: Auf den Deckel
Die Mehrheit der Bevölkerung wohnt zur Miete. Doch die Gesetzgebung bevorzugt eine Minderheit von Eigentümern und Investoren. Das müsste so nicht sein in einer Demokratie.
Von Minh Schredle↓
Am Ende sind immer die Armen am Arsch. Diese Faustregel, mit der sich politische Prozesse rückblickend bewerten und bislang auch treffsicher prognostizieren lassen, fand jüngst ein überaus anschauliches Beispiel am tragischen Werdegang des Berliner Mietendeckels. Die Idee klang so schlecht nicht: Explodierenden Preisen für eine Bleibe in der Hauptstadt sollte ein strenger Riegel vorgeschoben werden – was erstmal funktionierte und sich eine kurze Zeit sehr positiv für viele Menschen bemerkbar machte. Dann schritt das Bundesverfassungsgericht ein und stellte fest, dass es nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, wenn das Land Berlin derart ins Wohnen eingreift, weil das Angelegenheit des Bundes sei. Dieser habe „die Bemessung der höchstens zulässigen Miete für ungebundenen Wohnraum“ bereits mit der [nutzlosen, d. Red.] Mietpreisbremse „abschließend geregelt“.
Was die Aktienkurse börsennotierter Immobilienkonzerne in die Höhe schnellen lässt, kommt für viele MieterInnen einer Katastrophe gleich. Den Betroffenen stehen jetzt richtige Scheißzeiten bevor, weil ihnen mitten in einer eskalierenden Wirtschaftskrise Mietrückzahlungen für die vergangenen 14 Monate abgenötigt werden dürfen und sich, auch angesichts der Pandemie, nicht alle Begünstigten leisten konnten, die Ersparnisse durch den Deckel auf die Seite zu legen. Der Berliner Senat stellt nun einen Fonds für Zahlungsunfähige in Aussicht, der laut dpa „eine zweistellige Millionensumme umfassen könnte“. Bei 1,5 Millionen Wohnungen, die der Mietendeckel vergünstigte, und der höchstens zweistelligen Millionensumme, die sich mit bekannten Zahlen konstruieren lässt, wären das also bestenfalls 66 Euro pro Wohnung. Wie groß das Aufatmen der Betroffenen wohl ausfallen wird?
Nächster Versuch: Enteignung
Da drängt die Frage, wer’s verbockt hat. Teils wird die Verantwortung beim Bundesverfassungsgericht verortet. Das aber ist nur seiner vorgesehen Funktion als Kontrollinstanz nachgekommen und hat eine Landesregierung, die ihre Kompetenzen überschritten hat, in die Schranken gewiesen. Ob der Bund mit der Mietpreisbremse eine funktionierende und effektive Regelung gefunden hat, um die Preisexplosion am Wohnungsmarkt einzudämmen, wurde in Karlsruhe nicht qualitativ bewertet – entscheidend ist die Frage, ob er sich als Gesetzgeber an einer Regelung versucht hat oder nicht. Und ob der Bund die Mieten in der ganzen Republik deckeln dürfte, lässt das Urteil offen.
Verbockt hat es also ziemlich offensichtlich der Berliner Senat, der mit seinem verfassungswidrigen Vorgehen viele Menschen in die Bredouille gebracht hat. Allerdings muss man der Landesregierung zugute halten, dass die Rahmenbedingungen am Wohnungsmarkt sehr schlecht sind und ein Handlungsbedarf unstrittig besteht. Und auch wenn das Vorhaben, eine Mietregelung im Interesse der Mehrheitsbevölkerung zu erlassen, aufgrund fehlender Kompetenz krachend gescheitert ist, haben die sinkenden Mieten in der kurzen Zeitspanne, in der der Deckel wirksam war, zumindest eines verdeutlicht: Prinzipiell ist eine Gesetzgebung vorstellbar, von der auch mal Menschen ohne Dividendenbezug profitieren. In einer Demokratie könnte das noch relevant werden, denn nicht nur wohnt hier ein Großteil zur Miete, sondern auch die Aktien- und Immobilieneigner sind eindeutig in der Minderheit – beste Voraussetzungen also, die Verhältnisse umzustupsen und neu zu strukturieren.
Die gesellschaftliche Linke reagierte auf das Aus des Mietendeckels zu großen Teilen mit gesteigerter Entschlossenheit. „Karlsruhe pusht die Enteignung“, kommentierte etwa Bert Schulz in der taz. Im September soll in Berlin über das Volksbegehren abgestimmt werden, großen Immobilienunternehmen in der Hauptstadt ihren Wohnungsbestand gegen eine Entschädigung abzunehmen. Allerdings ist nicht ersichtlich, weswegen ein solcher Eingriff in den Wohnungsmarkt durch das Land Berlin eher verfassungskonform sein sollte als der Mietendeckel.
„Klare Schieflage zulasten der Armen“
Das muss allerdings kein Grund sein, sich entmutigen zu lassen. Es zeigt nur, dass die deutschen Mechanismen zum Schutz des Eigentums sehr komplex sind. Und dass, um hier ohne ein Veto aus Karlsruhe etwas für den gesellschaftlichen Frieden zu tun, kein Weg an der Bundesebene vorbeiführt. Traditionell resultieren hierbei zwar Hoffnungen auf mehr soziale Gerechtigkeit unabhängig von der gegenwärtigen Regierungszusammensetzung in schweren Enttäuschungen. Doch die gesellschaftliche Unzufriedenheit hat allmählich einen Reifepunkt erreicht, der einen Umschlag denkbar macht.
Seit Jahren kommen verschiedene Umfragen konstant zu dem Befund, dass eine deutliche Bevölkerungsmehrheit, meist zwischen 70 und 80 Prozent, die ökonomischen Zustände in der Bundesrepublik als ungerecht empfindet. Tatsächlich geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander – was massiv durch eine Politik begünstigt wird, die Vermögende so einseitig bevorzugt, dass das Bundessozialministerium für seinen fünften Armuts- und Reichtumsbericht 2016 erst eine Studie beauftragte, die eine „klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zulasten der Armen“ konstatierte, um diesen Befund, der es noch in den Entwurf geschafft hat, in der Endabstimmung streichen zu lassen.
In den vergangenen 30 Jahren hat keine einzige Steuerreform in der Bundesrepublik dem Kreis der Vermögenden Nachteile verschafft. Den Armen aber sehr wohl. Begleitend zu einem steigenden Druck auf dem Arbeitsmarkt setzt auch die sich zuspitzende Wohnungsnot dem Teil der Bevölkerung immer stärker zu, der Geld nur durch Arbeit verdient. Flankiert wurde der soziale Kahlschlag durch die quasi-religiöse Überzeugung, dass ein freies Spiel der Kräfte Probleme besser löse als eine bewusste Konzeption durch den Staat. Und dass Deregulierung – von der in Wahrheit immer nur die Vermögenden profitieren – zu den bestmöglichen Resultaten führe. Inzwischen aber hat sich das Märchen vom Markt und seiner unsichtbaren Zauberhand so offenkundig als Bullshit entpuppt, dass nur noch die verblendetsten Ideologen daran glauben mögen. Und kaum irgendwo ist die Evidenz so eindeutig wie beim Wohnen.
Der Unmut wächst
Denn als der Staat noch über vier Millionen Sozialwohnungen verfügte, waren die Mietprobleme der Mehrheitsbevölkerung kleiner und die Preise moderat. Heute sind davon weniger als 1,5 Millionen verblieben, während Immobilienkonzerne wie die Vonovia, die das veräußerte Eigentum der öffentlichen Hand aufkauften, zu den größten Schwergerichten an der deutschen Börse zählen. Somit fungiert der Wohnungsmarkt faktisch als Umverteilungsmaschinerie, die es der Immobilien und Aktien besitzenden Minderheit ermöglicht, Monat für Monat einen bedeutenden Teil des Einkommens der Mietbevölkerung abzugreifen und so zu verhindern, dass diese selbst Vermögen anhäufen kann. 40 Prozent der Bevölkerung haben keinerlei Rücklagen oder sogar Schulden, fast alle davon sind Mieter.
„Ich wohn’ in einer Berliner Vonovia-Wohnung“, teilt Georg Kurz, Bundessprecher der Grünen Jugend und Enteignungsbefürworter, auf Twitter mit. „Die haben letztes Jahr 851 Mio. Dividende ausgeschüttet – das sind ~2.045 € pro Wohnung. Meine WG zahlt also jeden Monat 170 € nur für Aktionär:innen. Erklärt mir nochmal genauer, warum wir keinen bundesweiten #Mietendeckel brauchen.“
Der Mechanismus, Menschen über den Wohnungsmarkt auszupressen, ist auch deswegen so perfide, weil er ein elementares Grundbedürfnis instrumentalisiert. Anders als beim Jetski-Shopping stellt der Verzicht auf das Wohnen keine zumutbare Option da. Der freie Vertragsschluss ist somit nicht gegeben: Auch wenn das Angebot extrem schlecht ist, passt sich die Nachfrage an, weil selbst ein dreister Mietvertrag im Zweifel besser ist, als unter der Brücke zu schlafen.
Doch mit zunehmender Konzentration des gesellschaftlichen Reichtums auf ein paar wenige – in Deutschland besitzen die 45 reichsten Familien so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung – ist perspektivisch mit steigendem Unmut der Mehrheit zu rechnen. Anzeichen dafür liefert nicht nur die Stimmung in Berlin. Und da sich die CDU als verlässlichstes Standbein der Kapitalinteressen mit Korruptionsskandalen und dem grotesken Theater um die K-Frage alle Mühe gibt, sich als so unwählbar wie nur irgend möglich zu präsentieren, sind die Voraussetzungen, nach den Bundestagswahlen im Herbst etwas anzustoßen, nicht die schlechtesten. Zumindest gibt es, wo die Armen in der Mehrheit sind, in der Demokratie eigentlich keinen Grund, sich die bemerkenswerten Zumutungen einer so einseitig reichenfreundlichen Politik weiter gefallen zu lassen.
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