Auch Nordirland wählt: In Nord-Antrim steht viel auf dem Spiel
Am 6. Mai wählt auch Nordirland seine Unterhaus-Abgeordneten. Dabei entscheidet sich die Zukunft Nordirlands und des Paisley-Clans, der hier jahrzehntelang herrschte.
DUBLIN taz | Fast vierzig Jahre lang brauchten andere Kandidaten gar nicht erst anzutreten. Der nordirische Wahlkreis Nord-Antrim gehörte Ian Paisley. Ob bei Wahlen für das Londoner Unterhaus, für das Europaparlament, für das nordirische Regionalparlament oder für die Bezirksverwaltung - stets gewann der fanatische Presbyterianerpfarrer, Symbolfigur der Protestanten in Nordirland, der in den Fünfzigerjahren seine eigene Kirche und 20 Jahre später seine eigene Partei gründete.
Inzwischen ist Ian Paisley 84, den Parteivorsitz der Democratic Unionist Party (DUP) und den Posten als nordirischer Premier hat er vor zwei Jahren aufgegeben. Voriges Jahr zog er sich aus dem Europaparlament zurück, und bei den Unterhauswahlen am Donnerstag tritt er auch nicht mehr an.
Sein Sohn, der ebenfalls Ian Paisley heißt, soll die Dynastie weiterführen. Aber er ist längst nicht so gewitzt wie der Alte. Paisley junior, 43, ist das jüngste von fünf Kindern. Sein Zwillingsbruder Kyle ist ein paar Minuten älter. Der Sitz des Paisley-Clans ist Ballymena, der Hauptort des Wahlkreises, in dem die Protestanten deutlich in der Mehrheit sind.
Die Stadt hat die höchste Konzentration an Millionären in Nordirland. Hier nennen sie Paisley senior ehrfürchtig "the big man". Der Wahlkreis beherbergt Bushmills, die älteste Whiskeybrennerei der Welt, und das Naturwunder Giants Causeway, ein Weltkulturerbe.
Beide Orte sind eng verbunden mit einem Lobbyskandal, der Paisley junior seinen Job als Staatssekretär kostete. Es ging um ein Ausstellungszentrum, ein Hotel und ein Restaurant, die der Unternehmer Seymour Sweeney am Giants Causeway bauen wollte. Klein Ian hatte sich vehement für ihn eingesetzt, bestritt das aber, bis herauskam, dass ihm ebenjener Sweeney kostenlos ein Ferienhaus in Bushmills gebaut hat.
Auch wenige Tage vor der Parlamentswahl in Großbritannien ist weiter völlig offen, wer die neue Regierung in London bilden wird. In den von der Tageszeitung Independent zusammengefassten Umfrageergebnissen kommen die Konservativen auf 35 Prozent, die Liberaldemokraten auf 30 und die Labour-Partei auf 27 Prozent der Stimmen. Damit erreichten nach dem britischen Mehrheitswahlrecht die Konservativen 282 Sitze, Labour 253 und die Liberaldemokraten nur 83 Sitze. 32 Sitze fielen auf andere Bewerber. Damit hätte keine Partei die erforderliche absolute Mehrheit für eine Regierungsbildung. Dafür wären mindestens 326 Sitze erforderlich. (gb)
Nord-Antrim war der einzige Wahlkreis, der Nein gesagt hatte beim Referendum über das Belfaster Abkommen vom Karfreitag 1998, das den Grundstein für eine Mehrparteienregierung unter Beteiligung der katholischen Parteien legte. Auch Paisley senior war gegen dieses Abkommen. Er hatte sein ganzes politisches Leben lang die Machtbeteiligung von Katholiken verhindert. Seine Agitation zwang nacheinander vier nordirische Premierminister zum Rücktritt.
Als die DUP 2005 die bis dahin dominierende Ulster Unionist Party, die sich für die kommenden Wahlen mit den Tories zusammengetan hat, überflügelt hatte, war Paisley am Ziel. Nun konnte er verhandeln, und da Sinn Féin, der politische Flügel der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), die gemäßigten Sozialdemokraten auf katholischer Seite als stärkste Partei abgelöst hatte, musste er irgendwann auch mit der IRA-Partei verhandeln.
Kein anderer Unionistenführer wäre dazu in der Lage gewesen. So kam es im Mai 2007 zur Mehrparteienregierung mit Paisley als Premier und dem Ex-IRA-Kommandanten Martin McGuinness als seinem Stellvertreter. Das passte vielen DUP-Mitgliedern nicht, einige Stadträte traten aus der Partei aus, und einer kandidiert nun in Nord-Antrim gegen Paisley junior.
Wenn dieser quasi interne Gegenkandidat Jim Allister spricht, klingt er so, wie Paisley früher klang: "Ich verrate meine Prinzipien nicht für ein Amt. Aber Paisley hat uns verraten, weil er Terroristen in die Regierung geholt hat." Die Chancen des 57-jährigen Allister stehen nicht schlecht, denn so wie er denken viele im Wahlkreis.
Darüber hinaus ist die DUP von einer Reihe von Skandalen erschüttert worden. Paisleys Nachfolger als Premier, Peter Robinson, und dessen Frau Iris, die auch im Regionalparlament saß, haben eine unglaubliche Spesenabrechnungen vorgelegt. Außerdem kam die Affäre von Iris Robinson mit einem sehr jungen Mann ans Licht, dem sie günstige Kredite zugeschustert haben soll, woraufhin ihr Mann sein Amt für eine Weile niederlegen musste, weil er von dem dunklen Finanzgeschäft gewusst haben soll.
Bei den Wahlen 2005 gewann die DUP 9 der 18 nordirischen Sitze und ist damit die viertstärkste Fraktion im Londoner Unterhaus. Es wird ihr schwerfallen, alle Sitze zu verteidigen - vor allem den in Nord-Antrim. Der Wahlkreis ist immens wichtig für die Zukunft Nordirlands, denn er symbolisiert die tiefe Spaltung der Unionisten, die für die Union mit Großbritannien eintreten. Sollte Allister gewinnen, so werde seine Partei, die "Traditional Unionist Voice" (TUV), auch bei den Wahlen zum nordirischen Regionalparlament im nächsten Jahr zulegen, prophezeit er. Und wenn sie genügend Sitze gewinnt, kann sie die Mehrparteienregierung zu Fall bringen.
Es ist ohnehin eine fragile Zwangskoalition, der alle Parteien angehören, die mindestens 9 Sitze haben. Entscheidungen können nur mit einer Mehrheit auf beiden Seiten - der katholisch-nationalistischen und der protestantisch-unionistischen - getroffen werden. Sollte die Regierung im nächsten Jahr scheitern, würde das den IRA-Dissidenten weiteren Zulauf bescheren. Die Real IRA hat voriges Jahr zwei Soldaten erschossen, zwei Tage später tötete die Continuity IRA einen Polizisten.
Die dritte Gruppe, Óglaigh na hÉireann, hat sich auf Autobomben spezialisiert. Ausgerechnet Sinn Féin hofft jetzt in Nord-Antrim auf einen Sieg des kleinen Paisley, um die Regierung zu halten.
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