piwik no script img

„Auf einmal nur noch Männer im Programm“

Veranstalter Heiko Jahnke über sein Überjazz-Festival, die Überalterung des Hamburger Publikums, Jazz im Techno-Klub und Frauenförderung durch männliche Booker

Geht doch: Dies Jahr sind beim Überjazz Musikerinnen wie Zara McFarlane dabei Foto: Jörg Martin Schulze

Interview Jan Paersch

taz: Herr Jahnke, was für ein Konzept steht hinter dem Überjazz?

Heiko Jahnke: Die Form von Jazz, die uns interessiert, hat das Potenzial, eine andere Lebensrealität abzubilden. Unser Programm hat nicht viel mit dem zu tun, was es sonst in Deutschland an Jazz-Veranstaltungen gibt. Ich bilde mir schon ein, dass wir damit allein auf weiter Flur sind. Wir buchen KünstlerInnen, die kaum zu Jazz-Festivals eingeladen werden, und wollen damit ein anderes Publikum erreichen. Das ist in Deutschland ungleich komplizierter als in Skandinavien, Holland oder Frankreich, die haben einen anderen kulturellen Nährboden.

Das alte Problem: die alteingesessenen Anhänger misstrauen der Veränderung, den Jungen ist Jazz zu schnarchig?

Sobald das toxische Wort „Jazz“ ins Spiel kommt, wird es gleich schwierig bei uns. Man braucht schon die Gabe, zu abstrahieren und den Jazz-Begriff anders zu verstehen. Wir haben schon einen roten Faden im Programm, aber natürlich sind KünstlerInnen dabei, die definitiv keinen Jazz machen, egal wie weit man den Begriff fasst. Jedes Festival hat den Anspruch, neue Publikumsgruppen an die Musik heranzuführen. Das Standardmodell ist, sich mit einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender zu verbandeln und vielleicht auch ein paar Pop-Acts zu holen, um die Leute zu kobern. Das geht selten auf, finde ich.

In den ersten Jahren waren auch der NDR und das Jazzbüro Hamburg an der Programmplanung beteiligt. Waren das zu viele unterschiedliche Interessen?

Als wir 2009 anfingen, stand schon das erste Elbjazz-Festival an. Und plötzlich war unser Vorgänger, die Hamburger Jazztage in der Fabrik, nicht mehr so attraktiv. Daraufhin dachten wir uns: probieren wir den ganz wilden Ritt. Es gab also eine Zusammenarbeit der Konzertagentur Karsten Jahnke mit der NDR-Jazzredaktion, dem Jazzbüro Hamburg und Kampnagel. Dementsprechend querbeet war das Ergebnis. Der Ansatz war nicht schlecht, aber gut vertrugen sich diese Welten nicht. Kein Mensch braucht das Elbjazz noch mal in klein im Herbst. Es gibt eine Schnittmenge, aber wir haben, und das meine ich nicht abfällig, diese Touri-Komponente nicht. Zu uns reisen die Leute wegen der Inhalte an.

Also laden Sie auch KünstlerInnen ein, die sonst nicht in Hamburg spielen würden?

Genau, weil es sich für die sonst nicht lohnen würde, zu kommen. Unser Festival ist ein Versuch, das generelle Klima in Deutschland zu verändern. Mittlerweile gibt es viele prominente Bands, die nur eine Show in Berlin spielen und dann wieder weg sind. Weil das Publikum zahlreicher und jünger ist. In Berlin spielt ein Kamasi Washington vor lauter Zwanzigjährigen, in Hamburg müssen wir da noch aufholen. Hier ist das Publikum wesentlich älter und übermackerter.

Es war immer auch die Idee des Überjazz, junge Hamburger KünstlerInnen zu zeigen, oder?

Natürlich wollen wir die Hamburger Szene abbilden, und da ist in den letzten Jahren viel passiert. Aber wenn man es zu eng steckt, bleibt man jedes Jahr an den gleichen Leuten hängen, da ist das Jazzbüro ein bisschen statisch. Die Szene in Hamburg ist nicht so groß, es gab auch lange keine Klub-Anlaufstelle für jüngere Formen des Jazz. Das Jazzlab im „Volt“ ist eine Ausnahme, deswegen bekommen die beim Überjazz eine eigene Labelnacht. Das wird ein kompaktes Programm: drei Stunden nonstop.

Das „Volt“ ist ein neuer Klub an den Messehallen. Was passiert da?

Die haben einen Jazzklub in einem Techno-Laden aufgemacht. Klar, das ist ein Klischee, aber es ist auch ein gutes Instrument, um aufzuzeigen, dass man definitiv anders ist. Die machen großartige Arbeit, zumal das wirklich Kids sind. Das Verhältnis Jungs zu Mädels ist fast 50:50 und man steht da als Graukopf dazwischen und ist deutlich in der Minderheit.

Dieses Jahr gibt es viele weibliche Acts beim Überjazz, darunter Melanie de Biasio, Zara McFarlane und die frischgekürte Echo-Jazz-Preisträgerin Lucia Cadotsch. Letztes Jahr gab es so gut wie keine Frauen. Was war denn da passiert?

Das war schon peinlich, das war definitiv nicht gewollt. Man bekommt ein paar Absagen und auf einmal merkt man, dass nur Männer im Programm sind. Das soll auf keinen Fall noch einmal passieren. Vielleicht schaffen wir es nächstes Jahr, auf die 50 Prozent zu kommen, das ist klarer Bestandteil der Booking-Politik. Generell braucht es einen erklärten Willen, um umzusetzen, dass mehr Frauen auf Festivals auftreten. Auch Booker sind meistens Männer, das ist einfach Gedankenlosigkeit. Natürlich behaupten alle, dass es ihnen nur um die Qualität ginge, das Geschlecht würde keine Rolle spielen. Aber Veränderung schafft man nur durch Präsenz.

In den Anfangsjahren gab es durchaus große Namen beim Überjazz: McCoy Tyner, John Scofield, Herbie Hancock. Solche alteingesessenen Jazz-Stars sind jetzt gar nicht mehr dabei. Waren die zu teuer?

Ja. Auf jeden Fall. Es wäre schön, diese Generation abzubilden, das liegt auch in unserer Verantwortung als Festival. Ich hätte dieses Jahr sehr gerne Pharoah Sanders gebucht, der gerade auf Tour ist, aber das war finanziell nicht machbar.

Foto: Yvonne Schmedemann

Heiko Jahnke, 47, war lange DJ und Booker und hat die Eventlocation „Hamburger Botschaft“ mitgegründet.

Ein Schwerpunkt dieses Jahres liegt auf der US-amerikanischen Hip-Hop/Jazz/­R- n -B-Szene mit Künstlern wie Thundercat, Miles Mosley und Moses Sumney. Warum ist die Westküsten-Szene so wichtig?

Los Angeles war immer schon Dreh- und Angelpunkt für verschiedenste Szenen. Die West Coast war immer ein wenig für sich, die sind sowieso etwas entspannter da. Kendrick Lamarr ist da nur ein Name von vielen. Auch Hip-Hop kam lange vor allem aus New York, und dann mit einem sehr eigenen Style aus L. A. Thundercat klingt ja auf dem Papier eher furchtbar: ein Typ mit bunter Mütze spielt 70er-Jahre-Gewitter auf einem Sechs-Saiten-Bass. Aber hat eine ganze eigene Musik erschaffen und bringt verschiedene Generationen dazu, darauf abzufahren. Das ist eine irre Leistung.

Ihr Programm ist sehr kompakt. Wer ist der Geheimtipp, den man unbedingt sehen muss?

Die leichte Überforderung ist gewollt. Einige mögen gerade diesen Ansatz: sich alles häppchenweise zu Gemüte zu führen. Das Entdecken ist fester Bestandteil. Einer, bei dem es sich lohnt, ist Laraaji. Der hat sich irgendwann in den Siebzigern eine Zither mit Tonabnehmer gebastelt und mit Effekten experimentiert. Der Legende nach hat er in einem Park in Manhattan gespielt, ist eingeschlafen, und als er aufwachte, lag neben ihm eine Notiz von Brian Eno, er solle sich doch einmal melden. Er wurde ein Star in der New-Age-Szene. Im Übrigen praktiziert er Lachmeditation. Wer Ambient mag, sollte sich das anschauen.

Was ist Jazz für Sie?

Auf die Frage bin ich nicht vorbereitet. Es gab mal einen, der meinte: Jazz ist auch nur Musik.

Überjazz-Festival, heute und morgen, jeweils ab 19 Uhr, Kampnagel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen