piwik no script img

Attac-Kongress zum Thema Wachstum"Es muss auch mal Schluss sein"

Im Wirtschaftsaufschwung boomt die Kritik an der Doktrin des "Immer mehr". Der Attac-Kongress "Jenseits des Wachstums" warf aber vor allem Fragen auf.

Dass Wachstumskritik auch Konfliktstoff birgt, machte sich auf einigen Podien bemerkbar. Bild: Philipp Mueller

BERLIN taz | Den wohl größten Applaus heimste Harald Welzer ein. Nachdem der Essener Sozialwissenschaftler am Wochenende auf dem Kongress "Jenseits des Wachstums" in Berlin etwa eine Stunde auf dem Podium debattiert hatte, stand er auf. Moderator Tilmann Santarius von der Heinrich Böll Stiftung ging davon aus, dass der derzeit vielgefragte Diskutant zur nächsten Veranstaltung eilen wollte. Doch Welzer widersprach: Nein, er sei zum Skat verabredet.

Damit demonstrierte er praktisch eine Konsequenz aus dem, worüber er zuvor referiert hatte: Dass das Streben nach dem "Immer mehr" nicht nur in den Konzernzentralen, an Börsen und in den Ministerien das Leitmotiv sei, sondern längst in unserer aller Köpfe verankert. An seinem Institut heiße es nie: Ich bin fertig. Auch im Wissenschaftsbetrieb gelte das Motto: Mehr Papiere, mehr Publikationen. Doch können wir ewig wachsen? Führt dieses "Immer mehr" zu einem besseren Leben? "Es muss auch mal Schluss sein", so Welzer.

Alternativen gesucht

Damit sprach er den meisten der über 2.500 TeilnehmerInnen aus der Seele, die nach Veranstalterangaben zu dem Kongress gekommen waren, den das globalisierungskritische Netzwerk Attac unter anderem mit der Friedrich Ebert, der Heinrich Böll und der Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie der Otto Brenner Stiftung der IG Metall organisiert hatte. Der Andrang zeige, "wie sehr den Menschen die Frage nach Alternativen zu einer vom Wachstumszwang getriebenen Gesellschaft unter den Nägeln brennt", resümierte Roland Süß vom Attac-Koordinierungskreis.

Dass so viele politische Stiftungen mit dabei waren, zeigt, dass Attac ein Thema gefunden hat, das über das engere Spektrum der Globalisierungskritiker hinaus auf viel Zustimmung stößt. Die Krisenjahre infolge der Lehman-Pleite hätten viele Menschen sprach- und perspektivlos gemacht, sagte Matthias Schmelzer von Attac. Nun, wo sich ökonomische und ökologische Krisen zuspitzten, setze die Wachstumskritik zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle an.

Dass sie aber auch sehr viel Konfliktstoff birgt, machte sich auf einigen der insgesamt mehr als 70 Podien und Diskussionsrunden durchaus bemerkbar. Abgesehen vom Konsens, dass eine vom Wachstumszwang getriebene Gesellschaft die Welt in absehbarer Zeit ins Verderben stürzen wird, gingen die Einschätzungen vor allem über die Alternativen weit auseinander. Genügt die Forderung nach einer gerechteren Umverteilung von Einkommen und Vermögen?

Wer muss verzichten?

Oder wie viel Verzicht braucht es? Ist nur die Politik gefragt oder auch jeder Einzelne? Wie wird vermittelt, dass Arbeitsverzicht notwendig ist? Ist Wachstum in den Ländern des Südens nicht zunächst notwendig, um sich überhaupt entwickeln zu können? Was kann ein Green New Deal leisten, ein Programm, das über grüne Technologien einen Wachstumsschub schaffen soll? Muss nicht jede Wachstumskritik in grundsätzliche Kapitalismuskritik münden?

Bei der letzten Frage klafften die ideologischen Unterschiede auf. Das "zerstörerische Potenzial des Wachstumszwangs" sei mit einem "ökologischen Kapitalismus" nicht zu lösen, befand Mario Candeais von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Angelika Zahrnt vom BUND hingegen begrüßte es, dass auf dem Kongress auch über Strategien diskutiert werde, die nicht gleich die Abschaffung des kapitalistischen Systems als Ganzes zur Voraussetzung macht. Barbara Unmüßig vom Vorstand der Heinrich Böll Stiftung fasste zusammen: "Die Suche nach Wegen aus der Wachstumsfalle hat begonnen."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • G
    genova

    Die Episode über das Verhalten von Harald Welzer ist nicht richtig wiedergegeben. Welzer hatte erkennbar keine Lust, auf die Fragen aus der Zuhörerschaft zu antworten und löste die Veranstaltung einfach zehn Minuten vor Ende auf, weil er, nach eigenen Angaben, zum Skatspielen in Hannover verabredet war. Und das, obwohl es einen großen Bedarf auf Diskussion gab.

     

    Und daran ist nichts entschleunigend. Das wäre es, wenn Welzer die Fragen beantwortet und eingesehen hätte, dass man nicht an einem Tag auf zwei Hochzeiten tanzen kann. Welzer zeigte zum Schluss der Veranstaltung, dass er vor allem arrogant ist.

     

    Davon abgesehen war die Welzer-Veranstaltung vor allem eine Werbeveranstaltung für die Böll-Stiftung, wie der attac-Kongress insgesamt zu sehr von den Parteistiftungen dominiert wurde.

  • H
    hto

    "Jenseits des Wachstums" - wächst leider auch keine wirklich-wahrhaftige Vernunft!?

  • G
    Gerda

    Vor allem freut mich, daß es nun nicht mehr "Globalisierungs g e g n e r " heißt, sondern "Globalisierungs k r i t i k e r " ! Das ist meiner Meinung nach ein großer Unterschied und ermöglicht jetzt Debatten mit einem völlig anderen Blickwinkel.

    Das sind also Menschen, die sich kritisch bis sehr kritisch mit der gesamten Globalisierung auseinandersetzen, darüber intensiv nachdenken, das gesamte Tun und Lassen hinterfragen und gleichzeitig nach besseren Wegen des weltweiten Wirtschaftens und Handelns suchen und dementsprechende Vorschläge machen.

     

    Die sogenannten deutschen Wirtschaftsweisen sind in Wahrheit gar nicht "weise" - sie sind in ihrer Ausrichtung völlig überflüssig, wenn diese Leute meinen bwz. sich einbilden, in ihren sechs Forschungsinstituten so weitermachen zu können wie bisher.

  • WR
    Wolfgang Reinke

    Ich denke, es lohnt sich, mal bei Silvio Gesell nachzulesen oder in der Zeitschrift Humane Wirtschaft, die das Thema Wachstum infolge automatischer Geldmengenvermehrung durch Zins und Zinseszins und daraus folgendem Wachstumszwang (Wertschöpfung)thematisiert, was für die Natur (Mitwelt) jede Menge Müll in feinstverteilter Form (Entropie)bedeutet.

     

    Herzliche Grüße

     

     

    Wolfgang Reinke

  • RK
    Rüdiger Kalupner

    Das einzige, womit Schluß sein muß, ist 1. der völlige Verzicht auf eine hinreichende Evolutionsprozess-Theorie im Zusammenhand mit der Suche nach Alternativen zum absolutistisch herrschenden 2%Wachstumszwang-Regime der Kapitalstock-Maximierer und 2. der völlige Verzicht auf ein Durchsetzungstheorie - in Form der Chaoshphysik - für den Exodus aus dem 2%Regime.

     

    Es ist für attac und alle anderen NGO's, die an diesem wachstumskritischen Kongress teilnahmen, äußerst blamabel, dass niemand den systemischen Theoriemangel überhaupt thematisiert. N a c h dem evolutionsprozess- und chaosphysikalisch gestützten Exodus aus dem 2%Regime des KAPITALISMUS wird über diese blamable Tatsache noch viel geredet werden. So viel Blamage war selten.