: Auf die improvisatorische Art
PORTRÄT Michael Wollny mag Gothic-Romane genauso wie Prince-Balladen. Am Mittwoch beginnt die Deutschland-Tournee des Jazzpianisten im Kammermusiksaal der Philharmonie
![](https://taz.de/private/picture/5242086/516/163955.jpg)
von Tobias Richtsteig
Als Jazzpianist ist Michael Wollny viel unterwegs. Vor ein paar Tagen hat er in Frankfurt am Main „Goldberg-Tangenten“ gespielt: Bachs berühmte Variationen, mit einem Thomas-Bernhard-Text versetzt – und Live-Elektronik unterlegt. Jetzt sitzt der 37-Jährige beim Promotermin anlässlich seines neuen Albums und erinnert sich: „Das war eine sehr freie Improvisation. Und hinterher kamen die Leute zu mir und erzählten: ‚Wir waren ja grade bei Nils und das war auch so toll!‘ Da bin ich manchmal überrascht, dass die stilistische Offenheit der Zuhörer ähnlich groß ist, wie ich sie auch für mich empfinde, wenn ich in den verschiedenen Projekten spiele.“
Pop- und Technoaffinität
Denn „der Nils“, das ist der schwedische Posaunist Nils Landgren, für den Ulrich Stock in der Zeit unlängst das Genre „Rudi-Carell-Jazz“ erfand. Mit ihm spielt Wollny auch als Duo, dann stehen schon mal Songs von Sting oder Tina Turner auf dem Programm. Die sind dann aber erst auf den zweiten Blick wiederzuerkennen. Denn unwahrscheinliche Verbindungen herzustellen gehört zu Michael Wollnys Stärken. Als vor zehn Jahren sein Debüt mit dem Klaviertrio „[em]“ erschien, erkannte das Feuilleton ihn als Vertreter einer neuen Generation, die nicht nur mit Pop und Techno aufgewachsen war, sondern auch mit Einflüssen aus der ganzen Welt. Die afroamerikanischen Traditionen des Jazz gelten für diese Generation „nur noch als Möglichkeiten unter vielen anderen“, schrieb die Neue Zürcher Zeitung.
Tatsächlich waren bei [em] eher HipHop-Beats zu hören als swingende Ride-Cymbals, hier und da Motive aus barocken Chorälen, Minimal Music und Impressionismus, aber eben keine Bebop-Floskeln. Der Slogan vom „Young German Jazz“ kursierte. Und Michael Wollny, der damals gerade Mitte zwanzig und nach Berlin gezogen war, wurde zum Coverboy des neuen Trends. Es war eine Blütezeit des Jazz in Berlin, ständig strömten neue MusikerInnen in die Stadt. Die Mieten waren noch erschwinglich und ließen Raum für Experimente, ohne auf Erfolg zu schielen.
Michael Wollny
Doch genau der stellte sich für den in Schweinfurt geborenen Wollny ein – wohlgemerkt in den überschaubaren Dimension des Jazz-Business. Kurz nach dem [em]-Debüt erschien auch sein erstes Duo-Album mit dem Saxofonisten Heinz Sauer. Der könnte zwar sein Großvater sein und zählt als Tenorsaxofonist zur Gründergeneration des freieren Jazz in Deutschland, trägt aber HipHop-Klamotten – weil die bequemer sind. Und im Duo ließ er sich von Wollny auch für Prince und Björk begeistern. Fortan galten sie zuweilen gar als große neue Hoffnung des Piano-Jazz in Deutschland.
Bei solchen Schlagworten lächelt Michael Wollny leicht gequält. Zum einen ist er tatsächlich bescheiden geblieben, andererseits würde er seine Musik nicht unbedingt Jazz nennen. „Das Wort ‚Jazz‘ will ja immer eine bestimmte stilistische Sprache bezeichnen. Aber das ist nicht mein Ansatz. Die Musik muss offen bleiben, überraschend, inkludierend. Ich nehme irgendwas von außen und versuche, das in meinen Kosmos zu integrieren, und mache das halt auf improvisatorische Art und Weise.“ Und was er da zusammenführt, kommt eben nicht aus dem Mainstream, manches auch aus Literatur oder Film. Sein Solo-Album „Hexentanz“ etwa nennt er „Gothic Music“, er ist ein Fan der Gruselromane von Mary „Frankenstein“ Shelley. Und auf seinen neueren Alben findet sich Musik aus Filmen von David Lynch, Charlie Kaufman und Alfred Hitchcock, neben „be free“ von den Flaming Lips und Pinks „God is a DJ“.
Wenn Michael Wollny am Mittwoch seine Deutschland-Tournee im Kammermusiksaal beginnt, kommt er als Besucher nach Berlin: Inzwischen lebt er in Leipzig, er ist Professor für Jazz und Popularmusik. Und er kommt nicht zum ersten Mal in die Philharmonie am Potsdamer Platz. Erst im vergangenen Mai trat er im Großen Saal auf: mit Markus Stockhausen und den 12 Cellisten der Philharmoniker. Doch die Anfänge als frei improvisierender Musiker hat er dabei nicht vergessen. „Ich glaube, es widerspricht der Musik nicht, dass es auch größer werden kann“ sagt er, aber „die Musik entsteht dadurch, dass zwei, drei, vier, fünf Leute sich erst mal treffen und miteinander musikalisch sprechen wollen. Und das traditionellerweise erst mal vor kleinem Club-Publikum, im überschaubaren Raum. Diese Keimzelle Club ist einfach nicht ersetzbar.“
Michael Wollny, Kammermusiksaal Philharmonie, Mi.,28. 10., 20 Uhr
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