■ Auf der Anuga Food Tec präsentieren sich derzeit die Mercedesse der Mampfbranche: Ein Maschinenpark zur Herstellung moderner Lebensmittel. Die kommen aus der Welt der Lab-Enzyme, Starterkulturen, Geschmacksverstärker - und Gentechnik: Food
Auf der Anuga Food Tec präsentieren sich derzeit die Mercedesse der Mampfbranche: Ein Maschinenpark zur Herstellung moderner Lebensmittel. Die kommen aus der Welt der Lab-Enzyme, Starterkulturen, Geschmacksverstärker – und Gentechnik
Food for fun vom Lebensmitteldesigner
Lebensmittelmesse? Auf den ersten Blick ein großer Maschinenpark. Edelstählern. Chromblinkend. Es surrt, säuselt, zischt, rotiert und rattert. Ausgestellt sind monströse Fleischpreßmaschienen, Homogenisatoren, Apparaturen „zum Schüttgut-Handling“ in der modernen Molkerei, Vollei- Sprühtrockner und Gewürzentkeimungsanlageparks. „Saftverarbeitungs-Equipment“ wird ebenso beworben wie die neuesten „Abschwartemaschinen“ bestaunt. Die appetitliche Videovorführung blitzschnell geschälter Schweinehälften imponiert sehr. Die Herstellerfirmen von Nahrungsmitteln selbst fehlen weitgehend. Bei der Anuga Food Tec (bis Samstag in der Kölner Messe) geht es um Produktions-Know-how. Und damit um die Hintergründe des schönen Scheins aus Supermarkts Regalen. Es ist die Welt der Maschinenbau- und Bioingenieure, der Verfahrenstechniker, Chemiker und Mikrobiologen.
Das Wort „Natur“ fehlt als Stichwort im dicken Messekatalog, nicht aber „Entsehnungsmaschine“ oder „Fleischseparator für tierische Weichteile“. Die Mittel zum Leben sind nur Mittel zum Zweck: Dekoration. Und wenn, meist aus Plastik. Doch essen brauchen wir die skurril anmutende Hardware ja nicht.
Beim Stand der Sundi-Forschung riecht es lockend: Vanilleschwaden, Blütenduft. In den Präsentationsregalen stehen Reagenzgläser. Die „Ideen mit gutem Geschmack“ der Firma entspringen der weiten Welt der Kunstaromen, („naturidentisch“) – Farbstoffe, Konzentrate und Glanzstoffe, Geschmacksverstärker, Emulgatoren hier und Trennmittel da. Kurz: all die Zusatzstoffe für den modernen Laborcocktail, den wir vor allem im Süßwarensektor als Milchmixgetränk, Fruchtjoghurt, Eiscreme und Schokoladenspezialitäten zu uns nehmen. Es sind die Ingredienzien, die Butter mit Wasser vermischen und so zur streichzart aufgepeppten Light-Butter machen oder die den Bierfabriken den Kunststoff PVPP darreichen, um den Gerstentrunk zu konservieren. Die aromatische Spezialmargarine (mit Kakao gefärbt) zur Fettglasur aufpeppen. Die Separatorenfleischmixpasten und Knochenbrei zur rotgefärbten Delikateßwurst werden lassen.
Wir essen es halt alles: „Ultrahocherhitzte, aseptisch abgefüllte Naßfertiggerichte“ gelten als boomende „Convenience-Produkte“. 18 Kilo tiefgefrorene Fast-food- Fertiggerichte stopft jeder Bundesbüger pro Jahr in sich hinein – Tendenz deutlich steigend. Für solches „food for fun“ (Branchenname) müssen Labordesigner ran. Das Institut für Lebensmittelkonservierung KIN aus Neumünster preist seine teilpasteurisierte Krebsfleischimitat-Fertigkost an Dillsahne im Vakuumpack und die luftdicht im Plastiksack verschweißten, „im Autoklaven hergestellten Nudelsnacks“ – die allerdings besser blind gekauft und verzehrt werden sollten, denn, sorry, sie sehen aus wie eingelegter Dünndarm vom Magenbluter – an.
Lebensmittel heute: Hoechsts Labore haben einen neuen Ersatzzucker ausgespuckt („200mal süßer“) – da komme man, freut sich eine Firmensprecherin, „dem Süßeprofil von Zucker schon sehr nah“. Wiesby aus Niebüll kommt mit einer neupatentierten Schutzkultur zur Hemmwirkung gegen die Spätblähung im Käse. Und, ganz frisch, mit einer „definierten Mehr-Spezies-Kultur“ des Propionibacteriums freudenreichii. Was das ist? Dem Redeschwall eines Lebensmittelchemikers um Lab- Enzyme, Milchsäurebakterienproblematik und Fermentationslinien zu folgen, ist ohne Chemie- oder Mikrobiologiestudium kaum mehr möglich. Essen dürfen wir solch Freudenreichii-Food ohne Diplom. Doch eigentlich ist all das schon Chemie von gestern. Der moderne Mikrokosmos der Massenproduktion heißt Gentechnik. Alle machen sich auf der Kölner Messe große Gedanken – aber reden wenig darüber. Viele Zuliefererfirmen (Zusatzstoffe, Käse- Starterkulturen) berichten von Verunsicherung und Skepsis ihrer Kunden. Manche Nahrungsmittelhersteller wollten sich zertifizieren lassen, daß keine Genschnipselei im Spiel ist, um sich entsprechend anpreisen zu können. „Panik“ gebe es nicht, meint der Sprecher einer deutschen Firma, „aber die Verbraucher sind im Bereich Mikrobiologie sehr hellhörig geworden“. Und er schickt einen zur Konkurrenz: „Firma Hansen, Lübeck, die vertreiben das schon.“ Die bestätigen das. Allerdings würden ihre gengemixten Käsereigerinnungsenzyme („naturidentisch“) noch nicht in Deutschland vertrieben. „Es wäre aber verrückt, die Finger davon zu lassen“, sagt ein Sprecher. Die offiziell vorgetragene Skepsis anderer Firmen sei Augenwischerei; auf den Zug würden alle aufspringen, sobald die Zulassungen erteilt seien.
Draußen vor dem Messeeingang lassen derweil BUND und Reformhausverbund eine zähnefletschende Riesentomate aufsteigen und fordern als Mindestmaßnahme eine Kennzeichnungspflicht für gentechnisch behandelte Nahrungsmittel. Gleichzeitig wird im Hamburger Hafen die erste Ladung Gen-Soja gelöscht. Und Ernährungsminister Jochen Borchert gibt der Mampfbranche in Köln mit auf den Weg, Deutschland werde sich zweifellos „beim verantwortungsvollen Einsatz dieser Zukunftstechnologie nicht ausklinken“. Bernd Müllender, Köln
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