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Aufs falsche Pferd gesetzt

■ Im Saarland machten die Grünen Wahlkampf mit den Parolen der CDU. Doch koalieren wollten sie dennoch mit der SPD

„So kurz war die Nacht gar nicht, ich habe mindestens neunzig Minuten geschlafen.“ – Peter Müller, designierter Ministerpräsident des Saarlands, nach der CDU-Siegesfeier

Ökologisch, sozial, gewaltfrei und basisdemokratisch? „Des kannscht doch vergesse' – bei uns“, schimpft einer. Ein anderer echauffiert sich: „Den Strukturwandel zum Wahlkampfthema Nummer eins zu machen, das war doch Schwachsinn.“ Das Thema habe der CDU-Spitzenkandidat Peter Müller draußen besser verkauft – und glaubwürdiger. „Alle haben doch gedacht, wir haben uns von der Ökologie verabschiedet.“ In der „Tomate“ in Saarbrücken, dem Szenelokal in der Altstadt, in dem die Bündnisgrünen am Sonntag eigentlich ihren Wiedereinzug in den Landtag feiern wollten, wird noch immer fleißig Bier gezapft. Es ist fast Mitternacht. Die Prominenten um Bundesvorstandssprecherin Gunda Röstel aus Sachsen haben längst das Feld geräumt. Die leicht bis mittelschwer angetrunkene Basis nutzt den letzten Rest des Tages der „großen Katastrophe“ zur Generalabrechnung.

3,2 Prozent für die Bündnisgrünen. Schuldige werden gesucht. „Wie hieß die Frau aus Thüringen, die uns noch drei Tage vor der Wahl mit einem Rentenkonzept beglückt hat, das nur den Industriebossen gefiel?“ Kopfschütteln überall am Tresen. Ein Dritter mischt sich ein: Dem „Yuppie“ Molitor hätten die Stammwähler der Grünen die Gefolgschaft versagt, analysiert er. Der promovierte Volkswirt Christian Molitor war der Spitzenkandidat der Bündnisgrünen von der Saar. Molitor posierte im grauen Anzug auf den Plakaten der Partei und warb für den Strukturwandel. So wie Peter Müller von der CDU: Hightech statt Kohle und Stahl. Doch koalieren wollten Molitor und die Grünen nur mit den Sozialdemokraten unter Ministerpräsident Reinhard Klimmt. Doch der hält unbeiirt fest an den subventionierten Altindustrien. Die Grünen in der Glaubwürdigkeitsfalle.

Das alles sei aber „nur die eine Seite der Medaille“, sagte gestern Simone Peter, die wohl letzte bekannte Sympathieträgerin der Grünen im Saarland aus Saarbrücken. „Es stimmt alles“, sagt sie. „Die Ökologie wurde vernachlässigt, und auch das Soziale kam zu kurz.“ Und der Zustand der Koalition in Berlin habe den Wahlkampf an der Saar weder für die Grünen noch für die SPD leichter gemacht. Aber die Partei habe am Sonntag auch die Quittung für alle hausgemachten Skandale und Skandälchen bekommen, konstatierte Peter. Die „alte“ Landtagsfraktion sei eine Belastung für die Partei im Wahlkampf gewesen. Einer von drei Abgeordneten wurde beim Diebstahl von Badematten erwischt; ein anderer tätigte dubiose Geschäfte mit Autos.

Zudem war der Landesverband bis zum Burgfrieden im März ein zerstrittener Haufen. In Saarlouis etwa werden noch heute die Parteibücher von 800 „Mitgliedern“ überprüft, die bei den Grünen eintraten, um eine der beiden Seiten zu protegieren. „Wenn wir unsere internen Probleme nicht bald in den Griff bekommen, brauchen wir uns um die externen erst gar nicht zu kümmern – und in fünf Jahren nicht mehr anzutreten“, sagt Irmgart Jochum vom Landesvorstand. Nach den für die Grünen schon desaströsen Kommunalwahlen ist die Partei im Saarland in nur noch acht Kommunalparlamenten vertreten; und seit Sonntag nicht mehr im Landtag. Nicht nur die ostdeutschen Bundesländer, auch das Saarland ist jetzt eine „grünfreie Zone“. Klaus-Peter Klingelschmitt, Saarbrücken

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