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Aufmärsche in MarzahnHilflos gegen rechts

Ein Ort der Vielfalt möchte der Bezirk Marzahn-Hellersdorf sein. Doch seit Wochen finden dort flüchtlingsfeindliche Demos statt.

Bei Protesten gegen den Bau eines Flüchtlingsheims im November Bild: dpa

Bei Elena Marburg rufen täglich besorgte AnwohnerInnen an, zahlreiche E-Mails erreichen die bezirkliche Integrationsbeauftragte Marzahn-Hellersdorfs. „Wir sind total verunsichert“, heißt es dort etwa, „ist es Zeit, Marzahn zu verlassen“? Der Grund für die Angst der Absenderin dieser Mail: Seit Wochen ziehen Montag für Montag Menschen durch ihren Bezirk, die rassistische Parolen gröhlen, gegen Flüchtlinge und MigrantInnen hetzen und Andersgesinnte angreifen. In den letzten zwei Wochen war zwar Weihnachtspause – Mitte Januar wollen die VeranstalterInnen aber weiter machen. Innensenator Frank Henkel (CDU) sagte in der vergangenen Woche, mit diesen Demonstrationen sei es „der rechtsextremem Szene zum ersten Mal seit langem gelungen, Menschen über ihr eigenes Potenzial hinaus zu mobilisieren“.

Die unter dem Deckmantel einer „Bürgerbewegung Marzahn“ veranstalteten Demonstrationen übertreffen in ihrer Größe und Regelmäßigkeit alle rechten Aufmärsche, die Berlin in den letzten Jahren gesehen hat. Marzahn-Hellersdorf hat ein Problem mit Rechtsextremismus – nicht erst seit heute, aber gerade ganz besonders offensichtlich.

Dabei existiert im Bezirk seit Jahren ein Programm, das genau dieses Problem bekämpfen soll: Seit 2006 gibt es „Polis – die bezirkliche Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung am Ort der Vielfalt Marzahn-Hellersdorf“, wie die vom Bezirksamt eingerichtete und von der Stiftung SPI (Sozialpädagogisches Institut Berlin) getragene Stelle offiziell heißt. Man arbeite eng zusammen, sagt Elena Marburg, und sei darin durchaus erfolgreich. Jedes Jahr wird das Bezirksfest „Schöner Leben ohne Nazis“ organisiert, außerdem gibt es diverse Jugend-Projekte. Momentan, sagt Marburg, bestehe eine Hauptaufgabe in der ständigen Aktualisierung einer auf der Bezirks-Homepage abrufbaren Antwortensammlung auf häufig gestellte Fragen zu der geplanten Unterkunft.

Rechte wollen ans Brandenburger Tor

Entweder sind Marzahns Neonazis und ihre Anhängsel noch silvestersuffgeschädigt, oder sie überlegen tatsächlich, heute nach Mitte zu reisen: Laut Auskunft einer Polizeisprecherin stehen in dem östlichen Bezirk anders als zuletzt an vielen Montagen keine Demonstrationen gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte an. Entsprechende Anmeldungen sein zurückgezogen worden. Ganz anders in der City: Unter dem Titel "Bärgida" ruft der "Patrioten e. V." zu einer Demo auf, die ab 18.30 Uhr von der Klosterstraße zum Brandenburger Tor ziehen soll. 300 Teilnehmer sind von einer Privatperson angemeldet worden, bis 23 Uhr soll der Marsch über die Bühne sein. Ob das klappt, ist offen: Wahrscheinlich werde es erst am Montag Gespräche mit dem Anmelder über die Route geben, so die Sprecherin. Auf der fast identischen Strecke ist zudem einer von dreien Gegenprotesten angemeldet: Die Kampagne "Zusammen handeln" will bereits ab 16.30 Uhr von der Ecke Strahlauer Straße/Jüdenstraße in Richtung Pariser Platz ziehen. 500 Teilnehmer sind angekündigt, so die Polizei. Das ist nichts gegen den geplanten Protest der Türkischen Gemeinde Berlin: Sie hofft auf 10.000 Menschen, die von 18 bis 21 Uhr am Brandenburger Tor "Gegen Hass, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus" protestieren. Schließlich mobilisieren auch die Neuköllner Grünen: von 17 bis 22 Uhr an den Neptunbrunnen nahe dem Roten Rathaus. (taz)

Andere Engagierte im Bezirk üben indes Kritik an Polis und der Arbeit des Bezirks – wenn auch hinter vorgehaltener Hand. Ein Antwortenkatalog sei ein gutes Mittel für informationssuchende BürgerInnen – nicht aber gegen Neonazis, die gezielt gegen die Flüchtlinge Stimmung machen, heißt es. Im Übrigen verharmlose der Bezirk das Problem seit Jahren und tue zu wenig, um den Neonazis das Aktionsfeld zu nehmen.

Das sind Anschuldigungen, denen man nicht glauben muss. In der Tat gehört es zum Selbstverständnis von Polis, Rechtsextremismus nicht oder nicht nur direkt zu bekämpfen, sondern die Demokratieentwicklung und Partizipationsmöglichkeiten der BürgerInnen zu stärken. „Dieser Ansatz muss nicht falsch sein – es ist aber möglich, dass hier eine Lücke bleibt“, sagt eine Sozialarbeiterin aus Marzahn.

Immerhin ist der Bezirk nach dem Desaster von Hellersdorf im Sommer 2013, als organisierte Neonazis eine „Anwohnerversammlung“ für ihre Zwecke nutzten, von diesem Format abgerückt und lädt nun stattdessen zu kleineren „Dialogrunden“ ein – und zwar gezielt nur tatsächliche AnwohnerInnen.

Wobei das natürlich nicht heißt, dass darunter keine Menschen mit rassistischen Einstellungen sind. Davon können die MitarbeiterInnen der Volkssolidarität ein Lied singen, die im Stadtteilzentrum Marzahn-Mitte arbeiten. Das niedrige graue Gebäude inmitten hoher Plattenbauten ist ausgewählt worden, die Kommunikation mit den AnwohnerInnen zu der neuen Unterkunft in der Schönagelstraße zu führen – und hat damit alle Hände voll zu tun. „Diese Formulierung’unsere Sorgen und Ängste‘ kann ich schon lange nicht mehr hören“, sagt resolut wirkende ältere Mitarbeiterin, die die Telefonanrufe entgegen nimmt. „Wenn dir einer so kommt, weißt du gleich, der will nur gegen die Flüchtlinge vom Leder ziehen“. Es gebe hier aber die ganze Palette von AnruferInnen: „Die, die einfach gegen die Flüchtlinge sind, egal wo, die, die wirklich berechtigte Fragen zu der Unterbringung haben – und die, die Angst vor den Demos der Rechten haben“.

Auch würden sich viele Menschen, insbesondere MigrantInnen, melden, die sich in Marzahn seit Beginn der Demonstrationen nicht mehr sicher fühlen. „Wir tun, was wir können, um diese Menschen zu ermutigen und bei den anderen Vorurteile gegenüber der neuen Unterkunft abzubauen – aber unsere Möglichkeiten reichen kaum“, sagt eine andere Mitarbeiterin.

Und was macht die Antifa? Die gibt es auch in Marzahn-Hellersdorf, und die hat in den vergangenen Wochen immer wieder gemeinsam mit anderen Gruppen gegen die rechten Aufmärsche demonstriert. Allerdings: Eine Zusammenarbeit zwischen bezirklichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren und Antifa-Gruppen, wie es sie in anderen Bezirken längst gibt, scheint in Marzahn nicht zu funktionieren. Die BetreiberInnen und BewohnerInnen des linken Jugendclubs und Hausprojekts „La Casa“, fast am Stadtrand an der U5 gelegen, befinden sich hingegen gerade in einem Streit mit dem Bezirk, der ihnen die Miete erhöhen möchte. „Die Situation mit den Neonazis ist schlimm in Marzahn“, sagt Robert, der hier seit Jahren lebt, immer wieder würden BesucherInnen des Jugendclubs von Angriffen der Rechtsradikalen auf migrantisch oder alternativ aussehende Jugendliche erzählen. „Es müsste viel mehr dagegen getan werden, das sagen wir schon seit Jahren – die Neonazis, die jetzt die Demos organisieren, die waren hier auch früher schon aktiv“, sagt Robert.

Elena Marburg sagt, sie habe auf die E-Mails und Anrufe derjenigen, die sich nicht mehr sicher fühlen im Bezirk, nur eine Antwort: „Haltet durch!“

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