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AtommüllLandwirte gegen Zwischenlager

Aus Angst vor dem Castor-Zwischenlager vor ihrer Haustür ziehen zwei Landwirte aus der Wesermarsch vor das Lüneburger Oberverwaltungsgericht. Heute entscheidet sich, ob das Lager stillgelegt werden muss.

Haben Angst vor einem Zwischenfall: Hinrich Brader (l.) und Tanno Tantzen, die gegen die Aufbewahrung von Atombrennstoffen im Zwischenlager Unterweser klagen. : dpa

Die Behälter könnten durchrosten. Oder undicht werden. Der Strom könnte ausfallen, und damit alle Überwachungssysteme. Die Weser könnte über die Ufer treten und die Deiche durchbrechen. Das Atomkraftwerk nebenan könnte in die Luft fliegen. Oder ein Flugzeug könnte abstürzen - versehentlich oder mit Absicht, als Terroranschlag.

In der Akte, mit der die Landwirte Hinrich Brader und Tanno Tantzen gegen die Bundesrepublik Deutschland klagen, heißen all diese Szenarien "Geschehensverläufe". Vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg wollen Brader und Tantzen die Betriebsgenehmigung des Zwischenlagers auf dem Gelände des Kernkraftwerks Unterweser kippen. Gelingt dies, muss das Kraftwerk möglicherweise stillgelegt werden. Jährlich speist es zehn Milliarden Kilowattstunden Energie ins Netz ein - genug, um Hamburgs Haushalte dreieinhalb Jahre lang mit Strom zu versorgen.

Brader und Tantzen sind Milchviehhalter aus Rodenkirchen, einem Ort mit 4.000 Einwohnern im Landkreis Wesermarsch. Der eine ist Biobauer, der andere nicht. Der Hof des einen liegt drei Kilometer vom Zwischenlager des Kraftwerks Unterweser entfernt, der des anderen nur eineinhalb. Kommt es - egal ob im Kraftwerk oder im Zwischenlager - zu einem Störfall, wäre von einem Tag auf den anderen beider Existenz vernichtet, argumentiert Anwalt Ulrich Wollenteit. Keine Molkerei würde mehr Milch von den Höfen ankaufen, die Kühe aber bräuchten trotzdem Futter.

Am 22. September 2003 hat das Bundesamt für Strahlenschutz (BFS) das Zwischenlager genehmigt: 80 Castor-Behälter mit bestrahlten Brennelementen dürfen auf dem Gelände des Kraftwerks Unterweser lagern, bis zu 40 Jahre lang. Jeder Castor ist sechs Meter hoch, hat einen Durchmesser von knapp drei Metern und wiegt beladen 121 Tonnen, so viel wie drei durchschnittliche Lastzüge. Vier Jahre nach der Genehmigung ging das Zwischenlager in Betrieb.

Das Problem aus Sicht der Kläger: Das Lager sei keine autarke Anlage, sondern mit dem Kraftwerk verbunden - jeder Störfall wirke sich so gleich doppelt aus. Und: Im Lager gebe es keine so genannte heiße Zelle, in der defekte Castorbehälter verhältnismäßig ungefährlich repariert werden können - die Castoren werden im Kraftwerk befüllt und dann unter freiem Himmel zum Lager gebracht. Kaputte Behälter müssten diesen Weg rückwärts passieren. Hinter diesen Argumenten steckt natürlich etwas anderes: Angst. Um ihre Existenz und ihre Gesundheit. Vor einem Oberverwaltungsgericht jedoch zählt Angst allein wenig.

Um gegen den Staat - vertreten vom BFS - bestehen zu können, müssen sich die beiden auf Bedrohungsszenarien berufen, die im Genehmigungsverfahren übersehen oder nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Zum Beispiel Flugzeugabstürze: Bislang ist nach Argumentation der Kläger nur ein Absturz von Militärflugzeugen einkalkuliert - der Luftraum über dem Kraftwerk ist Tieffluggebiet der Bundeswehr. Abstürzende Zivilflugzeuge kämen nicht vor, obwohl die Flughäfen Bremen und Bremerhaven sowie der Jade-Weser-Airport keine 50 Kilometer entfernt liegen. Zwar ist der Luftraum über dem Kraftwerk als Flugverbotszone deklariert. Aber: "Abstürzende Flugzeuge halten sich nicht daran", sagt Anwalt Wollenteit.

Die Argumentation des Bundesamts für Strahlenschutz lautete zunächst: Die beiden Bauern seien nicht klageberechtigt, da Einzelpersonen in Deutschland keinen Anspruch auf besonderen Schutz genießen. Nachdem ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts diese Begründung kassierte, heißt es jetzt aus den Reihen der Behörde: Kein Grund zur Besorgnis. Das Zwischenlager sei – im besten Sinne – bombensicher und halte Flutwellen ebenso Stand wie einem Absturz einer vollbetankten Passagiermaschine, einschließlich des folgenden mehrstündigen Kerosinbrands.

Aus Sicht des Betreibers Eon Kraftwerk GmbH gibt ein Kernkraftwerk ohnehin kein attraktives Anschlagsziel ab, mangels hinreichendem Symbolwert. Wenn, dann mache ein Fußballstadion doch viel mehr her.

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