■ Obergäriges Getränk mit Eigenwillen: Die Leipziger Gose: Auf alle Fälle sauer
Der Biermarkt unserer Republik implodiert, der deutsche Pro- Kopf-Verbrauch im Weltmaßstab purzelt trotz Treibhauseffekt aus dem Medaillenbereich, und was die Brauereianzahl anbetrifft, sucht unser Heimatland den Anschluß an den Rest der Welt. Grund genug für eine Rückbesinnung. Bier braucht nämlich Heimat, das werden die Braubündler nicht müde zu betonen. Köln hat das Kölsch, Plzeň hat sein Pilsner, Goslar die Gose. Moment – die Gose gibt's doch nur in Leipzig. Ja, aber Goslar gilt als eigentliche Herkunftsstadt und übernimmt damit das Namenspatronat. Man möchte diesem obergärigen Getränk schon eine gewisse Eigenwilligkeit zuschreiben. Dr. Knaust – ein Bierforscher aus dem 16. Jahrhundert – bezeichnet die Gose als zunächst süß, dann weinig, Gewürze (Koriander) mengte man wohl auch bei. Außerdem dürften wir vielleicht noch auf den mit den belgischen Gueuze- Bieren ähnlichen Wortstamm hinweisen. Wie die Gose wirklich geschmeckt habe, da will sich freilich keiner endgültig festlegen. Auf alle Fälle sauer. Über die Bekömmlichkeit gingen die Meinungen weit auseinander, und der Genuß galt seit eh und je als Mutprobe. Da vernehmen wir: „Es ist zwar ein sehr gutes Bier, die Goslarische Gose / Doch wenn man meint, sie sei im Bauch, so liegt sie in der Hose.“
Das trotz allem interessante Biergetränk liebt die Mehrzahl nicht, die Anstrengungen der Gosenschenkenrekultivierung stoppten innerhalb der Stadtgrenzen von Leipzig. Dort trinkt man sie in zwei Lokalitäten fleißig vom Faß, gemixt mit Sirup oder Kümmelschnaps. Einmal in der kabarettverseuchten Gohliser Gosenschenke „Ohne Bedenken“. Dort war 1986 der Ausschank nach 20 Jahren wieder aufgenommen worden. Gebraut wurde in Ost-Berlin. Beim Vorabtelefonat veranstaltet man mit uns eine kleine Weltreise, denn den heutigen Gosenbrauer will oder kann keiner exakt benennen, irgendwer und irgendwo, bis dann Kamerad Zufall einspringt und uns verrät: 5,2 Prozent Alkohol hat sie und wird in der Schneiderbräu „Zur Kanne“ Weissenburg/Franken gebraut. Im Biergarten kann man sich herrlich delektieren. Vor allem ohne Gose, denn die, so will uns scheinen, ist doch nicht mehr als ein ganz gewöhnliches Hefeweizen.
Nicht viel bzw. total anders bei der Connewitzer Gose. Die „Goldene Krone“ hütet zwar ein kleines Gosentraditionskabinett, doch das Personal scheint mit der rechtschaffenen Beauskunftung gnadenlos überfordert. Irrationale 8,0 Prozent werden uns da als Alkoholgehalt angeboten, ferner ein diffuser Abriß der Brauorte und des Panschgeschehens, bis man sich schließlich nach langer und kontroverser Diskussion auf Ludwigsstadt („im Harz“) einigen kann. Wir erinnern uns augenblicklich, daß die Ludwigsstädter ja schon als umtriebige Urinabfüllstation Furore gemacht haben, also Vorsicht. Und richtig, was man uns vorsetzt, sieht aus wie schon mal getrunken. Aber „die Flaschen verschließen sich von selber“. Aha. Der Kellner schreit es uns Flüchtenden noch 100mal hinterher.
Zu spät. So betrachtet, entpuppt sich Leipzigs Gosenreaktivierung bislang als Rohrkrepierer. Wird die mitteldeutsche Messestadt jemals einem singulären Bier Heimat sein können? Schwer zu sagen: Wir bleiben dran. Michael Rudolf
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