Attentat auf kolumbianischen Politiker: Präsidentschaftskandidat in den Kopf geschossen
In Kolumbien schwebt Miguel Uribe Turbay weiter in Lebensgefahr. Der mutmaßliche Schütze ist 15 Jahre alt. Viele erinnert die Tat an frühere Zeiten.

Wie durch ein Wunder kam kurz darauf ein Krankenwagen vorbei, der auf dem Weg zu einem Verkehrsunfall war. Nach der Erstversorgung und Reanimation im Krankenhaus wurde Uribe in die Fundación Santa Fé gebracht – eine der besten Kliniken des Landes. Sein Zustand blieb am Montag kritisch.
Miguel Uribe Turbay ist möglicher Präsidentschaftskandidat der rechten Partei Centro Democrático. 2026 sind in Kolumbien Wahlen angesetzt. Derzeit haben die Parteien noch mehrere Kandidat:innen. Miguel Uribe Turbays Chancen sehen parteiintern gut aus – wenn er überlebt.
Nach den Schüssen, schreibt die Zeitung El Pais, sei der jugendliche Tatverdächtige aus dem Chaos geflohen. Als ihn die Sicherheitskräfte einholten, drehte er sich um und schoss. Die Beamten streckten ihn nieder. Er soll geschrieben haben: „Ich gebe euch die Nummern.“ – Die der Auftraggeber, mit denen er vorab über Whatsapp geschrieben habe. Momentan liegt mit einer Schusswunde am Bein in einem anderen Krankenhaus. Neben ihm wurde noch ein Erwachsener festgenommen. Ein Mann und eine Frau wurden bei dem Schusswechsel verletzt. Sie sind nicht in Lebensgefahr.
Solidarität mit dem Angeschossenen
In mehreren Städten gingen Menschen, aufgerufen von Uribes Partei Centro Democrático, auf die Straßen und beten um sein Leben. Kolumbiens linker amtierender Präsident Gustavo Petro hatte in der Nacht nach dem Attentat die Tat in einer Ansprache verurteilt und der Familie seine Solidarität ausgesprochen. „Die Aufgabe eines Präsidenten ist es, das Leben seiner eigenen Opposition zu schützen.“
Miguel Uribe Turbay stammt aus einer Familie, die zu den wichtigsten der politischen Rechten angehört. Seine Mutter, Diana Turbay, war eine bekannte Journalistin. Der Drogenboss Pablo Escobar ließ sie entführen. Beim Befreiungsversuch starb sie im Schusswechsel. Da war Uribe vier Jahre alt. Sein Großvater Julio César Turbay Ayala, ein Liberaler, war von 1978 bis 1982 Präsident Kolumbiens. Seine politische Karriere startete Uribe bei den Liberalen. Dann wechselte er zum Centro Democrático.
2022 kam er aus dem Nichts mit den meisten Stimmen für seine Partei in den Senat. Er ist einer der erbittertsten politischen Gegner von Präsident Petro – und das schon seit der Zeit, als er Stadtrat und Petro Bürgermeister von Bogotá war. Für den Wahlkampf hat sich Uribe „ein Land ohne Gewalt“ als Ziel gesetzt. Allerdings mit anderen Mitteln als der Präsident. Dessen Hauptprojekt, den „totaler Frieden“ mit allen verbliebenen bewaffneten Gruppen im Land, hat er stets kritisiert – wie so gut wie alle Initiativen der ersten linken Regierung.
Am Tag des Attentats hatte er sich wieder auf X mit Petro angelegt. Der will seine Reformen nun mit einer Volksbefragung durchdrücken – und diese per Dekret erzwingen. Einige befürchten dann eine Verfassungskrise. Jeder Minister, der sein Dekret nicht unterschreibe, werde auf der Stelle gehen, hatte Petro am Samstag per X verkündet.
Uribe, von Beruf Anwalt, konterte – er werden jeden Minister verklagen, der unterschreibe. Seit dem Attentat werden Stimmen lauter, die sich weniger Polarisierung und eine andere Debattenkultur mit dem politischen Gegner wünschen. Am Sonntag veröffentlichten rund 20 Parteien aller Couleur eine gemeinsame Erklärung. in der sie das Attentat zurückweisen.
US-Außenminister Rubio beschuldigt Petro
Solidaritätsbotschaften kamen auch aus dem Ausland. US-Außenminister Marco Rubio gab Präsident Petro auf X die Schuld: Es sei eine Bedrohung der Demokratie und Ergebnis gewaltsamer Rhetorik. Tatsächlich steht Petro wegen seiner Rhetorik auch in Kolumbien teils in der Kritik. „Nazis“ oder „Sklavenhändler Hurensöhne“ sind Begriffe, die er kürzlich häufig für die Opposition verwendete.
Kolumbiens Außenministerin Laura Sarabia (31), eine enge Vertraute des Präsidenten, sagte in einer Videobotschaft, dass sie als Anführerin und internationale Vertreterin des Landes wie viele versagt habe. Sarabia rief dazu auf, „den Hass durch Sprache auszurotten“, der ihrer Meinung nach in der kolumbianischen Politik vorherrscht. „Der Anschlag erfüllt uns mit Traurigkeit und erinnert uns an die dunklen Zeiten, in denen Hass und Respektlosigkeit gegenüber dem Leben vorherrschten. Meiner Generation kam das wie eine Erzählung meiner Eltern vor.“
Ein Gedanke, den Kolumbianer:innen unter 35 in den sozialen Medien so ähnlich ausgesprochen haben. Geboren nach 1989 und 1990, den Jahren, in denen drei Präsidentschaftskandidaten ermordet wurden. Eine Sorge ist, dass diese blutigen Zeiten zurückkehren.
Kinder als Auftragsmörder
Die Regierung hat angekündigt, den Schutz für die (aktuell noch rund 30) Präsidentschaftskandidat:innen, Oppositionsführer:innen und die Familien der Minister:innen zu erhöhen. Hintergründe zur Tat oder Hinweise auf mögliche Auftraggeber haben die Behörden bisher nicht veröffentlicht. Umgerechnet rund 640.000 Euro sind als Belohnung für Hinweise ausgesetzt.
Die Staatsanwaltschaft wird den Tatverdächtigen wegen versuchten Mords und illegalen Waffenbesitzes anklagen. Laut dem Sender Noticias Caracol wurden die Häuser seiner Großmutter und Tante durchsucht, in deren Obhut der Junge lebt. Laut Medienberichten soll der Jugendliche bei der Festnahme gerufen haben, dass er es getan habe, um mit dem Geld seine Familie zu unterstützen.
Auch das ist eine Konstante in der kolumbianischen Gewaltgeschichte: Egal ob Drogenboss Pablo Escobar, Paramilitärs oder Guerillas – Kinder aus armen Verhältnissen für Morde und Krieg zu rekrutieren, ist bis heute gängige Praxis.
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