piwik no script img

Auch Baumkletterer erheben VorwürfeMinisterium verteidigt Flic-Einsatz

Erst wollte das Bundesinnenministerium von nichts wissen, nun hat es eine Erklärung parat: Der französische Beamte handelte angeblich in einer "Notsituation".

Der französische Beamte im Einsatz. Bild: dapd

BERLIN taz | Nach Kritik am Einsatz eines französischen Polizisten, der beim Castor-Einsatz im Wendland in voller Bewaffnung am Räumen von Schienen beteiligt war, hat das Bundesinnenministerium, das den Einsatz zunächst bestritten hatte, ihn nun bestätigt - und verteidigt.

Der französische Polizist sei einer Einheit der Bundespolizei "als Beobachter" zugeteilt gewesen, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Als Erklärung für den aktiven Einsatz gegen Demonstranten führt das Ministerium an, dass deutsche Polizisten "in Bedrängnis" gewesen seien. "Der französische Polizist unterstützte seine Kollegen in einer Notsituation." Eine solche "Nothilfe" sei zulässig.

Auf einer Bildstrecke im Internet, die den Einsatz dokumentiert, ist von einer solchen Notsituation allerdings nichts zu sehen. Der Demonstrant, der später vom französischen Polizisten von den Schienen gezogen wird, sitzt zuvor mit erhobenen Händen auf den Schienen. Der Franzose steht zunächst zusammen mit deutschen Kollegen daneben, richtet dann seine Handschuhe und nimmt den Demonstranten dann in den Schwitzkasten. Mehrere deutsche Kollegen beobachten die Szene aus dem Hintergrund.

Auch ein Augenzeuge berichtete der taz, eine "Notsituation" sei nicht zu erkennen gewesen. Zu diesem Widerspruch wollte das Ministerium nicht Stellung nehmen. "Der Sachverhalt ist Gegenstand weiterer Ermittlungen", hieß es lediglich.

Die Linkspartei protestierte scharf gegen den Einsatz. Die französische Spezialeinheit CRS, zu der der Polizist gehört, sei "berüchtigt für ihr brutales Vorgehen gegen Demonstranten", sagte die innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke. "Dass ausgerechnet diese Truppe zur Unterstützung der Polizei herangezogen wird, zeugt vom Eskalationswillen der Bundesregierung."

Schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhoben unterdessen auch Aktivisten, die am Dienstag neben der Castor-Transportstrecke auf Bäumen protestiert hatten. Er sei von der Polizei auf dem Baum ohne Vorwarnung mit Tränengas angegriffen worden und daraufhin aus viereinhalb Metern Höhe abgestürzt, berichtete ein Kletterer. Er wurde mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus geflogen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • M
    marvin

    @Westberliner: Alles eine Frage der Planung: Wenn man Chefredakteur von Roland Kochs Gnaden ist, liefert man halt die gewünschte Berichterstattung. Egal, wer das Gehalt bezahlt.

  • V
    Versachlicher

    Nur zur Versachlichung des Themas:

     

    1. die C.R.S. ist in Frankreich die Bereitschaftspolizei der Police Nationale - also keine "Eliteeinheit" (insgesamt ca. 14.000 Beamte)

     

    2. eigentlich hätte die Bundespolizei m.E. den Einsatz des Beamten der frz. C.R.S. problemlos rechtfertigen können (ohne seltsame Ausreden zu finden...):

     

    § 64 Abs. 4 Bundespolizeigesetz: Vollzugsbeamte anderer Staaten der Europäischen Union können im Einvernehmen mit den zuständigen Stellen des anderen Staates nach Maßgabe der für die Bestellung von Hilfspolizeibeamten geltenden Vorschriften des § 63 Abs. 2 bis 4 mit Aufgaben des Vollzugsdienstes in der Bundespolizei betraut werden.

     

    § 63 Abs. 2 Nr. 2 Bundespolizeigesetz: bei der Abwehr von Gefahren auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes

  • C
    Cornel

    Habe da mal ne wahrscheinlich GANZ dämliche Frage: Warum ist andauernd von "Aktivisten" die Rede? Hört sich das irgendwie "staatstragender" an als Demonstrant?

     

    Und..sorry, ich KANN es beim besten Willen nicht mehr lesen, wie sich JETZT Leutchen, die an dieser Castor-Aktion teilnahmen, auf einmal über unseren angeblichen "Polizeistaat" aufmandeln. Glaubten die, dass "schottern" bei ihnen keinen Straftatbestand mehr darstellte, weil sie durch irgendeinen übergesetzlichen Notstand gerechtfertigt seien oder so?

     

    Und...wer auf Bäume raufklettert (am Ende noch mir Schottersteinen in der Tasche(?), muß der sich ehrlich wundern, wenn der da wieder runtergeholt wird? Wenn er vom Baum geschüttelt worden wäre wie Sterntaler...wie groß wäre denn dann erst das Geschrei gewesen?

    Irgendwie hat dieses ganze Wutgeheul von Aktivisten für mich etwas bigottes...obwohl ICH auch gegen Castor-Transporte und Gorleben als Endlager bin und ebenfalls finde, dass die Atomindustrie an den Kosten beseitigt werden sollte!

  • A
    ...anyway

    @dennis:

     

    noch nie was von zivilem Ungehorsam gehört oder was??

  • D
    DasBertl

    Warum sieht es eigentlich eher so aus, als ab die Bundespolizei hier die Beobachterolle eingenommen hat?! Aber wenn das so ist, werd ich Polizist, geh nach Frankreich und mische da ein Leutchen auf, wies mir grad passt und behaupte eine Notsituation. Naja, in einem Land, wo aus Kastanien Pflastersteine und aus Kindern Berufsdemonstranten werden, auf die dringend eingedroschen und mit Wasserwerfern geschossen werden muss, wundert mich gar nichts mehr...

  • D
    Dennis

    Erst sich illegaler Weise an einen Baum ketten und sich hinterher aufregen das die Polizei im Namen des Volkes gegen die Kriminellen vorgeht...

     

    Und die Jelpke soll mal nicht so eine kleinkarierte Diskussion starten!

  • EO
    Est Omen

    Hmm, Notlage...

     

    Vielleicht mussten die Deutschen Polizisten dringend auf Toilette? ;-)

  • J
    Juergen

    Nothilfe?

     

    MAn sollte dem Innenministerium Nachhilfe erteilen. Nothilfe gilt in der Strafverfolgung über die Landesgrenzen hinaus. Der Beobachterstatur erlaubt überhaupt kein eingreifen. Am besten Schäuble rechtfertigt das nochmal öffentlich und wir können den Hardliner endlich in die Pampas schicken.

  • V
    vic

    Eine selten dämliche Lüge:

    "Der französische Polizist sei einer Einheit der Bundespolizei "als Beobachter" zugeteilt gewesen"

     

    Von wem zugeteilt? Wozu? Um was zu beobachten?

    Was ist mit Konsequenzen wegen seiner tatkräftigen Beobachtung?

  • W
    Westberliner

    In den öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen wie "tagesschau" und "heute" wird dieses Thema totgeschwiegen. Auch über den brutalen Polizeieinsatz im Stuttgarter Schloßgarten vom 30.09.2010 wurde erst sehr, sehr spät berichtet.

    Frage an die Verantwortlichen bei der ARD und ZDF: Warum unterdrücken Sie diese Meldungen? Es ist mein Recht als Gebührenzahler, dass ich informiert werde.

  • HM
    Hans Meyer

    Polizeistaat. Und es wird noch schlimmer! Die Feudalherren bekommen jetzt Angst, weil der Bürger auch ein Stück vom Kuchen haben möchte. Darum wird massiv gegen Demonstraten vorgegangen, nicht nur verbal. Auch die Medien tun ihr übriges. Jeder der gegen diese Regierung demonstriert ist entweder ein Terrorist, ein Nazi, ein Asozialer oder ein Hooligan.

  • GM
    Gosig Mus

    Bzgl. der Baumklettersache: Abgesehen davon, dass das natürlich eine Sauerei -- und nach meinem Verständnis auch ein Verbrechen -- ist, müssen Baumkletterer natürlich Sorge tragen, dass sie jederzeit gesichert sind. Damit das auch in der Hektik einer Aktion gewährleistet ist, muss man dafür Ausbildung und Training haben. Alles andere ist unverantwortlich, nicht zuletzt weil man sonst auch andere Anwesende gefährdet (und zwar vor allem Aktivisten, im ggs. zur Staatsmacht tragen die nämlich meistens keine Rüstung).

  • JM
    Jo, Mein Name

    Ich kann hier nur einen sehen der in Not ist und Hilfe bräuchte. Und ich denke irgenwann sind die Menschen auch wieder so weit, sich gegenseitig gegen derart aufgezwungenen Willen zu wehren. Und wenn friedlicher Protest mit Gewalt beantwortet wird, wird es Zeit für engagierteres Vorgehen.