: Atommüll versinkt im Regen
Erörterungstermin für weltgrößtes atomares Zwischenlager in Lubmin bei Greifswald: Einwender frieren im Zelt auf einem Acker ■ Aus Lubmin Hermann-Josef Tenhagen
Der Erörterungstermin für das geplante Atommüllzwischenlager in Lubmin an der Ostsee ging gestern im strömendem Regen unter. Strittig ist noch, auf welcher Seite Petrus eingegriffen hat. Diejenigen der 15.000 Einwender, die den Weg aufs platte Land geschafft hatten, mußten ohne Heizung bei knapp 10 Grad in einem 400- Mann-Zelt frieren. Und die Versammlungsleitung vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) konnte sich akustisch nur schwer gegen den prasselnden Regen und das Getöse von Hubschraubern am stillgelegten AKW Greifswald durchsetzen. Nach knapp einer Stunde unterbrach der Leiter des Erörterungstermins, Professor Wilhelm Collin vom BfS, die Veranstaltung. Zuvor hatten einige der Einwender im Zelt ein sportliches Aufwärmen begonnen, um einer Erkältung vorzubeugen.
In Lubmin bei Greifswald hat die Zwischenlager Nord (ZLN) GmbH, eine bundeseigenen Firma, ein gigantisches Atommülllager gebaut. Laut Antrag soll darin Atommüll aus den fünf neuen Ländern für die kommenden vierzig Jahre untergebracht werden. Die Kapazität der Betonhallen ist aber so groß, daß nebem dem Atommüll vom Abriß der AKW in Greifswald/Lubmin und Rheinsberg eine Menge Platz wäre für westdeutschen Atommüll.
Westmüll im Osten ist rechtlich kaum zu stoppen
So war es auch ursprünglich mal geplant. Im Herbst 1991 hatten Vertreter des Bundes und des Landes Mecklenburg-Vorpommern mit den Spitzen der westdeutschen Stromkonzerne zusammengesessen, um über ein mögliches Atommüllzwischenlager in Lubmin zu beraten. Die Stromwirtschaft war bereit, die Anlage zu finanzieren, machte aber zur Bedingung, daß dort auch westdeutscher Müll eingelagert werden könnte.
Der Bund und die Landesregierung in Schwerin wollten eine solche Möglichkeit nicht ausschließen, machten aber auf mögliche Akzeptanzprobleme aufmerksam. Die waren in der Folge so groß, daß Landesregierung und Parlament in Schwerin und die CDU- Landesvorsitzende und Bundesumweltministerin Angela Merkel seither mehrfach beteuerten, keinen Westmüll dort haben zu wollen. Juristisch wasserdicht ist dieser gute Wille, wie auch Merkel einräumt, aber nicht.
Doch zu der zentralen Frage, wozu denn dieses große Lager notwendig sei, kamen die frierenden Einwender und Beamten im Zelt gestern mittag gar nicht. Anwalt Wolfgang Baumann, der die Bürgerinitiative Greifswald in dem Verfahren vertritt, nahm zunächst das „Verhinderungschaos“ bei der Anhörung aufs Korn. „Sie haben die Situation, daß dieser Ort mit öffentlichen Verkehrsmitteln praktisch nicht zu erreichen ist.“ Fünfmal am Tag fahre ein Zug und selbst der sei wegen angeblicher Bauarbeiten noch ausgefallen.
Außerdem betrage die Temperatur im Zelt „maximal 10 Grad, nach den geltenden Vorschriften ist eine Mindesttemperatur von 18 Grad vorgeschrieben. Der Erörterungstermin kann so nicht stattfinden.“ Unter diesen Umständen sei der Rechtsschutz der Einwender nicht mehr gewährleistet. Hilflos beteuerte Versammlungsleiter Collin den Frierenden, das Zelt sei vom BfS mit Heizung gemietet worden. Die Heizgeräte seien mit einem Lkw von Greifswald unterwegs und in spätestens zwanzig Minuten da. Im Zelt waren zu diesem Zeitpunkt keine Heizer zu sehen.
Das Fernsehen darf nur zeitweilig zusehen
Keineswegs ausgefallen ist ein Atomtransport mit leicht radioaktiovem Müll ins Endlager Morsleben. Gezogen von zwei Dieselloks gingen gestern fünf Großcontainer auf die Reise. Manfred Meurer, Sprecher der Energiewerke Nord: „Wir haben eine Regelung mit der Deutschen Bahn AG. Die baut in Intervallen. Dazwischen gehen unsere Transporte raus.“
Hilflos waren Collins Reaktion auf die Forderung der Einwender, das Fernsehen beim ganzen möglicherweise 200 Stunden dauernden Erörterungstermin zuzulassen. Die Erörterung sei generell nicht öffentlich und er könne sich nicht vorstellen, daß das Fernsehen so lange dabeibleiben solle. Deswegen habe er entschieden, daß das Fernsehen im Gegensatz zu Rundfunk und Zeitungen nur zeitweise dabeisein dürfe. Im Vergleich zu Collin und dem BfS war die Deutsche Bahn AG an diesem Morgen geradezu flexiblel. Sie beschaffte in Greifswald innerhalb einer halben Stunde einen zweiten Schienenersatzbus, um zahlreiche Einwender nach Lubmin zu fahren. Collin hätte wohl besser eine Offerte der Stadt Greifswald angenommen: Die hatte für die Erörterung eine Diskothek angeboten. Temperatur und Akustik wären dort mit Sicherheit besser gewesen.
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