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Auf der Verliererstraße

Da will man Entscheidendes im Bundestag bewegen, ist jung, wild und Abgeordneter der CDU. Und? Nichts. Ausgebremst von den Opas der Partei. Dabei hat man das gesamte Repertoire drauf, hat mit Medien jongliert, Mitstreiter angeworben. Peter Altmaier wollte ein neues Staatsangehörigkeitsrecht. Über das Scheitern in Bonn  ■ Markus Franz

Der CDU-Abgeordnete Peter Altmaier wirkt gar nicht fröhlich in diesen Tagen. Das Zupackende, Optimistische an ihm scheint verflogen. Häufig sieht er so melancholisch aus, wie jemand, dem ein Abschied von Liebgewonnenem bevorsteht. Vorsorglich bittet er Journalisten darum, man möge ihn doch nach der Bundestagswahl nicht vergessen.

Es ist noch nicht lange her, da wirbelte der Vierzigjährige als Vorturner der sogenannten „Jungen Wilden“ virtuos und lustvoll durch die Medienlandschaft. Sein Name stand wie kein anderer für das Thema Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Nicht SPD, nicht Bündnisgrüne und FDP waren die treibende Kraft, sondern Altmaier und Co. Da galt es für die Journalisten noch, besser einmal zuviel bei ihm anzurufen, um nichts zu verpassen.

Schrieb er gerade wieder einen Brandbrief an Schäuble oder Kohl? Plante er eine neue Unterschriftenaktion? Würde er gemeinsame Sache mit SPD und Grünen machen? Oft hatte er mehrere Journalisten zugleich in der Telefonleitung. Kaum ein Gespräch, in dem er nicht bewies, wie gefragt er war. „Wie ich heute morgen im Deutschlandfunk gesagt habe.“ oder „Haben Sie mein Interview in der FAZ gelesen?“, hieß es da. Es konnte auch vorkommen, daß er plötzlich ein Gespräch rigoros beendete. Es gab ja noch so viele andere, die auf Erhellung warteten.

Und nun? Altmaier hat wieder Zeit. Die fast drei Jahre währende Schlacht, in der er Stratege, Kanonier und Herold war, ging verloren. Sein großer Traum, der Traum wohl jedes Abgeordneten, wenigstens einmal im Bundestag Entscheidendes zu bewegen, ist vorerst perdu. Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts wurde bis zur Bundestagswahl zu den Akten gelegt. Kommt sie wieder auf die Tagesordnung, werden wohl andere die Früchte ernten.

Im ersten Jahr der Legislaturperiode trat der Sohn eines Bergmanns und einer Krankenschwester in Bonn nicht nennenswert in Erscheinung. Die Medien powerten zwar die „Junge Gruppe“, eine Ansammlung von jungen CDU-Abgeordneten, die nicht mit den „Jungen Wilden“ zu verwechseln ist, aber Altmaier gehörte nicht dazu. Über ein Jahr lang, sagt der Saarländer, „hat niemand über mich berichtet“. Altmaier mußte sich etwas einfallen lassen. Der Prädikatsjurist kam auf die Idee, sich regelmäßig mit jüngeren Abgeordneten zu verabreden, die wie er Mitglieder des Rechtsausschusses waren. Schon bald fielen Peter Altmaier, Norbert Röttgen, Eckart von Klaeden und Hermann Gröhe mit Positionen auf, die von der Meinung ihrer Fraktion abwichen. Die Medien nannten sie bald ebenfalls die „Jungen Wilden“. Als willkommene Zugabe stellte sich für Altmaier, den ehemaligen Schulvorsitzenden, Stadtvorsitzenden, stellvertretenden Landesvorsitzenden der Schüler-Union, den Orts-, Gemeinde-, Kreis-, und Landesvorsitzenden der Jungen Union das Gefühl ein, „plötzlich etwas zu haben, was wie ein Zuhause ist“.

Das Thema Staatsangehörigkeitsrecht war schon seit dem Brandanschlag in Solingen im Mai 1993 im Gespräch. Die SPD setzte beim Asylkompromiß durch, daß Reformen vereinbart wurden. Aber schon im Jahr 1995 kümmerte das bei den großen Parteien kaum noch jemanden. Altmaier erkannte seine Chance.

Gespräche mit Innenminister Kanther und dem Rechtsexperten der CDU-Fraktion, Rupert Scholz, führten nicht weiter. Altmaier wurde klar: Wer in der Politik etwas erreichen will, muß andere Saiten aufziehen. Nur wie? Staatsangehörigkeit gehörte zum Themenbereich des Innenausschusses, in dem Altmaier und seine Freunde nicht saßen. Also beantragten sie eine fraktionsoffene Arbeitsgemeinschaft zum Thema. Ihr Kalkül: je mehr Leute auch aus anderen Bereichen mitreden können, desto geringer der Einfluß der eher konservativen Abgeordneten im Innenausschuß. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, sammelten sie 23 Unterschriften. Das reichte. Dreimal trat die Arbeitsgemeinschaft zusammen, dann wurde sie auf Eis gelegt. Also mußte eine neue Finte her. Und eines war Altmaier inzwischen klar: Ohne Öffentlichkeit passiert in der Politik nichts. Nicht, daß deswegen jemandem ein Vorwurf zu machen sei. Es ist nur so, sagt Altmaier: Die Verantwortlichen haben eine begrenzte Aufmerksamkeit, sie können auch nur sechzehn Stunden arbeiten, sie müssen daher Prioritäten setzen, und welche das sind, wird durch die Öffentlichkeit bestimmt.

Im April 1996 legten Altmaier, Röttgen und Klaeden bei einer Pressekonferenz im Berliner Reichstag einen Fahrplan zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vor. Drei junge CDU-Abgeordnete. Abweichende Meinung zur Parteilinie. Im Reichstag. „Zum ersten Mal“, schwärmt Altmaier, „hatten wir eine massive Öffentlichkeit.“ So ging das also.

Die jungen Abgeordneten holten zum nächsten Schlag aus. Einem Magenschwinger. Wieder sammelten sie Unterschriften. Für zwei brisante, knackige Forderungen. Erstens: Alle in Deutschland geborenen Kinder von Ausländern erwerben mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit. Zweitens: Ausländer, die mindestens zehn Jahre in Deutschland leben, sollen einen Einbürgerungsanspruch erhalten. Diesmal peilte Altmaier hundert Unterzeichner an. Es wurden hundertfünfzig. Prominente Unionspolitiker wie Heiner Geißler und Christian Schwarz- Schilling unterschrieben. „Zwei Monate lang“, sagt Altmaier, „habe ich nichts anderes gemacht, als Unterschriften zu sammeln.“ Die Präsentation der Fleißarbeit vor der Presse geriet zur Mutprobe. CDU/ CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble und Rupert Scholz versuchten vehement, die Präsentation vor der Presse zu verhindern. Altmaier und Co hielten stand.

Nun passierte was! Es hagelte Titelgeschichten und Kommentare. Die CSU tobte. Innenpolitiker Wolfgang Zeitlmann, verheiratet, drei Kinder, vergriff sich im Ton: „Den Jungen Wilden sollte man mit der Gartenschere die Eier abschneiden.“ Fünf weitere Unionspolitiker unterschrieben den Aufruf zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Ein Alternativkonzept von Rechtsexperte Rupert Scholz wurde bekannt. Das CDU-Präsidium setzte heimlich eine Arbeitsgruppe unter Federführung von CDU-Generalsekretär Peter Hintze ein. Die CSU griff statt zur Gartenschere zu Stift und Papier: Auf einer Klausurtagung faßten die Christsozialen den Beschluß, daß Ausländern, die mindestens zehn Jahre in Deutschland leben, einen Einbürgerungsanspruch haben sollen. Ein Grund zum Feiern für die Jungen Wilden? Einerseits schon. Andererseits lautete die unmißverständliche Botschaft aus Bayern: bis hierhin und keinen Schritt weiter.

Altmaier und Co hatten Oberwasser. Trotzdem, nur bloß jetzt nicht den dicken Max riskieren und die Partei noch weiter gegen sich aufbringen. So mancher Parteifreund grüßte Altmaier schon nicht mehr, und einige von denen, die ihm noch im Juni Glückwünschkarten zum Geburtstag geschrieben hatten, würden es so schnell nicht wieder tun. Manche waren vielleicht eifersüchtig auf den jungen Senkrechtstarter, der bei den Medien so gut ankam. Andere warfen ihm mit echter Erbitterung vor, aus Profilierungssucht das Geschäft des politischen Gegners zu betreiben.

Die nächste Bewährungsprobe für die Jungen Wilden wartete schon: der Parteitag der CDU in Hannover im Oktober 1996. Wenn Altmaier heute über eigene Fehler nachdenkt, immer und immer wieder, fällt ihm schlagartig dieser Parteitag ein. Er sollte eigentlich den Durchbruch bringen. Das Kalkül war wie folgt: Die CDU muß um fast jeden Preis vermeiden, daß auf dem Parteitag um das Staatsangehörigkeitsrecht gestritten wird. Zum einen, weil sie sonst als uneinig dastehen würde. Zum anderen, um der Gefahr zu begegnen, daß ein Streit über Ausländerfragen den rechten Parteien Zulauf bringt.

Die Chancen standen gut, daß die CDU vor dem Parteitag Konzessionen machen würde. Kompromisse waren denkbar: Die Parteiführung akzeptiert, daß Ausländerkinder nach der Geburt in Deutschland automatisch Deutsche werden und eine doppelte Staatsbürgerschaft erhalten. Die jungen Abgeordneten willigen im Gegenzug ein, daß Einbürgerungen nicht automatisch, sondern nur auf Antrag erfolgen. Und wenn es wirklich nicht anders geht, legen sie noch etwas drauf: dann muß eben die endgültige Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft schon im 18. statt bis zum 21. Lebensjahr getroffen werden.

Die CDU-Youngster waren zuversichtlich. Ohne ausdrücklich zu drohen, stand ihre Absicht im Raum, daß sie auf dem Parteitag die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zum großen Thema hochspielen würden. Kein schlechter Spielzug. Aber jetzt waren die anderen Spieler an der Reihe. Die einen machten es auf die nette Tour: Sie gaben zu bedenken, daß eine offene Konfrontation der eigentlich vorzüglichen Sache nur schaden würde. Emotionen würden geschürt, Fronten verhärtet. Und denkt doch an unsere Jahrhundertreform im Steuerrecht! Soll die etwa durch einen Streit über das Staatsangehörigkeitsrecht in den Hintergrund geraten? Andere drohten unverhohlen: Wenn ihr das durchzieht, müssen wir euch leider Ärger machen.

Die jungen Abgeordneten akzeptierten einen Kompromiß. Sie durften den Antrag stellen, „die Neuordnung des Staatsangehörigkeitsrechts dem Bundesvorstand zu überweisen, mit der Maßgabe, die Thematik noch in der ersten Hälfte des Jahres 1997 zu beraten“. Zu beraten. Punkt.

„Was sollten wir machen“, fragt Altmaier, „wir haben wirklich geglaubt, daß wir unserer Sache schaden, wenn wir es mit der Brechstange versuchen.“ Die alten Profis hatten die Jungen Wilden abgezockt.

Von nun an waren die jungen Reformer auf der Verliererstraße. Sie hatten stillgehalten, die Initiative aus der Hand gegeben und sich vom guten Willen der Parteiführung abhängig gemacht. Die Partei setzte den Beschluß des Parteitags nicht um. Die Auseinandersetzung mit der SPD um die Steuerreform, das Problem der Haushaltslöcher, der Skandal um die Neubewertung der Goldreserven waren wichtiger. Wie sähe es aus, wenn zu all dem Ungemach auch noch ein innerparteilicher Streit um die Staatsangehörigkeit dazukäme? Da wäre die Bundestagswahl ja gleich verloren. Das mußten auch die Jungen Wilden einsehen, die nun „Junge Milde“ hießen.

Im April 1997 kam noch einmal Hoffnung auf. In einem Brief an Kohl hatten Altmaier, Gröhe und Röttgen beklagt, daß der Beschluß des Parteitags nicht eingehalten worden war. Eckart von Klaeden war schon nicht mehr dabei. Und auch andere sollten sich bald aus dem Kreis der Unterstützer verabschieden. Die Wahltermine für die Nominierung zum Bundestag standen bevor. Da galt es, besser nicht zu viel zu riskieren. Und die Nähe zu Altmaier, der sich auch noch in der Debatte um den CDU-Kanzlerkandidaten für Schäuble ausgesprochen hatte, galt in der Union nicht gerade als Empfehlung.

Aber Kohl reagierte auf den Brief. Er wies Generalsekretär Peter Hintze an, die Arbeitsgruppe zur Staatsangehörigkeit erneut einzuberufen. Vor der Fraktion erklärte er: „Man muß etwas für die Kinder tun.“ Nach Bonner Lesart kam das fast einem Machtwort für eine Reform gleich.

Aber auch der Kanzler kann nicht immer so, wie er sich das vorstellt. Im Juni 1997 verlangte die CSU bei einem geheimen Strategiegespräch im Kanzleramt die Ablehnung der Reformvorschläge der jungen Abgeordneten. Und die FDP versagte als Gegengewicht. Statt sich vehement für die Reform einzusetzen, die sie sich seit Jahren auf die Fahnen geschrieben hatte, wandte sie ihre ganze Kraft für die Senkung des Solidaritätszuschlags auf. Das Konto für weitere Machtproben in der Koalition war damit überzogen. Altmaier und Co hatten ausgespielt.

Im November 1997 wurde die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts für diese Legislaturperiode zu Grabe getragen. In der CDU-Fraktion stimmten vierzig bis fünfzig Abgeordnete für eine Reform, etwa hundertfünfzig dagegen. Altmaier war da auf der Autobahn – auf dem Weg zur Nominierung als Bundestagsabgeordneter in seinem Wahlkreis. Ausgerechnet an diesem Tag. Vom Autotelefon aus sagte er mit Grabesstimme: „Das ist der schwärzeste Tag in meinem Leben.“

Wie sieht ein Abgeordneter, der mit seinem großen Ziel gescheitert ist und es sich mit einem großen Teil seiner Partei verscherzt hat, seine Zukunft? Sich einfach einem anderen Thema zuwenden? Es gibt ja so viele, die lohnten. Wenn Altmaier sich nur nicht gerade für solche Probleme interessieren würde, die in seiner Partei verpönt sind: die Situation von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern, die Liberalisierung der Drogenpolitik oder die Reform des politischen Systems. Er befürchtet, als Vorkämpfer für ein neues Reizthema nicht mehr ernst genommen zu werden. Um so mehr, wenn sich die CDU in der Opposition wiederfindet. Gerade dann müßten die eigenen Reihen geschlossen sein. Quertreiber wie er seien dann noch weniger gelitten.

Trotz allem hat sich der Kampf gelohnt, sagt er. Schließlich sei das Bewußtsein für das Thema Staatsangehörigkeit gestiegen. Wenn eine gute Fee käme und ihm die freie Wahl ließe zwischen der jetzigen Situation und dem Posten eines Staatssekretärs, den er sich jetzt wohl eher verbaut hat, würde er sich für die jetzige Situation entscheiden. Dabei sieht er aber gar nicht glücklich aus.

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