Aufruf von FilmkritikerInnen: Offener Brief an die Filmakademie
FilmkritikerInnen wenden sich mit einem offenem Brief gegen die Vergabepolitik des Deutschen Filmpreises. Der Vielfalt des deutschen Films werde nicht entsprochen.
Sehr geehrte Mitglieder der Deutschen Filmakademie!
Kommende Woche trifft sich die deutsche Filmbranche wieder bei den Hofer Filmtagen. Wir, eine Gruppe von deutschen Filmkritikerinnen und Filmkritikern, finden, dieses „Klassentreffen des deutschen Films“ könnte Anlass sein, einmal grundsätzlich über den deutschen Filmpreis zu diskutieren, den Sie seit 2005 vergeben.
Bekanntlich handelt es sich um den höchstdotierten deutschen Kulturpreis. Anders als bei den Oscars, Césars oder Goyas feiert sich hier nicht nur eine Filmbranche selbst, sondern vergibt darüber hinaus eine Preissumme von fast drei Millionen Euro, die aus dem Etat des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien zur Verfügung gestellt wird. Hieraus erwächst für die Akademie eine große Verantwortung, weil die Preisgelder für künftige Filmprojekte vorgesehen sind. Ist diese Vermischung von Förderungspolitik und der Auszeichnung künstlerischer Leistungen unverrückbar festgeschrieben? Liegt nicht hier schon die Wurzel aller Unzufriedenheit?
Nicht erst seit der Filmpreisgala 2012 fragen wir uns, ob die Auswahl- und Abstimmungsregeln, die sich die Akademie selbst gegeben hat, wirklich dazu geeignet sind, der Vielfalt des deutschen Films auch im Sinne einer finanziellen Förderung zu entsprechen. Kann die Mehrheitsabstimmung der 1300 Mitglieder das garantieren? Müssen nicht auch preiswürdige, aber nicht unbedingt mehrheitsfähige Ausnahmefilme eine Chance bekommen, solange der Preis als kulturelle Subvention definiert ist?
Die Entscheidungen der letzten Jahre zeigen eine unübersehbare Tendenz zum kleinsten gemeinsamen Nenner, zu einem Konsenskino, das künstlerische Extreme ebenso wie große Kassenerfolge von vornherein ausschließt. Kann man „John Rabe“ (Goldene Lola 2009) und „Vincent will Meer“ (Goldene Lola 2011) tatsächlich als die herausragenden Filme ihres Jahrgangs prämieren?
Dagegen ist es kaum vorstellbar, dass ein Film wie Werner Schroeters „Malina“ (Filmband in Gold 1991) oder Romuald Karmakars „Der Totmacher“ (Filmband in Gold 1996) noch einmal einen Preis gewinnen könnte. Ein international ausgezeichneter Film wie Ulrich Köhlers „Schlafkrankheit“(Silberner Bär der Berlinale 2011 für die beste Regie) schaffte es nicht einmal unter die sechs nominierten Filme.
Leider hat sich bei uns der Eindruck festgesetzt, dass die Akademie an einer Auseinandersetzung mit solchen und anderen Befunden nur wenig Interesse hat. Kritik wird ignoriert oder in internen Zirkularen der Akademie verhöhnt, obgleich der Zweck einer Akademie ja genau darin besteht: Impulsgeber und Akteur im öffentlichen Gespräch über Film und Kino zu sein.
Wir zweifeln nicht am Enthusiasmus der Mitglieder und an ihrer Leidenschaft fürs Kino. Wir möchten daher an die Akademie appellieren, ihre grundsätzliche Aufstellung, zumindest aber ihr Auswahl- und Abstimmungsverfahren noch einmal gründlich zu überprüfen.
Dietmar Dath (FAZ)
Knut Elstermann (radioeins)
Fritz Göttler (Süddeutsche Zeitung)
Moritz Holfelder (BR)
Sabine Horst (epd Film)
Andreas Kilb (FAZ)
Tobias Kniebe (Süddeutsche Zeitung)
Peter Körte (FAS)
Anke Leweke (Deutschlandradio)
Verena Lueken (FAZ)
Katja Nicodemus (DIE ZEIT)
Cristina Nord (taz)
Christiane Peitz (Der Tagesspiegel)
Bert Rebhandl (Cargo)
Hanns-Georg Rodek (Die Welt)
Josef Schnelle (Deutschlandfunk)
Ulrich Sonnenschein (HR)
Herbert Speich (SWR)
Anke Westphal (Berliner Zeitung)
Robert Weixlbaumer (tip Berlin)
Thomas Groh
Birgit Glombitza
Kirsten Rießelmann
Sven von Reden
Dietmar Kammerer
Sano Cestnik (Eskalierende Träume)
Jochen Werner (freier Filmkritiker)
Elisabeth Nagy (freie Filmkritikerin)
Joachim Kurz (Kino-Zeit)
Chirstoph Wirsching (Eskalierende Träume)
Sebastian Selig (Hard Sensations)
Elisabeth Maurer (Negativ)
Ciprian David (Negativ)
Valerie Bäuerlein (tip)
Rainer Gansera (SZ, tip Berlin)
Stella Donata Haag (tip)
Lars Penning (tip)
Ulrike Rechel (tip)
Daniel Kothenschulte, Köln
Helmut Merker
Christoph Terhechte (Forum, Berlinale)
Anna Hoffmann (Forum, Programm Managerin)
Achim Forst (Redakteur 3sat)
Kirsten Martins (BR)
Roderich Fabian (BR)
Rüdiger Suchsland
Alejandra M. Falcone (frf)
Am Freitag (19.10.2012) diskutieren Filmkritiker und Akademiemitglieder über das Verhältnis von Filmkritik und Filmbranche. Auf dem Podium: die Produzentin Manuela Stehr, der Produzent Sven Burgmeister, der Regisseur Marc Rothemund sowie die Kritiker Peter Körte (FAS), Andreas Kilb (FAZ) und Cristina Nord (taz), moderieren wird Alfred Holighaus. Um 18 Uhr im Fluxbau, Pfuelstraße 5, Berlin Kreuzberg.
Anmerkung der Redaktion: Die Liste wurde am 2. November 2012 um die letzten 27 Namen ergänzt.
Leser*innenkommentare
Edwin Analog, die alte Pottsau aus dem Außendienst
Gast
@ADA
Leider alles falsch, was Du da schreibst, ALLES. Mannomannomann...
ADA
Gast
Liebe Filmkritiker, leider verschweigen Sie, dass der Regiepreis, und der Produzentenpreis sehr zum leitragen der großen Filmproduktionen regelmäßig an anspruchsvolle Kleinstproduktionen vergeben wird. Z.b Andreas Dresens Filme, laufen überwiegend außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung, dennoch werden seine Filme regelmäßig mit Preisen überhäuft. Bei nüchterner Betrachtung der Preisvergabe drängt sich eher das Bild auf, ob Mainstream Produktionen seit Vergabe durch die Akademie Mitglieder deutlich schlechter gestellt sind, als bei der alten Praxis, bei der SIE! die Filmkritiker zusammen mit unkundigen Politikern und/oder Vertretern der Kirche und der Videotheken Betreibern die Preise in Gutherrenart verteilt haben. Die jetzige Preisverleihung ist ein aufwendiger demokratischer Prozess’ an dem 1300 fachkundige Kollegen beteiligt sind. Seit Jahren bemüht man sich demokratisch vorbildlich mit allen möglichen Versuchen Stellschrauben zu finden, um eine fast schon absurde Gerechtigskeitshöhe zu erfüllen. In den technischen Disziplinen bekommen natürlich für Filme Preise, in denen unsere weltweit hochgeschätzten Fachkollegen endlich von den Produzenten entsprechende Budgets zur Verfügung gestellt bekommen, um Ihre Qualifikation in internationales Niveau umsetzen zu können. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals mit einen Filmkritiker nach einer Vorführung zur meiner Arbeit an meiner Disziplin gesprochen zu haben, Fragen Sie doch mal einfach Kollegen, anstatt die Preise für ( wie sie es nennen) technische Kategorien einfach in Frage zu stellen, wie Sie das tun.Roland Emmerich, der selbst wie andere erfolgreiche Produzenten weder einen Regiepreis noch einen Produzentenpreis bekommen hat, hat seiner Crew optimale Umsetzungsmöglichkeiten gegeben, und zurecht werden diese auch ausgezeichnet. Liebe Filmkritiker, all dies verschweigen Sie, ebenso den Umstand, dass Sie eingeschnappt sind, weil Sie sich Ihrer eigenen wichtigen Wahrnehmung beraubt fühlen, Sie verschweigen auch, dass Sie nicht Mitglied der Akademie werden können, übrigens ebenso wie Fernsehredakteure ( so viel zum Thema DEGETO ). Seit Jahren buhlen Sie im Einklang mit den Fernsehredakteuren um eine Mitgliedschaft in der Akademie. Ich erzähle mal internes. Bei nahezu jeder Sitzung versuchen ausgerechnet die Produzenten (!) Mitgliedsmöglichkeiten für Filmkritiker und Fernsehredakteure durchzubekommen. Wohl nicht ganz ohne Druck der Fernsehredakteure und Ihrerseits. Die Ablehnung der 1300 Mitglieder dagegen steht wie eine Front. Das Beste an der Filmakademie ist die Plattform der Film Kreativen für Meinungsaustausch und Kreative Prozesse. Wir haben durch eine sonderbare deutsche Form der Filmproduktion ( gebührenfinanzierte Produktionen ) sonderbare Markt - und Abhängigkeits Mechanismen. Der Fall Henze konnte dies deutlicher nicht zeigen. Die Filmakademie bietet einen Schutzraum dagegen. Ihre durchschaubare eitle Eingeschnapptheit ehrt Sie eher nicht.
S Beynard
Gast
besser spät als nie, und bitte noch mehr und schmutziger auf die Degeto Mafia eindreschen
Dr. Alice Brauner
Gast
Danke, danke, danke - endlich! Wir sind ganz persönlich davon betroffen. Nicht, dass alle diese wirklich guten Kritiker unsere WUNDERKINDER hochgejubelt hätten, aber es gab von einigen der Presseorgane doch recht differenzierte und auch sehr positive Kommentare. Einzelleistungen hätten also durchaus prämiiert werden können. Wir haben weltweit 13 Preise gewonnen, darunter den des besten europäischen Jugendfilms, sind unter die besten sechs Filme in Palm Springs (!) gekommen, haben in New York den Audience Award gewonnen, in Jerusalem einen Hauptpreis, und, und und... In Deutschland sind wir nicht mal in die Vorauswahl für den Deutschen Filmpreis gekommen. Aber welche Jugendfilm war 2011/2012 erfolgreicher in Bezug auf die vielen Awards auf renommierten Festivals. Wie ist das möglich?
Danke für die Gelegenheit, endlich auch einmal öffentlich dazu Stellung nehmen zu können.
Ihre
Alice Brauner
Christian Wulff
Gast
Bravo! Endlich eine Initiative dem Treiben dieser Akademie Parole zu bieten. Wenn sich die Branche selbst feiern will, dann soll auch für die Stiftung ihrer Preise selbst aufkommen!
pinkopallino
Gast
Ach nee, jetzt schon wieder erst?
Die Spatzen pfeifens seit Jahren von den Dächern, die deutsche Film- und TV-Filmkultur ist ewig selbstreferenziell, sie ist systemisch, weil es politische Interessen gibt, weit und breit, in der Tat deswegen die Ewig-Finanzierung für "immer das Gleiche und alles dasselbe".
Lang schlafe auch die deutsche Filmkritik weiter, von der deutschen Film + TV-Filmkultur ganz zu schweigen.
Und die ewig Öffentlichen machten/machen schweigend weiter mit.
Gut Nacht, Marie!