■ Auf Augenhöhe: Die bösen Nachbarn könnten tolle Sachen sehen
Der Grundstein schwenkt, vom mächtigen Kran gehalten, über den weiten Pariser Platz, um dann in einem kleinen Loch im Boden zu versinken, weit hinten, dort, wo die Bauarbeiter stehen. Sie wirken, ob der großen Entfernung von der Aussichtsplattform, wo die Zeremonie ihren Lauf nimmt, fast wie Miniaturen in einem Modell zur Städteplanung. Und auch der Grundstein selbst, der hier am Pariser Platz gestern „versenkt“ wurde, ist im Vergleich zur realen und riesigen Baustelle, deren Kellergeschoß schon fast fertiggestellt ist, wie ein Teil aus dem Baukasten im Kinderzimmer. Gefeiert wurde der Baubeginn des Wohn- und Geschäftshauses der Allgemeinen Bauträgergesellschaft (ABG). Den Gesamtwert des Komplexes beziffern die bayerischen Investoren auf 200 Millionen Mark bei einer geplanten Gesamtfläche von 13.600 Quadratmetern.
Und so vollzog auch der Regierende Bürgermeister Berlins, Eberhard Diepgen (CDU), höchstselbst diese ungewöhnliche Grundsteinlegung am Pariser Platz; der „guten Stube Berlins“, wie er mit eigenwilligem Gefühl für Sprachbilder formulierte. So ungewöhnlich wie die Grundsteinlegung als Akt inmitten dieses riesigen Platzes, der bald zu den „wichtigsten und zentralsten Plätzen Europas zählen wird“ ist, ist auch der Streit um den Bau selbst. Das siebengeschössige Wohn- und Geschäftshaus wird einen prominenten Nachbarn bekommen: die franzöische Botschaft. Die Diplomaten werden sich hingegen mit einem Bau in einer Höhe von zwanzig Metern begnügen, haben Sorge, daß der Nachbar ihnen durch die Fenster auf ihre Schreibtische und in ihre Salons blicken könnte, und fürchten um ihre Sicherheit. Um das zu verhindern, müßte ausgerechnet ein Teil der Westfassade des ABG-Gebäudes, mit Blick auf das Brandenburger Tor und den Reichstag, als fensterlose Brandwand gebaut werden. Dagegen, wen wundert das, wehren sich die Investoren. Bisher erhielten sie gleichwohl nur eine Baugenehmigung bis zum vierten Stock. Der Bau der weiteren Geschosse soll erst nach Klärung des Streits genehmigt werden.
Doch nun bekamen sie Schützenhilfe von prominenter Stelle: „Die Sicherheitsbedürfnisse für Botschaften müssen sich an die langfristigen Bauplanungen anpassen. Das sind keine Häuser für die nächsten zwanzig Jahre. Die sollen fünfzig und hundert Jahre halten“, sagte Diepgen. Diese Bemerkung zielte natürlich auch in Richtung amerikanische Botschaft, die ebenfalls am Pariser Platz liegen soll. Diese verlangte kürzlich eine Sicherheitszone von 30 Metern einzurichten. Teile des Tiergartens wären betroffen gewesen, zwei Straßen hätten verlegt werden müssen, der südliche Teil des Pariser Platzes wäre zur Sperrzone geworden. Diese Pläne lehnte Bausenator Jürgen Klemann (CDU) bereits ab. Nun werden andere Standorte für die Amerikaner geprüft.
Wer weiß, vielleicht überlegen sich's die Franzosen auch noch anders und ziehen lieber weg aus dem Herzen Berlins, um den widrigen Niederungen der Großstadt zu entfliehen: Im Grünen gibt es viel Platz und keine Nachbarn. Annette Rollmann
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