Atommülllager Asse: Der Berg bewegt sich bedrohlich
Niemand weiß genau, welche Gefahren in dem Atommülllager lauern. Die Nachbarschächte soffen schon früher ab, in Asse II droht akute Einsturzgefahr.
Kalte Luft zieht durch den Schacht, als der alte Förderkorb mit zehn Metern pro Sekunde in die Tiefe rauscht. Irgendwo schrillt eine Glocke, das wacklige Gefährt bremst ab, dann öffnet sich die schwere Gittertür, und die Besucher stolpern in eine unterirdische Halle. Wuchtige Wände aus Salzgestein schimmern im Neonlicht. Ein gewaltiges Gebläse saugt gurgelnd Luft an. Hinter einem Glasfenster kauert als Skulptur die heilige Barbara, Schutzpatronin der Bergleute. Es ist 31 Grad warm, wir sind 490 Meter unter der Erde im Bergwerk Asse.
Seit das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) zu Jahresbeginn die Regie in dem maroden Atommülllager übernommen hat, müssen Beschäftigte wie Besucher neben Helm, Grubenlicht und Rettungsausrüstung auch Dosimeter tragen - chipkartenkleine Geräte, die eine mögliche persönliche Strahlenaufnahme messen und aufzeichnen. "Die Asse", sagt BfS-Sprecher Florian Emrich, "ist jetzt ein atomares Endlager."
Das Grubenfahrzeug hält über der Kammer 8a, in der die knapp 1.300 Fässer mit mittelradioaktiven Abfällen liegen. Ein Kran hatte die vor allem mit Strahlenmüll aus den Kernforschungszentren Jülich und Karlsruhe gefüllten 200-Liter-Tonnen in dem Hohlraum versenkt. Rund zehn Jahre lang wurde ihr Zustand mit Videokameras und über ein Bleiglasfenster überwacht, dann versiegelten Bergleute den Zugang. Ob die Fässer noch heil sind, kann Emrich nicht sagen. "Derzeit weiß niemand, wie es da drinnen aussieht."
Während der vorherige Betreiber, das Helmholtz-Zentrum in München, die in der Asse lauernden Gefahren leugnete oder abtat, benennt das BfS die Risiken - und räumt ein, dass manches noch gar nicht bekannt ist. Derzeit sichtet die Behörde einen Wust unvollständiger Akten des Helmholtz-Zentrums, um sich einen Überblick über das eingelagerte Inventar zu verschaffen.
Klar ist inzwischen, dass nicht nur schwach- und mittelradioaktiver Atommüll aus AKWs, Forschungszentren und der Industrie in der Asse liegt. Das Bergwerk diente auch als Deponie für Arsen, Quecksilber und verseuchte Tierkadaver. Die Bundeswehr benutzte das Bergwerk außerdem als Müllkippe, neben einer Kammer mit Atommüll lagerte bis vor wenigen Wochen noch Sprengstoff. Zuletzt sorgten Meldungen für Unruhe, dass entgegen allen Beteuerungen auch hochradioaktiver Müll in die Asse gebracht worden sein könnte - auch wenn das Bundesamt für Strahlenschutz dafür nach wie vor keine Hinweise hat.
Wie viel Plutonium unter Tage liegt, weiß niemand genau, die Angaben schwanken zwischen 9 und 28 Kilogramm. "Der Zahlen-Wirrwarr muss aufgelöst werden", verlangt Niedersachsens Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel. Bei einem extrem giftigen Stoff wie Plutonium, der eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren hat und sich auch zum Bau von Atomwaffen eignet, seien derart schwankende Mengenangaben nicht zu tolerieren.
Der Grubenjeep kurvt weiter in die Tiefe, feiner Salzstaub dringt in Augen und Ohren. Männer in weißer Bergmannskluft werkeln an Maschinen herum oder kontrollieren Messgeräte. Alle rund 250 Beschäftigten wurden vom BfS übernommen und in eine Asse-GmbH überführt. Krebserkrankungen ehemaliger Mitarbeiter würden sehr ernst genommen, versichert Emrich. Welche Kollegen in der Vergangenheit mit kontaminierten Laugen oder sogar mit Atommüll in Kontakt kamen, untersucht der neue Betreiber derzeit. Die Ergebnisse des sogenannten Gesundheitsmonitorings sollen Ende 2010 vorliegen.
532 Meter. Neben der Strecke, halb zugedeckt vom Staub, steht ein riesiges Blasrohr - es wirkt wie eine nach dem Gefecht zurückgelassene Haubitze. Damit wurden vom früheren Betreiber bis 2004 mehr als 2 Millionen Tonnen Salzgrus in die Kammern gepustet. Doch längst ist die feinkörnige Füllung zusammengesackt, an den Decken sind große Spalten entstanden. Das Bundesamt für Strahlenschutz plant, die Spalten und Hohlräume zur Stabilisierung mit einem Spezialbeton zu verfüllen.
Eine große, mit Planen abgedeckte Wanne, ein leises Plätschern: Auf der 658-Meter-Sohle werden salzhaltige Lösungen aufgefangen, die seit Jahrzehnten aus dem umgebenden Gebirge in die Asse sickern. Rund zwölfeinhalb Kubikmeter sind es jeden Tag. Vor der Einlagerungskammer 12 hat sich außerdem ein sogenannter Sumpf aus radioaktiv kontaminierter Salzlösung gebildet. Überraschend kommt das alles nicht - die Nachbarschächte Asse I und III des früheren Salzbergwerks soffen schon vor Jahrzehnten ab. Trotzdem ging Asse II 1967 als angebliches Versuchsendlager in Betrieb.
Neben den Laugenzuflüssen löst akute Einsturzgefahr beim BfS große Besorgnis aus. Während des Salzabbaus entstanden in der Asse zahlreiche Hohlräume. An einigen Stellen reichen die Kammern bis auf fünf Meter an das Nebengebirge heran, auch die Abstände zwischen den Kammern betragen teilweise nur wenige Meter. Die natürliche Bewegung des Gebirges drückt die Abbaukammern weiter zusammen. So sind Klüfte entstanden, mehrere Zwischendecken sind bereits eingebrochen. "Man hätte hier keine radioaktiven Abfälle einlagern dürfen", bilanziert BfS-Sprecher Emrich, während der Förderkorb wieder nach oben rauscht. Das Dosimeter zeigt 0,000 Millisievert an.
Neben dem Umweltausschuss (siehe Spalte) befasst sich auch ein Untersuchungsausschuss des Landtags mit den Pleiten und Pannen in der Asse. Alle fünf im Parlament vertretenen Parteien versichern, es gehe ihnen ausschließlich um Aufklärung. Das ist es dann aber auch schon mit der Gemeinsamkeit, denn in allen konkreten Fragen gibt es heftigen Streit. So haben die Mehrheitsfraktionen CDU und FDP durchgesetzt, dass die Asse-Geschichte im Untersuchungsausschuss chronologisch aufgearbeitet wird. Vergeblich hatten SPD, Grüne und Linke darauf gedrängt, dass zunächst geklärt wird, welche Stoffe überhaupt in der Asse lagern. Zudem lehnten CDU und FDP es ab, bereits jetzt ehemalige und gegenwärtige Landes- und Bundesminister vor den Untersuchungsausschuss zu zitieren, die politisch Verantwortung für die Asse trugen. Auch die Bundeskanzlerin sollte aus Sicht der Opposition gehört werden. Sie hätte wohl zur Wahrheitsfindung beitragen können. Die frühere Bundesumweltministerin war nach Angaben von Greenpeace bereits vor 13 Jahren über eine mögliche radioaktive Verseuchung des Trinkwassers durch das Atommülllager Asse informiert.
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