Atomausstieg mit kleinem Puffer: Regierung will bis 2021 raus
Union und FDP haben den Ausstieg vollzogen und halten sogar die Brennelementesteuer aufrecht. Das Ausstiegsdatum ist beinahe fix: Einen kleinen "Sicherheitspuffer" soll es aber geben.
BERLIN dpa/reuters/taz | Nach der Entscheidung der Regierungskoalition über einen Atomausstieg beraten am Montag in Berlin die Parteien über den Ausstieg aus der Atomkraft. Der Großteil der Meiler soll nach dem Willen der Bundesregierung schon bis 2021 vom Netz.
Falls es Probleme bei der Energiewende geben sollte, will die Koalition die letzten drei Meiler jedoch erst ein Jahr später abgeschalten. Diese Anlagen werden als "Sicherheitspuffer" angesehen. Das vereinbarten die Spitzen von Union und FDP in der Nacht zum Montag im Kanzleramt. Definitiv stillgelegt werden sollen Isar I, Neckarwestheim I, Biblis A, Brunsbüttel, Unterweser und Krümmel. Reststrommengenübertragungen von alten auf neue Meiler sollen weiter möglich sein.
Im Jahr 2018 soll überprüft werden, ob bis 2021 ein kompletter Ausstieg möglich ist – oder ob man einen Puffer bis 2022 braucht. Die Regelung entspreche insgesamt einer Restlaufzeit von 32 Jahren, gezählt ab dem Jahr 2000, als der rot-grüne "Atomkonsens" geschlossen wurde. "Aber definitiv: Das späteste Ende für die letzten drei Atomkraftwerke ist dann 2022", betonte Umweltminister Norbert Röttgen am Sonntagabend. Außerdem bestätigte er, dass die umstrittene Brennelementesteuer nicht abgeschafft wird.
Im Rahmen des jetzt beschlossenen Ausstiegs werden die sieben ältesten Atommeiler und das AKW Krümmel stillgelegt. Damit folgt die Koalition den Empfehlungen ihrer Ethikkommission. Die sieben Alt-AKW waren Mitte März nach der Katastrophe von Fukushima aus Sicherheitsgründen mit dem Atom-Moratorium abgeschaltet worden.
Ein Akw im Stand-by
Eines dieser Kraftwerke soll allerdings bis 2013 in einer Art "Stand By"-Funktion gehalten werden, um bei Stromengpässen reagieren zu können. Welcher Meiler das ist, entscheidet die Bundesnetzagentur. Sie hatte errechnet, dass gerade im Süden Deutschlands im Winter bei zu wenig Solar- und Importstrom bis zu 2000 Megawatt fehlen könnten. Infrage kommen dem Vernehmen nach Philipsburg I oder Biblis B. Stillgelegt werden sollen Isar I, Neckarwestheim I, Biblis A, Brunsbüttel, Unterweser und Krümmel. Reststrommengenübertragungen von alten auf neue Meiler sollen weiter möglich sein.
Ausdrücklich betonte Röttgen, dass der Prozess "unumkehrbar" sei. "Es wird keine Revisionsklausel geben", sagte der CDU-Politiker mit Blick auf entsprechende Kritik der Opposition. Vorgesehen ist nun, dass ein Monitoringprozess die Fortschritte bei dem angestrebten Umstieg auf Erneuerbare Energien kontrollieren soll. Geprüft werden Bezahlbarkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit. Das Statistische Bundesamt, die Bundesnetzagentur, das Bundesumweltamt und das Bundeskartellamt sollen gemeinsam den Prozess überwachen und einen jährlichen Bericht vorlegen. Das Wirtschaftsministerium wird zudem regelmäßig über Fortschritte beim Netzausbau berichten, das Umweltministerium über den Ausbau der Erneuerbaren Energien.
Die Bundeskanzlerin will nach Möglichkeit SPD und Grüne beim Atomausstieg mit einbinden. Noch am Sonntagabend führte sie daher Gespräche mit den Parteispitzen der Opposition. Gabriel erklärte, seine Partei sei zu einem Konsens bereit – aber zu klaren Bedingungen. Viele Fragen seien noch offen. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin zeigte sich skeptisch: "Die Hintertüren sind noch nicht zu". Die Beschlüsse beinhalteten "in einem bisher nicht überprüfbaren Maß die Möglichkeit, Strommengen von einem Atomkraftwerk aufs andere zu übertragen und auf diese Weise Verlängerungen einzubauen".
Wenig hilfreich dürfte auch sein, dass Umwelt- und Energieexperten der Koalition die Solarförderung weiter beschneiden wollen. Das erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters aus Koalitionskreisen.
Konsens zwischen Regierung und Opposition?
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast erklärte, bislang handele es sich nur um "ein Zurück zum Status Quo". Zwar hatte auch Rot-Grün den Atomausstieg bis 2022 vorgesehen. "Es ist zwischendurch aber viel passiert – auch in der technischen Entwicklung." Eine Beschleunigung nach Fukushima vermisse sie.
Zugleich machte Künast deutlich, dass es noch kein Nein zu dem Konsensangebot gibt. "Wir positionieren uns heute noch nicht." Weitere Details und die Länder-Gespräche am Freitag müssten abgewartet werden. Wenn die Grünen das Angebot nicht von vorneherein als unzureichend bewerten, wollen sie einen Sonderparteitag debattieren und entscheiden lassen.
Der frühere Umweltminister und heutige SPD-Chef Sigmar Gabriel kritisierte die Idee, ein Akw als "Stand-by"-Reserve zu behalten. Er kenne kein Atomkraftwerk, dass man als Kaltreserve fahren könne. "Das sind Vorstellungen, die mit der technischen Wirklichkeit wenig zu tun haben", sagte Gabriel nach einem Gespräch am Sonntagabend mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
Greenpeace fordert Ausstieg in vier Jahren
"2022 ist für Greenpeace absolut inakzeptabel", erklärte Tobias Münchmeyer, Energieexperte bei Greenpeace. "Ein Ausstieg bis 2022 ist nicht der 'schnellstmögliche' den sie versprochen hatte, sondern ein unverantwortlich langsamer Ausstieg." Nach Ansicht der Umweltschutzorganisation wäre eine Atomausstieg bereits in vier Jahren technisch und versorgungssicher möglich. "Merkel hat ihr Wort gebrochen und nichts aus Fukushima gelernt", sagte Münchmeyer.
Unzufrieden auch die Atomkraftgegner im Wendland: "Der Atomausstieg stottert. Das ist keine energiepolitische Zäsur", erklärte die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg am Montag. So würde weitere elf Jahre Atommüll produziert. Ein Bündnis aus Umwelt- und Anti-Atom-Initiativen fordere eine Grundgesetzänderung. "Damit wird dem Wunsch der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung Rechnung getragen. Diese möchte, dass Atomkraftwerke sofort und unumkehrbar stillgelegt werden", erklärten die Initiatoren. "Schwarz-Gelb tritt mit dem Festhalten an Gorleben auf der Stelle", erklärte BI-Sprecher Wolfgang Ehmke.
Der Regierungsplan für einen Ausstieg bis 2021/2022 liegt auf der Linie der Empfehlung der Ethikkommission zur Atomenergie, die nach der GAU von Fukushima von Merkel eingesetzt worden war. Die Kommissionsvorsitzenden, der frühere Umweltminister Klaus Töpfer und der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Matthias Kleiner, übergeben am Morgen der Kanzlerin ihren Abschlussbericht. Die Kommission empfiehlt einen Atomausstieg bis spätestens 2021. Am Montagabend gibt es eine öffentliche Diskussion über den Bericht. Am Nachmittag beraten die Bundestagsfraktionen in Sondersitzungen über die Ausstiegspläne der Koalition und einen möglichen Konsens.
Brennelementesteuer bleibt
An der mit dem schwarz-gelben Sparpaket beschlossenen und zu Jahresanfang eingeführten Steuer auf Brennelemente hält die Koalition fest. Sie war beschlossen für den Zeitraum bis 2016 und hätte unter den damaligen Bedingungen dem Bund jährlich 2,3 Milliarden Euro eingebracht. Werden aber wie jetzt beschlossen acht Kernkraftwerke vorzeitig abgeschaltet, verringern sich die Einnahmen auf etwa 1,3 Milliarden Euro pro Jahr.
In der Koalition war zeitweise eine Abschaffung geprüft worden, damit die Konzerne mehr Geld für Investitionen in Ökostrom-Projekte hätten. Allerdings hatte die Opposition scharf protestiert, dass ein Wegfall der Steuer eine Art neuer "Deal" mit den Atomkonzernen Eon, RWE, EnBW und Vattenfall gewesen wäre.
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