Auf YouTube vorgeführte Lehrer: Gemobbt, gefilmt und hochgeladen
Lehrer mobben gehört fast schon zum Schulalltag. Können Webseiten mit konstruktiver Lehrerkritik helfen, die Auswüchse zu lindern?
Erna S. erlebte ihren Albtraum gleich zweimal. Erst in Realzeit. Sie steht vor ihrer Klasse, und die Schüler bewerfen sie mit Kreide und Papierkugeln. Die Geschichtslehrerin bittet die Kinder, aufzuhören, sie schreit, sie brüllt. Sie droht, die Polizei zu holen. Aber die lachen nur darüber. Sie zielen weiter mit Kreidestücken auf ihre Lehrerin.
Die Szene ist für Erna S. grausam genug. Wenn sie aber will, kann sie den Moment noch einmal erleben. Denn das Video ihrer Demütigung steht im Netz - und verdoppelt das Leid. Mobbing live und per Handykamera.
Vielen ist nicht bewusst, dass Lehrermobbing im Netz zum Alltag in Deutschland geworden ist. Experten meinen jedoch, dass es einen Ausweg geben könnte - indem man über kontrollierte Webseiten der Lehrerkritik von Schülern ein Ventil gibt.
Derzeit sieht die Realität im Netz noch ganz anders aus. In einem Online-Single-Chat tut ein Lehrer seine Vorliebe für Kinder mit langen blonden Haaren kund - unter vollem Namen. Der Lehrer einer kirchlichen Mädchenschule hatte sich natürlich nicht selbst angemeldet. Seine Schüler hatten in der Klasse Geld gesammelt, um ein Benutzerprofil im Single-Chat anzulegen. In einer anderen Schule kopierten Schüler Bilder von Lehrern in Pornovideos hinein. Und die waren nicht nur im Internet zu bestaunen, sondern auch auf dem Schulhof. Schüler ließen sie von Handy zu Handy wandern.
Lehrer sind solchen Übergriffen hilflos ausgeliefert. Erstens, weil das Netzmobbing anonym erfolgt, wie Marianne Demmer, zweite Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, sagt. Zweitens verhalten sich Lehrer bei Angriffen oft nach einem bestimmten Muster, wie eine Schulseelsorgerin aus Frankfurt Q-rage berichtet. Die Opfer verschweigen die erlebten Demütigungen aus Scham - und stehen mit ihrem Problem dann ganz allein da.
"Die Schwierigkeit für Lehrer besteht oft darin, sich einzugestehen: ,Ich habe ein Problem'", sagt die Seelsorgerin. Mit Lehrern solche Fälle aufzuarbeiten, sei nicht einfach. "Ich habe immer Angst, mit Lehrern, die eine Mobbinggeschichte hinter sich haben, zu reden", erzählt die Lehrer-Seelsorgerin. "Es könnte alte Wunden wieder aufreißen."
Mobbing gegen Lehrer hat Muster. Häufiges Ziel ist es, die Lehrer unter Stress zu setzen, sie fertigzumachen oder so weit zu provozieren, dass sie ausrasten. Es kommt oft auch zu verbalen Beleidigungen und Bedrohungen, die bis vor die Haustür reichen können. "Wir brechen dir die Beine", sprühten Schüler einem Lehrer an die Garage, berichtet die Schulseelsorgerin.
Experten meinen, dass es jedoch eine Chance auf Verbesserung geben kann - über einen Umweg. Das Portal spickmich.de ist eine Plattform, auf der Schüler ihre Lehrer kritisieren können - auf faire Art. "Denkt bei der Benotung an das, was ihr selbst von euren Lehrern erwartet", fordern die Regeln der Seite. "Denkt daran, dass es auch im Internet keine Anonymität und Rechtsfreiheit gibt." Allerdings benutzen zurzeit viele Schüler auch dieses Instrument gern zu unfairer Lehrerkritik. Sie üben mit der Lehrerbenotung Rache.
Daher fordert Marianne Demmer, das Instrument weiterzuentwickeln. "Für das Befragen und Auswerten ist es natürlich sinnvoll, neue Informationstechnologien zu nutzen", sagt die Schulexpertin der GEW. "Wenn es aber nicht nur beim ,Frust loswerden' bleiben soll, dann muss das innerhalb der Schule organisiert werden. Dann lässt sich Kritik auf konkrete Themenfelder beziehen - etwa den Unterricht. Allerdings müssen sich alle Beteiligten auf Ziele und Fragen einigen - das heißt auch, die Lehrer selbst müssen sich da einbringen können." Die Hoffnung mancher besteht darin, dass spickmich.de auf diese Art zu einer fairen Plattform wird. Weil zugelassene Seiten für Lehrerkritik den anonymen Schmähseiten das Wasser abgraben. Zurzeit sind viele der benoteten Lehrer sauer auf spickmich.de. Manche wollen das Portal gar verbieten lassen.
Dennoch sollten sich die Pädagogen immer auch den Unterschied vor Augen halten: Auf spickmich.de benoten Schüler ihre Lehrer - allerdings mit einer insgesamt passablen Durchschnittsnote von 2,9. Bei YouTube dagegen werden Lehrer oft aufs Übelste herabgewürdigt.
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