Attac: "Antikapitalistisch ist zu ideologisch"
Neu-Mitglied Heiner Geißler hält die Deutschen für Globalisierungskritiker. Mit ihnen müsse sich Attac für eine ökosoziale Marktwirtschaft einsetzen. Und den Weg der Mitte gehen.
taz: Herr Geißler, die Sommerakademie in Fulda war Ihr erster Kontakt mit der Attac-Basis. Stehen Sie unter Kulturschock?
Heiner Geißler: Nein. Attac ist eben ein Netzwerk. Das sind engagierte Leute, die sehr unterschiedliche Standpunkte vertreten. Die Diskussionen hier sind sehr frei. Das könnte sich eine politische Partei gar nicht leisten. Aber das ist ein Vorteil für Attac.
Derzeit wird noch viel über den G-8-Gipfel diskutiert. Hat der Protest etwas genützt?
Ich glaube schon, dass die Protestbewegung, in der Attac ja eine maßgebliche Rolle gespielt hat, Auswirkungen auf die Politik gehabt hat. Vor 10 oder 15 Jahren war das noch ganz anders. Die Politik der G-8-Staaten ist auch dank Attac problembewusster geworden.
Woran erkennen Sie das?
Beim G-8-Gipfel in Heiligendamm sind Themen auf die Tagesordnung gekommen, die früher so nicht darauf waren: Klimaschutz, Afrika, Hedgefonds. Die Ergebnisse waren zwar teilweise unbefriedigend, aber die Themen werden weiter behandelt werden.
Sie waren als Bundesminister und als Generalsekretär lange in offiziellen Politzirkeln unterwegs. Wie viel bekommt man da mit vom Protest?
Ich habe ja als CDU-Generalsekretär selber massive Proteste der Friedensbewegung erlebt, mit denen ich mich sehr hart auseinandergesetzt habe. Solche Proteste spielen schon eine große Rolle, und die Politik läuft immer Gefahr, negativ darauf zu reagieren. Dabei müsste die Politik gegenüber kritischen Bewegungen in der Sache Stellung beziehen, bei Attac positiv. Auf keinen Fall darf sie die Kritiker ausgrenzen.
Bei Attac streitet man sich seit den Ereignissen von Rostock am 2. Juni darüber, ob man mit radikalen Steinewerfern solidarisch sein kann. Was empfehlen Sie?
Die Grenze ist immer dort, wo eine Organisation bereit ist, Gewalt anzuwenden, und die Verfassung ablehnt. Diesseits dieser Grenze muss man in einer Demokratie akzeptieren, dass es auch extreme Meinungen gibt.
Schrecken diese Extreme die Mitte ab?
Ja, vor allem, wenn man die falschen Begriffe verwendet. Mit dem Begriff "antikapitalistisch", der auf der Sommerakademie mehrmals gefallen ist, kommt man nicht weiter, er ist zu ideologisch. In Wirklichkeit haben wir es mit einem Spätkapitalismus zu tun, der keinen geordneten Wettbewerb kennt, die soziale Marktwirtschaft durch "Shareholder-Value" ersetzt und die Menschen zu Kostenfaktoren reduziert. Dieser Kapitalismus ist genauso falsch wie der Kommunismus. Wir müssen einen Weg der Mitte finden, nämlich eine ökosoziale internationale Marktwirtschaft.
Ist Globalisierungskritik mehrheitsfähig geworden?
Absolut. Globalisierungskritik hat eine Mehrheit in der Bevölkerung. Die politischen Parteien machen einen schweren Fehler, dass sie dieses Problem nicht aufgreifen. Wenn man die Bevölkerung abstimmen ließe, hätte Attac eine breite Mehrheit, weil man den Eindruck hat: Die setzen sich für eine gerechte Sache ein.
Was sind die globalisierungskritischen Themen nach G 8?
Attac sollte sich einsetzen für einen Global Marshall Plan für die Entwicklungsländer, finanziert z. B. durch eine internationale Börsenumsatzsteuer und eine Kerosinsteuer. Die Armutsbekämpfung kann nur gelingen, wenn die Infrastrukturprobleme gelöst werden: Ausbau der Bildungssysteme, Durchsetzung der Frauenrechte, Sicherstellung der Energie- und Wasserversorgung. Außerdem müssen die internationalen Institutionen wie IWF, WTO und Weltbank demokratisiert werden.
Bei Attac überlegt man, eine Kampagne für die Zerschlagung der großen Energiekonzerne zu starten. Eine gute Idee?
Nein. Die Grundsatzfragen müssen klar sein: Die Energieversorgung ist wie die medizinische Versorgung oder das Bildungssystem eine öffentliche Aufgabe, was jedoch nicht heißt, dass der Staat sie wahrnehmen muss. Auch private Unternehmen sind dazu in der Lage, ohne dass diese Aufgaben allerdings zur Privatangelegenheit werden dürfen. Notwendig sind ein geordneter Wettbewerb und die Gemeinwohlorientierung der Beteiligten.
INTERVIEW: NICOLAI FICHTNER
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