"Auf der Sonnenseite": Neuer Tatort-Kommissar undercover
Mehmet Kurtulus ist der neue Hauptkommissar im Hamburger "Tatort" und verrichtet seinen Dienst Gott sei Dank nicht an der Seite der üblichen Kollegen, sondern auf der Straße. Ansehen.
N ach dem wenig beweinten Abschied von Robert Atzorn als "Tatort"-Kommissar gehen sie in Hamburg nun konzeptionell und personell andere Wege. Erfreulicherweise. Zuletzt gab es vor acht Jahren mit "Der Solist" im ZDF ein Krimi-Format, das einen Einzelkämpfer in außergewöhnlichen Inszenierungen präsentierte - in dieser Tradition steht nun Atzorns Nachfolger, der neue Hamburger Hauptkommissar Cenk Batu, gespielt von Mehmet Kurtulus.
Batu verrichtet seinen Dienst Gott sei Dank nicht an der Seite der üblichen Kollegen, muss nicht mit Staatsanwältinnen flirten und kennt Polizeireviere nur von außen. Sein Einsatzort ist die Straße, sein Auftrag: das Spiel mit wechselnden Identitäten. Denn Batu ermittelt verdeckt. Und sein Debüt im NDR-Tatort "Auf der Sonnenseite" lässt für die Zukunft einiges erwarten.
Für das geneigte Krimi-Publikum bedeutet das zunächst eine Zunahme von Intensität. Gleich zu Beginn sehen wir Batu in einer heiklen Situation: Zwar ist es ihm gelungen, sich in einen Kreis dubioser Geschäftsleute einzuschleusen - bei der Nagelprobe allerdings versagt er, weil ihn berechtigte moralische Skrupel plagen.
Doch statt sein seelisches Gleichgewicht im Urlaub wiederherzustellen, wartet schon der nächste Einsatz auf ihn: Dennis Nesrem, der Neffe eines zwielichtigen Restaurantbesitzers und Gemüse-Importeurs, ist auf offener Straße niedergestochen worden und liegt nun im Krankenhaus. Souverän täuscht Batu Blinddarm-Beschwerden vor, landet im Nachbarbett und versucht, die Hintergründe der Bluttat in Erfahrung zu bringen.
Das allerdings erweist sich zäher als erwartet. Zwar gewinnt er bald Nesrems Vertrauen, weil er einen weiteren Mordversuch an dem Jungen vereitelt, womit er gleich bei dessen Onkel einen Stein im Brett hat. In der Sache selbst kommt Batu aber zunächst nicht weiter, auch wenn er schnell entdeckt, womit der ehrenwerte Geschäftsmann Tuncay Nesrem sich seinen Luxus verdient. Doch erst ein näherer Blick auf die Geschäftspartner seines neuen Arbeitgebers, die alte Bekannte sind, wird ihm wirklich die Augen öffnen. Was für Batu freilich auch sehr unangenehme Folgen haben kann.
Wie sich die Angelegenheit entwickelt, nimmt sich am Bildschirm sehr ansehnlich aus. Das liegt zum einen daran, dass die Autoren Thorsten Wettcke und Christoph Silber ihrem einsamen Ermittler und seinem Vorgesetzten Uwe Kohnau (Peter Jordan) eine stimmige wie spannende Geschichte auf den Leib geschrieben haben, für die Regisseur Richard Huber das angemessene Erzähltempo und atmosphärisch dichte Bilder findet.
Zudem erweist sich die Besetzung der Hauptrolle mit Mehmet Kurtulus, bekannt etwa aus Fatih Akins Film "Kurz und schmerzlos", als veritabler Glücksfall, verbindet er doch physische Präsenz mit hoher Konzentration in jeder Sequenz.
Hinzu kommt, dass Wettcke und Silber in der Komposition ihres "Tatorts" um falsche Träume und falsche Produkte der Versuchung widerstanden haben, die Multikulti-Karte zu spielen: Außergewöhnlich ist an Hauptkommissar Cenk Batu eher sein Job als verdeckter Ermittler - weniger sein Migrationshintergrund. Was nicht heißt, dass manche seiner Kollegen dies genauso abgeklärt sehen.
Auch in dieser Hinsicht zieht ein erfrischender, bisweilen bitterer, aber nie humorloser Realismus in den NDR-"Tatort" ein. Das ist schon deshalb nicht zu unterschätzen, weil sich die ARD-Redaktionen in den vergangenen 40 Jahren offensichtlich erstaunlich schwer damit taten, die Veränderungen in dieser Gesellschaft auch in den Polizeirevieren ankommen zu lassen.
So., ARD, 20.15 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil