: Auch Pakistan testet Mittelstreckenrakete
■ Neue Runde im Wettrüsten der jüngsten Atomstaaten ist jedoch eher unwahrscheinlich
Delhi (taz) – Drei Tage nach dem Test der indischen Mittelstreckenrakete Agni II hat Pakistan gestern gleichgezogen. Am Morgen wurde die erweiterte Version der 1998 erstmals abgefeuerten Ghauri-Rakete gezündet. Sie landete nach einem Flug von 1380 Kilometer in der Wüste von Baluchistan. Der Test war allgemein erwartet worden, nachdem Pakistan eine rasche Reaktion auf den Raketenversuch Indiens angekündigt hatte. Auch in Indien wußte man vom pakistanischen Plan. Das im Februar unterzeichnete Lahore-Memorandum verpflichtet die Nachbarn, sich gegenseitig über bevorstehende Raketentests zu informieren. Als Pakistans Botschafter am Montag Premierminister A. B.Vajpayee einen Höflichkeitsbesuch abstattete, um ihm ein Buch über Lahore zu überreichen, meinten Spötter, darin sei die Vorabinformation über den pakistanischen Test als Lesezeichen versteckt. Pakistan hatte auch die USA und Deutschland als amtierenden EU-Ratspräsidenten informiert.
Westliche Sprecher hatten nach dem indischen Versuch den Verdacht eines neuen Wettrüstens geäußert. Doch Politiker in beiden Hauptstädten verneinen dies. Sie betrachten den strategischen Gleichstand eher als stabilisierend, genauso wie dies die Nuklearversuche vom letzten Jahr gewesen seien. Indiens Außenminister Jaswant Singh und das Außenamt in Pakistan dementierten ein Wettrüsten. Auch Verteidigungsexperten wiesen die westliche Besorgnis zurück, die Lahore-Annäherung sei gefährdet. K. Subrahmaniam, der Geschäftsführer des neuen Nationalen Sicherheitsrats Indiens, beschuldigte vielmehr den Westen der Heuchelei. Die Nato-Angriffe gegen Serbien zeigten, daß Raketen ein legitimes Verteidigungsinstrument seien und heute zur Standardausrüstung gehörten.
Experten weisen zudem darauf hin, daß Indien mit Agni II eigentlich nicht Pakistan im Visier gehabt habe, da es bereits ganz Pakistan mit seinen Prithvi-Raketen erreichen könne. Indien habe Pakistan im Grunde sogar einen Dienst erwiesen. Denn Islamabad mußte seine erweiterte Ghauri-Version noch testen, mit dem es das ganze indische Territorium abdecken kann. Dafür habe Indiens Test einen glaubwürdigen Anlaß gegeben. Der Adressat des indischen Raketentests sei vielmehr China, das von Agni II bis tief in sein Territorium hinein getroffen werden kann. Der Sprecher des Außenministeriums in Peking äußerte denn auch prompt seine Besorgnis über den indischen Test. Umgekehrt zeigte sich Moskau besorgt gegenüber dem pakistanischen Versuch, nachdem man bei Indien geschwiegen hatte. Die gedämpfte Reaktion in Delhi mag damit zusammenhängen, daß die Regierung am Tag des jüngsten Tests ihre Parlamentsmehrheit einbüßte. Dies könnte in den nächsten Tagen zu einem Mißtrauensvotum führen. Bernard Imhasly
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