nis­te­r*in­nen am Montag einstimmig beschlossen. Die syrische Zentralbank, vier Banken und die staatliche Airline werden von der Sanktionsliste gestrichen, Strafmaßnahmen gegen die Öl-, Gas- und Stromindustrie zurückgenommen. Das soll humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau erleichtern. Die UN schätzt, dass das Land mehr als 50 Jahre braucht, um seine Wirtschaftskraft auf Vorkriegs-Niveau zu bringen.

Die Au­ßen­mi­nis­te­r*in­nen erklärten, die Sanktionen wieder einzusetzen, falls sich das politische Klima in Syrien verschlechtere. Einige Maßnahmen bleiben: das Waffenembargo, Sanktionen gegen Chemiewaffen und Drogenhandel. Verantwortliche des gestürzten Regimes von Baschar al-Assad dürfen weiter nicht in die EU reisen oder dort Geld anlegen.

Nach dem Sturz von al-Assad ist Syrien im Umbruch. Die Übergangsregierung arbeitet daran, die vielen militärischen Gruppen in eine nationale Armee zu integrieren, und bemüht sich um internationale Anerkennung. Am Montag beginnt der sogenannte „Nationale Dialog“, den De-facto-Präsident Ahmad al-Scharaa versprochen hatte. Bei Gesprächen auf der zweitägigen Konferenz in Syrien soll es um Vergangenheitsbewältigung, eine neue Verfassung, politische und wirtschaftliche Reformen gehen.

Die internationale Gemeinschaft gewinnt Vertrauen. Die Arabische Liga schickte al-Scharaa am Sonntag eine Einladung zum Gaza-Gipfel. Das Treffen in Ägypten am 4. März ist eine Reaktion auf den völkerrechtswidrigen Plan von US-Machthaber Donald Trump, gemeinsam mit der israelischen Armee die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen aus Gaza vertreiben zu wollen.

Netanjahu: „Entmilitarisierung des südlichen Syrien“

Syriens neue Regierung hat selbst territoriale Probleme mit Israel. Am späteren Sonntag erklärte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu: Der Süden Syriens müsse vollständig entmilitarisiert werden. Israel werde die Präsenz von bewaffneten Streitkräften der neuen syrischen Regierung in Grenznähe nicht akzeptieren. Die Nähe zur Grenze legt er dabei großzügig aus: Man werde nicht zulassen, dass die syrische Armee „in das Gebiet südlich von Damaskus“ eindringe. „Wir fordern die vollständige Entmilitarisierung des südlichen Syriens, einschließlich der Provinzen Quneitra, Daraa und Suwayda“, so Netanjahu.

Am Montag beginnt der sogenannte Nationale Dialog, den al-Scharaa versprochen hatte

Auf eigentlich syrischem Boden stehen Israels Truppen schon seit letztem Dezember: Gleich nach dem Sturz des Assad-Regimes hatte Israel Truppen in die entmilitarisierte sogenannte Pufferzone geschickt. Während des arabisch-israelischen Krieges von 1967 hatte Israel den größten Teil der Golanhöhen von Syrien eingenommen und 1981 annektiert.

In der Pufferzone patrouillieren die Truppen der Vereinten Nationen (UN), um die israelischen und syrischen Streitkräfte voneinander fernzuhalten. Die UN betrachten die jetzige Übernahme der Pufferzone durch Israel als Verstoß gegen das Rückzugsabkommen von 1974. Israel hat seit Dezember außerdem Hunderte Luftangriffe auf syrische Militäreinrichtungen geflogen.

Pufferzone auf unbestimmte Zeit

Die neue syrische Regierung hat angedeutet, nicht gegen Israel kämpfen zu wollen. Ende Januar hatte De-facto-Außenminister Asaad Hassan al-Shibani dem Chef der UN-Friedenstruppe, Jean-Pierre Lacroix, versprochen, mit der UN zu kooperieren. Syrien sei bereit, seine Truppen auf den Golan zu verlegen, „vorausgesetzt, die israelischen Streitkräfte ziehen sich sofort zurück“, zitiert die staatliche Nachrichtenagentur SANA.

Israels Machthaber Benjamin Netanjahu weigert sich. Er sagte am Sonntag, dass die israelischen Truppen „auf unbestimmte Zeit“ in der Pufferzone bleiben würden. Die Bewohnenden in den Grenzdörfern fürchten, dass der Einmarsch in die Grenzgebiete zu einer längeren Besatzung führt und sie aus ihren Häusern vertrieben werden könnten.

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