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Aufforderung zum Risiko

■ Zum ersten Treffen der freien Theatergruppen Norddeutschlands in Hannover

Der Boom ist abgeebt und die Euphorie der ersten Jahre längst verflogen. Dennoch zogen die freien Theater Norddeutschlands bei ihrem ersten Treffen in Hannover gemeinsam eine positive Bilanz: denn trotz mangelnder Förderung, trotz schlechter materieller Bedingungen haben sich die freien Gruppen zu einem Faktor in der Kulturlandschaft entwickelt, der nicht mehr wegzudenken ist.

Auf Einladung des Landesverbandes für Spiel und Theater Niedersachsen diskutierten Vertreter von elf norddeutschen Gruppen von Flensburg bis Kassel drei Tage lang ihren künstlerischen und politischen Standort. Die Motive, freies Theater zu machen, nach 1968 eng mit der damaligen politischen Bewegung verknüpft, sind heute - positiv ausgedrückt - vielfältig geworden, reichen vom pädagogisch -emanzipatorischen Ansatz bis zum schlichten Kohlemachen. Die Tendenz zur Vereinzelung, zur Soloproduktion ist groß; ebenso wie der zunehmende Rückgriff auf vorhandene Stücke, die sich bestenfalls noch im Erarbeitungsprozeß von Staatstheaterproduktionen unterscheiden. Neue Initiativen können sich nur schwer durchsetzen; lange bestehende Gruppen kämpfen mit der Gefahr der Etablierung, haben in den eigenen Reihen Schwierigkeiten, zwischen alten und jungen Mitgliedern zu vermitteln.

Dennoch sind Produktionen zu aktuellen Fragen wie „Gewalt im Spiel“ von der Roten Grütze Berlin oder „Aidsfieber“ von der Theaterwerkstatt Hannover nur als Kollektivarbeiten denkbar, die im Rahmen des etablierten Theaters kaum möglich sind. Deshalb, so Peter Henze von der gastgebenden Theaterwerkstatt, seien neue Konzepte in der Förderungsstruktur notwendig: „Gefördert wird derzeit, was sich schon bewährt hat; notwendig wäre aber gerade eine Risikoförderung. Die Finanzierung eines Projektes, das scheitert, kann sehr sinnvoll sein; es gibt sozusagen produktiven Abfall.“ Beispielhaft seien da Holland oder die skandinavischen Länder.

Nicht einfach mehr Geld, das auch, aber vor allem klare Strukturen und eine qualifizierte Auswahl wurde deshalb bei der abschließenden Podiumsdiskussion von den anwesenden Kulturpolitikern gefordert. Außerdem wollen die Gruppen bisher fehlende Arbeitskontakte schaffen, wie sie in Nordrhein-Westfalen oder Berlin bestehen; dazu ist ein nächstes Treffen im Frühjahr in Bremen geplant.

Evelyn Beyer-Stüber

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