: Atomkraftwerk Brokdorf liegt still
SPD-Landesregierung nimmt Atommeiler nach erstem Brennelementewechsel vorläufig nicht wieder in Betrieb / Vier verlorengegangene Teile liegen vermutlich am Grund des Druckbehälters / TÜV Norddeutschland empfahl dennoch die Wiederinbetriebnahme ■ Aus Kiel Jörg Feldner
Die schleswig-holsteinische SPD-Landesregierung hat gestern nachmittag auf Empfehlung von Energieminister Günter Jansen beschlossen, das AKW Brokdorf nach dem ersten Brennelementewechsel vorerst nicht wieder in Betrieb gehen zu lassen. Zur Begründung seiner Entscheidung sagte Jansen, aus einem Gutachten des TÜV Norddeutschland gehe hervor, daß beim Brennelementewechsel ein sogenannter Zentrierstift, der die Brennstäbe korrekt ausrichtet, gebrochen sei. Daraufhin hatte der Minister verlangt, daß alle 360 Zentrierstifte der 180 Brennelemente des Reaktors auf Bruchstellen untersucht werden müßten. Zu seiner Überraschung habe er erfahren müssen, so Jansen weiter, daß in Brokdorf weder ein geeignetes Gerät zum Ausbau der Stifte noch ein Verfahren zur Ultraschallprüfung des Materials vorhanden sei.
Ferner seien beim Wechsel 18 der Brennelemente beschädigt worden. Im einzelnen habe es an den fünf Meter langen Brennstäben Schleifspuren und Abbrüche gegeben. Für entscheidend hielt der Minister, daß drei Ecken von sogenannten Abstandhaltern und eine Feder verlorengegangen seien und nicht mehr aufgefunden wurden. Jansen zitierte aus einem Gutachten des TÜV-Norddeutschland, wonach die vier Teile vermutlich im Druckbehälter liegen. In dem Gutachten heißt es dazu: „Nicht völlig ausschließen können wir, daß es zu vereinzelten Beschädigungen an Brennelementen“ kommen könne, wenn die Teile nach dem Wiederanfahren des Reaktors durch Wasserdruck in Bewegung geraten sollten.
Die schleswig-holsteinische Regierung hat ihre Entscheidung der Betreibergesellschaft PreussenElektra und dem als Fachaufsicht zuständigen Bundesreaktorminister Töpfer zugeleitet.
In Kiel wird damit gerechnet, daß sich die PreussenElektra als Betreiberin des Atommeilers mit der Entscheidung der Landesregierung nicht abfinden wird. Vermutlich wird der Stromkonzern Reaktorminister Töpfer auffordern, die Kieler Landesregierung mit einer Bundesweisung zur Korrektur ihrer Entscheidung zu zwingen.
Brokdorf hatte am 3.Oktober als erstes Atomkraftwerk der BRD nach Tschernobyl die Betriebsgenehmigung erhalten. Die Grünen hatten die Landesregierung bereits am 20.Juli aufgefordert, den Brennelementewechsel zu nutzen, um Brokdorf außer Betrieb zu lassen.
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