: Auf Bitte des Sultans
Seit 500 Jahren gibt es eine jüdische Gemeinde in Istanbul. Sie lebt ohne größere Anfeindungen inmitten der muslimischen Gesellschaft
ISTANBUL taz ■ Vor gut einem Jahr eröffnete in Istanbul ein kleines Museum. In der ältesten Synagoge der Stadt direkt am Ende der Galatabrücke, die über das Goldene Horn führt, präsentiert die jüdische Gemeinde stolz Zeugnisse aus ihrer 500-jährigen Geschichte in der Stadt am Bosporus. Gekommen waren die Juden auf Einladung Sultans Beyazids II., als in Spanien am Ende des 15. Jahrhunderts im Zuge der Reconquista die Juden zur Konversion gezwungen wurden. Rund hunderttausend kamen damals ins Osmanische Reich und bildeten hier eine Gemeinde, die ohne größere Anfeindungen bis heute inmitten der muslimischen Gesellschaft lebt. Anders als armenische oder griechische Christen erfreuten sich die Juden fast immer der Protektion durch die Obrigkeit. Das hat sich bis heute kaum geändert. Auch die Wahl der islamischen Regierung vor einem Jahr beeinträchtigte das jüdische Leben in der Türkei so wenig wie die guten Beziehungen zu Israel. Trotzdem waren etliche Juden nach Gründung des Staates Israel ausgewandert, doch es gibt Fälle, wo Istanbuler Juden aus Enttäuschung über die Rolle der Sephardim in Israel in die Türkei zurückkamen.
Gewalt gegen Juden kam bislang von außen. Zwei Attentate auf die Neve-Shalom-Synagoge in den 80er- und 90er-Jahren wurden von Palästinensern verübt. Ein Mord an einem prominenten jüdischen Geschäftsmann vor zwei Jahren hatte keinen politischen Hintergrund. Für die rund 25.000 Juden allein in Istanbul gibt es fast zehn Synagogen, jüdische Schulen und Kultureinrichtungen. Es gibt immer noch Juden, die das Ladino, die Sprache ihrer Vorväter aus Spanien, beherrschen. Sogar eine Musikgruppe, die ladinische Texte singt, existiert.
Für eine Reihe jüdischer Intellektueller wurde die Türkei während des Holocaust zum rettenden Hafen. Vor allem Hochschullehrer kamen auf Einladung der Regierung an den Bosporus und nach Ankara. Andererseits sträubte sich die im Zweiten Weltkrieg neutrale Türkei gegen eine massenhafte Einwanderung verfolgter Juden. Ein aus Rumänien kommendes Flüchtlingsschiff, die „Struma“, lag monatelang vor Istanbul ohne dass die Flüchtlinge an Land gehen durften. Die meisten starben, als das Schiff im Schwarzen Meer versehentlich von einem russischen U-Boot torpediert wurde. JG