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Aufarbeitung des Tiananmen-MassakersChinas Stimme aus dem Jenseits

Die KP-Führung schweigt zu den jetzt veröffentlichten Memoiren ihres früheren Parteichefs, der 1989 auf dem Höhepunkt der Proteste geschasst wurde.

Peking im Juni 1989: Ein einsamer Demonstrant versucht die am Tiananmen patroullierenden Panzer aufzuhalten. Bild: ap

PEKING taz | Als Zhao Ziyang zuletzt in der Öffentlichkeit erschien, erklärte er den demonstrierenden Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens unter Tränen: "Ich bin zu spät gekommen." Wenige Tage später wusste die Welt, was Chinas KP-Chef an jenem 19. Mai 1989 gemeint hatte: Seine Rivalen in der Partei hatten entschieden, das Militär gegen die Demonstranten einzusetzen. Seit Mitte April 1989 war der Platz besetzt. Die Pekinger protestierten gegen korrupte Funktionäre und für politische Reformen. Am frühen Morgen des 4. Juni rollten Panzer durch Peking, Hunderte starben im Kugelhagel. Damals saß Zhao entmachtet im Hof seines Hauses in einer kleinen Gasse nicht weit vom Platz und hörte das Gewehrfeuer: "Eine Tragödie, die die Welt schockieren würde, war nicht abgewendet worden", schrieb er später.

Jetzt zum bevorstehenden 20. Jahrestag des Tiananmen-Massakers 1989 erhält die Welt von Zhao Ziyang, der Anfang 2005 im Hausarrest starb, einen brisanten Einblick in das Innenleben der KP. Unter dem Titel "Gefangener des Staates" veröffentlicht der US-Verlag Simon & Schuster Zhaos Memoiren. Auf 30 Tonkassetten, die er zwischen 1999 und 2000 heimlich aufnahm und die Vertraute, darunter Exminister, ins Ausland schmuggelten, berichtet Zhao von Streit und Intrigen innerhalb der Parteispitze.

Über 15 Jahre war der Politiker in seinem Haus eingesperrt - ohne Anklage, ohne Gerichtsurteil, in der Manier der Kulturrevolution, wie er in seinen Erinnerungen klagt. Dass seine alten Genossen so scharf mit ihm umspringen würden, "das war etwas, womit ich nicht gerechnet hatte". Selten ließen sie ihn Golf spielen oder in den Süden reisen. In die Freiheit durfte er nicht.

Gesiegt hatten die Hardliner um den KP-Patriarchen Deng Xiaoping und damaligen Premierminister Li Peng, die eine neue "Massenkampagne" gegen die "bürgerliche Liberalisierung" lostraten. Wirtschaftsreformer Zhao mit seiner entspannten Haltung gegenüber Kritikern war ihnen ein Dorn im Auge. Als Zhao den Militäreinsatz ablehnte, war sein Schicksal besiegelt. Vor allem Premier Li Peng, den Zhao als feige und intrigant beschreibt, plädierte für eine blutige Lösung.

In den Jahren des Hausarrestes kam Zhao immer mehr zur Überzeugung, dass China nicht nur wirtschaftliche, sondern auch grundlegende politische Reformen brauchte: eine freie Presse, unabhängige Gerichte und mehrere Parteien. "Wenn sich ein Land modernisieren und nicht nur eine Marktwirtschaft einführen will, muss es eine parlamentarische Demokratie als politisches System übernehmen", schreibt Zhao. Sonst käme es, warnt er, zu einer "Kommerzialisierung der Macht, zu blühender Korruption und zu einer Gesellschaft, die zwischen Arm und Reich polarisiert ist".

Die KP hüllte sich bis gestern zu Zhaos Buch in Schweigen. Dabei brach damit erstmals ein hoher chinesischer Funktionär das Tabu, Partei-Interna zu veröffentlichen. Eng verbunden mit Zhao war 1989 der heutige Premier Wen Jiabao: Er war Berater des KP-Chefs und folgte ihm an jenem 19. Mai sogar auf den Tiananmen-Platz. Anders als andere Vertraute Zhaos überstand Wen die dramatische Zeit ohne Karriereknick. In der Bevölkerung ist er beliebt, in der Partei umstritten. In den Memoiren wird er nur am Rand erwähnt.

Die Zensoren löschten in chinesischen Internetforen Kommentare über Zhaos Memoiren. Berichte auf Englisch duldeten sie aber. Auf der Webseite der New York Times und anderer ausländischer Medien war sogar Zhaos Stimme zu hören. Die Partei ist sich offenbar sicher, dass sich kaum jemand für den Ex-Generalsekretär interessiert.

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