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Archiv-Artikel

Aufs bessere Argument setzen

Peter Waldbauers „Lexikon der antisemitischen Klischees“ schert sich nicht um Tabus. Und Michael Brumlik enthüllt christliche Vorurteile

Internetforen, in denen der 11. September als jüdisches Komplott debattiert wird. Russische Nationalisten, die jüdische Kräfte der „Zersetzung“ ihrer Nation beschuldigen. Und ein iranischer Präsident, der öffentlich den Holocaust leugnet. Der Antisemitismus ist auch im 21. Jahrhundert noch nicht Geschichte.

In Deutschland ist er heute zwar weitgehend tabu: Wer antisemitische Ressentiments äußert oder auch nur zu bedienen versucht, riskiert die gesellschaftliche Ächtung und seinen Ruf, wie Jürgen Möllemann und der CDU-Politiker Martin Hohmann erfahren mussten. Der Vorwurf des Antisemitismus wiegt schwer in einem Land, das den Völkermord an den Juden zu verantworten hat. Doch die Tabuisierung hat nicht dazu geführt, dass antisemitische Vorurteile einfach verschwunden sind.

Im Gegenteil, diese Tabuisierung kann die Auseinandersetzung sogar erschweren, weil sie einen rationalen Umgang behindert. Nicht jeder, der solche Vorurteile hegt, verfügt auch gleich über ein verfestigtes Weltbild, häufig sind nur Gedankenlosigkeit und Unwissen im Spiel. Auch darüber kann man sich natürlich empören. Oder aber – auf Aufklärung und das bessere Argument setzen.

Deshalb wirkt das „Lexikon der antisemitischen Klischees“ von Peter Waldbauer so erfrischend: Es folgt einem durch und durch pragmatischen Ansatz und geht davon aus, dass es eben keine dummen Fragen gibt, sondern nur dumme Antworten, es schert sich nicht um eventuelle Tabus oder Peinlichkeiten. Peter Waldbauer, der sich selbst als freien Börsenspekulanten und „Wegbegleiter der Börsen-Altmeisters André Kostolany“ bezeichnet (dem er das Buch gewidmet hat), listet in seinem „Lexikon“ eine beeindruckende Liste antijüdischer Vorurteile und Klischees auf, die er als Fragen formuliert: „Sind alle Juden reich?“, „Weshalb gab es so viele jüdische Juweliere?“ oder „Sind die Juden ein Tätervolk?“

An der schieren Menge der Klischees, die das Buch streift, lässt sich ablesen, wie sehr Jüdischsein bis heute durch die Konfrontation mit solchen Vorurteilen geprägt war und ist. Dem beruflichen Hintergrund des Autors geschuldet, liegt das Hauptgewicht seines Buchs auf der Ökonomie, ein ganzes Kapitel ist dem Thema „Juden und Börse“ gewidmet.

Daneben führt Waldbauer aber auch einige Zahlen und Fakten ins Feld und erläutert, woher Nachnamen wie „Grünbaum“ oder „Goldmann“ stammen und wie sich die Konzentration auf bestimmte Berufe erklärt. Das ist nicht nur für junge Leser geeignet, die hier nachlesen können, was sie im Schulunterricht oft nicht erfahren. Es ist auch für den vorgebildeten Leser interessant, macht es ihn doch auf antisemitische Vorurteile aufmerksam, von deren Existenz er nicht einmal geträumt hätte.

Ein vergleichbarer Ansatz liegt der neuen Herder-Buchreihe „Was stimmt?“ zu Grunde, sie will nach eigenen Angaben „Vorurteile und Ansichten“ hinterfragen. Der Frankfurter Publizist und Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik hat hier einen Band über das Judentum beigesteuert, in dem es vor allem um theologische und weltanschauliche Fragen jüdischen Selbstverständnisses geht. Auch Brumlik nimmt negative (christliche) Vorurteile als Ausgangspunkt: Ist das Judentum eine Religion „der Rache“? „Der Anmaßung“? „Des Patriarchats“?

Er erläutert, wie es einst zu solch negativen Pauschalurteilen kam und wie es in diesen Fragen in Wirklichkeit um das jüdische Selbstverständnis und moderne Strömungen, von Reformjudentum bis zum Zionismus, bestellt ist. Das ist eher etwas für Fortgeschrittene, die mehr über die geistigen Grundlagen des Judentums erfahren möchten. Fraglich ist zwar, ob diese wirklich noch mit so groben Vorurteilen im Kopf herumlaufen. Dennoch erleichtert die provokante Gliederung den Einstieg und lädt zum Nachschlagen und Nachblättern ein. So, wie in den anderen Bänden der Reihe auch.

DANIEL BAX

Peter Waldbauer: „Lexikon der antisemitischen Klischees“. Mankau Verlag, Murnau a. St. 2007, 196 Seiten, 12,95 Euro Micha Brumlik: „Was stimmt? Judentum. Die wichtigsten Antworten“. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2007, 128 Seiten, 7,90 Euro