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Atommüll-Transport auf dem NeckarEntchen gegen Castorschiff

Auf dem Neckar wird Atommüll verschifft. Aktivisten konnten den Transport kurz unterbrechen: indem sie sich von einer Brücke abseilten.

Wurden von der Polizei runtergeholt: kletternde Anti-AKW-Aktivisten Foto: dpa

Göttingen taz | Mit einem Großaufgebot hat die Polizei am Mittwoch den ersten Castortransport auf einem Fluss gesichert. Sie konnte aber nicht verhindern, dass Umweltschützer mit einer Kletteraktion die Fahrt des Atommüllschiffes für rund eine Stunde unterbrachen. Der aus einem Transportschiff und einem Schubboot bestehende Transportverband war in der Nacht in Obrigheim mit drei Castorbehältern aus dem stillgelegten Atomkraftwerk beladen worden und um kurz nach 6 Uhr gestartet. Für die 50 Kilometer lange Strecke nach Neckar­westheim, wo die Castoren im dortigen Zwischenlager geparkt werden sollen, hatten der AKW-Betreiber Energie Baden-Württemberg (EnBW) und das Umweltministerium des Landes 12 Stunden Fahrzeit kalkuliert.

Nach dem Ablegen fuhr der Konvoi zunächst neckarabwärts zur etwa zehn Kilometer entfernten Schleuse Guttenheim und wendete dort. „Riskante Experimente auf dem Wasser“, kritisierte die Umweltschutzorganisation Robin Wood per Twitter. Zunächst verlief der Transport aber störungsfrei, zu einer Protestdemo in Heilbronn versammelten sich lediglich etwa 60 Atomkraftgegner.

Die Polizei hatte ein Bade- und Schwimmverbot sowie ein Überflugverbot für den betroffenen Flussabschnitt verfügt und den übrigen Schiffsverkehr gestoppt. „Wer Gegenstände ins Wasser wirft, begeht eine Ordnungswidrigkeit“, twitterten die Beamten – Aktivisten hatten zuvor angekündigt, die Castorflotte auch mit zu Wasser gelassenen Plastik- und Gummienten zu stören. Der gelbe Vogel mit Augenklappe, Piratenflagge und Anti-AKW-Sonne ist das Symbol der CastorgegnerInnen in der Region.

„Der riesige Aufwand der Polizei widerlegt alle Beteuerungen, das Schiff wäre ausreichend gegen Terrorattacken gesichert“, schimpfte Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation „ausgestrahlt“ am Morgen. „Wenn dem so wäre, dann würde es völlig ausreichen, ein paar Beamte abzustellen.“

Nicht verhindern konnte die Polizei die Kletterei von Robin Wood: Die vier Aktivisten spannten über dem Neckar ein Transparent mit der Aufschrift „Vermeiden statt verschieben“. Weitere Mitglieder der Umweltorganisation demonstrierten am Ufer. Unter der Brücke patrouillierten Polizeiboote, auch auf der Brücke und am Ufer waren Sicherheitskräfte zu sehen. Spezialkräften gelang es, die Kletterer loszumachen und in ein Polizeiboot abzuseilen. Wenig später passierte der Castortransport die Brücke.

Überflüssige Verschiebeaktion?

Die Proteste gingen auch am Nachmittag weiter. An einem Wehr im Heilbronner Stadtteil Horkeim seilten sich erneut zwei Atomkraftgegner ab. „Das Höheninterventionsteam ist dabei, die Kletterer zu sichern“, hieß es in einem Polizeitweet um 14.30 Uhr. „Ein Beruf so interessant wie das Leben!“

Die Demonstranten kritisieren das Verschieben der Castoren als völlig überflüssig. Die Behälter seien am Zielort noch schlechter untergebracht als in einem neuen Zwischenlager in Obrigheim. Das Zwischenlager in Neckarwestheim befinde sich in zwei Tunnelröhren in einem ehemaligen Steinbruch, so Julian Smaluhn von Robin Wood. Durch das Eindringen und Abpumpen von Grundwasser entstünden dort immer wieder Hohlräume, beim Einsturz eines Stollens könnten die Behälter beschädigt und radioaktive Strahlung freigesetzt werden.

Die Grünen hatten zu Protesten aufgerufen. Am Mittag informierte sich Landesumweltminister Franz Untersteller (Grüne) an der Schleuse Bad Friedrichshall-Kochendorf über den Fortgang des Transports. „Wir haben Messtrupps an der gesamten Strecke und ich habe mir die Werte auch noch mal angeschaut“, sagte er.

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1 Kommentar

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  • un jetzt wie die Prozesse gegen Castorgegner*innen am AG Heilbronn laufe: Wer seine Grundrechte verteidigt, fliegt raus

     

    Heilbronn. Am heutigen Mittwoch, den 11.04.2018 wurde in einem kafkaesken Prozess ein Urteil gesprochen, dessen Willkür kaum zu überbieten ist. In einem Verfahren gegen eine Umweltaktivistin, die an Protestaktionen gegen die Castor-Transporte von Obrigheim nach Neckarwestheim teilnahm, wurden die grundrechtlich geschützten Rechte von Beschuldigten vor Gericht von Richter Michael Reißer eklatant missachtet. Es war der Aktivistin nicht möglich, sich zu verteidigen. Nachdem sie und die Zuschauer*innen mehrmals aus dem Gerichtssaal entfernt wurden, führte der Richter den Prozess ohne die Beschuldigte fort und verurteilte sie schließlich am Ende zu Geldbußen.

     

    Bereits am Morgen fand eine Mahnwache von Atomkraftgegner*innen vor dem Amtsgericht Heilbronn statt. Während unten am Boden Sprüche gegen Atomkraft gezeigt wurden, spannten Kletter*innen zwischen zwei Bäumen ein Banner gegen Atomtransporte. Die Situation vor dem Gericht war entspannt.

     

    Im Gerichtssaal verhielt sich die Situation jedoch völlig anders. Wie im Folgenden dargestellt, wurden die gesetzlichen Bestimmungen zur Führung eines Gerichtsprozesses (Strafprozessordnung, kurz StPO), in der u.a. die Rechte von Beschuldigten festgehalten sind, schlichtweg ignoriert.

     

    Die Atomkraftgegnerin musste sich vor Gericht völlig alleine verteidigen. Auf ihren mündlichen Antrag auf Zulassung eines Verteidigers entgegnete der Richter: „Sie bekommen in dieser Verhandlung keinen Verteidiger“. Ihren schriftlichen begründeten Antrag nahm der Richter erst recht nicht entgegen. Dies steht in Gegensatz zu § 137 StPO (Strafprozessordnung):

     

    „Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen.“

     

    Außerdem wurden vom Richter Zeugen geladen, ohne dies der Beschuldigten vorher bekannt zu geben.

    Weiter lesen: https://www.neckar-castorfrei.de/informiert-sein/pressemitteilung