Auf 13 Joints mit Helmut Höge: „Arbeit würde ich es nicht nennen“
Helmut Höge ist taz-Autor, taz-Hausmeister und Tierforscher. Wir treffen uns mit ihm auf 13 Joints, oder so. Teil 8: Berufsperspektiven.
Das Besetzersofa ist besetzt.
Gegenüber vom taz-Treppenhaus, Stockwerk fünfeinhalb, liegt die grüne Dachterasse. Der Rasensprenger sprinkelt eine Kurve über das Gras. Schon eine Stunde lang, seit Helmut Höge ihn angestellt hat. Hat das Gras nicht irgendwann genug?
Helmut Höge kommt über die Dachterasse, etwas zu spät. Wie immer sieht er aus, Anzug, weißes Haar, in der Hand ein Buch. Er stellt den Rasensprenger ab und räumt ihn weg. Jetzt sind auch die Sofas im Treppenhaus frei.
Er setzt sich auf das abgewetztere der beiden. Wie immer baut er seine dicke Tüte, mit geübter Dreiblatt-Technik und hellbraunem Hasch.
Manuela Schwesig ringt darum, Kind und Karriere zu vereinbaren. Nicht nur als Familienministerin. Warum sie trotz eines Kanzlerinnen-Rüffels immer noch an ihre Idee von der 32-Stunden-Woche glaubt, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 21./22. Juni 2014. Außerdem: Bekommen wir bald Vollbeschäftigung? Ein Vater blickt in die Zukunft seines Sohnes. Und im sonntaz-Streit: Nordsee oder Ostsee? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Hattest du mal einen Berufswunsch, Helmut? Nie. Nur so rumgedödelt, von Anfang an. Ganze Jahre verdödelt, in der Disko, das kam damals gerade auf. Seine Eltern waren beide Künstler, der Vater Kunstdozent, Beamter also. Die haben ihn einfach machen lassen und ihn immer rausgehauen, wenn er mal wieder Schulden hatte.
Helmut Höge ist schon lange bei der taz, schon fast von Anfang an. Sie ist eine der Stationen seines bewegten Berufslebens. Was er hier macht, lässt sich kaum in einen Begriff fassen.
Autor, Aushilfshausmeister, Gelegenheitsimker, Gärtner, Beauftragter für Schülerpraktikanten. Und Experte - unter anderem für Glühbirnen, Straßenpoller und die Mongolei.
Ein kurzer Zug am Joint, eine kurze Denkpause. Kein Wunder, dass er nicht wirklich was werden wollte, sagt Helmut Höge. Seine Lehrer waren alles Nazis, Anfang der fünfziger Jahre. Der Sportlehrer ein ehemaliger SS-Boxlehrer. Die haben ihm jedes Fach ausgetrieben, er fand alles scheiße, außer Biologie so ein bisschen. Erst später, beim Flugblätterverteilen an der Uni, sah er dann die interessanten Seminarankündigungen. „Dann habe ich einfach angefangen zu studieren“, sagt er, „und eigentlich auch nicht wieder aufgehört.“
Ohne Studienabschluss und später auch ohne immatrikuliert zu sein, hat er an mehreren Universitäten als Tutor unterrichtet, in ganz unterschiedlichen Fachbereichen, von Sozialwissenschaften bis Englisch. Irgendwann wollte er was mit den Händen machen und arbeitete bei verschiedenen Bauern.
Bis dahin hatte ihm sein Vater jeden Monat 300 Mark überwiesen. Das mit der Landwirtschaft fand der dann ganz prima, damit sein Sohn den Arbeitern und Bauern gegenüber nicht eingebildet wird. Das passiert ja leicht, sagt Helmut Höge. Kann man ja jeden Tag bei den Moderatoren im Fernsehen sehen, nachmittags in den Talkshows. Und dabei ist Bauer sein das, was einen am meisten fordert, geistig und körperlich.
Dennoch kehrte Helmut Höge immer wieder zum Schreiben zurück und zur halbintellektuellen Szene der Künstler und Journalisten. Aber manchmal wird ihm das auch zu viel. So wie um die Wendezeit, als er die taz für zwei Jahre verließ.
Er ging aus Protest, zusammen mit mehreren anderen, gegen die Entlassung zweier Redakteurinnen. Die hatten sich hinter einen Autor gestellt, der eine Disko als „gaskammervoll“ beschrieben hatte.
Jedenfalls ging's daraufhin wieder aufs Land, diesmal in eine LPG zum Arbeiten.
Beim Rauchen geht es nahtlos weiter. Helmut drückt den Joint aus und greift im Zurückgleiten der Hand wieder zum gelben Tabakbeutel. Diesmal dreht er sich eine Zigarette, filterlos.
„Arbeiten“ würde er das nie nennen, was er macht. „Da würde ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich irgendwelche Arbeiter oder Müllmänner mir anschaue.“ Unglaublich, wie die schuften. Oder die privaten Postdienstleister. Als wären die auf Bewährung draußen, strengen sich total an.
Das Gespräch beruhigt mich. Ich bin ja selbst gerade am Anfang meines Berufslebens und weiß nicht so recht wohin mit mir. Menschen wie Helmut Höge, Künstler und Lebenskünstler, sind für mich Vorbilder. Wieso soll ich mir Sorgen machen? Es klappt doch irgendwie. Man kann doch machen, was man will; wenn man kreativ ist und Initiative zeigt, kann man damit sogar Geld verdienen! Schau dir Helmut Höge an! Sitzt hier mit seinen 66 Jahren, erzählt und kifft. Schön, diese Unbeschwertheit. Könnte aber auch an den süßlichen Rauchwölkchen liegen, die sich langsam verziehen.
Helmut Höge hat selbst keine Kinder. Von Müttern und Vätern kriegt er aber mit, wie sie sich Sorgen machen um ihre Teenager. Vor allem die Jungs. Verpeilt, verluscht, verkifft. Haben nur Party, Club und so was im Kopf.
Seine Freundin hat einen 19-jährigen Sohn. Wenn sie klagt, dass der gar nichts macht, sagt Helmut: Ja, das kann zehn Jahre dauern, diese Rumhängphase. Mit dem Sohn redet er aber nicht darüber, da will er sich nicht einmischen.
Manchmal hat Helmut Höge ein oder zwei Wochen lang Schülerpraktikanten. So verschüchterte Mädchen, neunte Klasse. Mit denen geht er dann auf Recherche, im neuen Tierheim zum Beispiel.
Meine Hand, die das Diktiergerät hält, wird langsam schwer. Helmut Höge findet es waghalsig, die Zukunftsplanung der Kinder an Voraussagen auszurichten, die auf ein paar Statistiken basieren. Also deduktiv vom ganzen globalen System auf die ferne Zukunft der Kinder zu schließen. „Ein paar geopolitische und -ökonomische Verschiebungen stoßen schon wieder alles um.“
Also gar nicht planen? Viele Leute stecken in Berufen fest, die ihnen gar keinen Spaß machen, sagt Helmut Höge. „Und je mehr man bezahlt bekommt, desto mehr ist man festgelegt.“ Dann schon lieber ein bisschen Zeit verdödeln und sich finanziell beschränken.
Wie stehen Sie der Zukunft gegenüber? Ihrer, der ihrer Kinder, der von Deutschland? Steht uns Vollbeschäftigung bevor? Oder ist das vielleicht nur eine schöne Illusion, um die Menschen hoffnungsvoll und das System am Laufen zu halten? Die Titelgeschichte „Spiel des Lebens“, in denen ein Vater die Zukunftsperspektiven seiner Kinder abwägt, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 21./22. Juni 2014.
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