Atomar verstrahltes Südsee-Paradis: Bikini-Atoll als Weltkulturerbe
Das Bikini-Atoll im Pazifik soll jetzt zum Weltkulturerbe erklärt werden, hat die Regierung der Marshallinseln beantragt. Bis 1958 führten die USA dort 23 Atombombentests durch.
Atomtests auf dem Bikini-Atoll haben das Schicksal der Menschen von Bikini geprägt, das der Menschen der Marshallinseln sowie das der gesamten Welt." Dies ist der Schlüsselsatz aus einem 86-seitigen Begründungsschreiben der Regierung der Marshallinseln, das jetzt der Weltkulturorganisation Unesco in Paris geschickt werden soll - mit dem Ziel, das atomverseuchte Pazifik-Atoll in die Liste des Weltkulturerbes aufzunehmen.
Ein Kriterium im Anerkennungsverfahren ist, dass der historische Ort eine wichtige Bedeutung über nationale Grenzen hinaus hat. Zwischen 1946 und 1958 rüsteten sich die USA mit 23 Atombombentests im zu den Marshallinseln gehörenden Bikini-Atoll für den Ernstfall im Kalten Krieg. Den ersten Test dort fand ein französischer Modedesigner so explosiv für die Welt, dass er die von ihm ähnlich bahnbrechend eingeschätzte Kreation eines zweiteiligen Badeanzugs für Frauen Bikini nannte.
Leidtragende der Tests waren die Ureinwohner des erst 1824 "entdeckten" und dann bis 1914 zum deutschen Kolonialreich als Eschscholtz-Inseln gehörenden Atolls. 1946 wurden die damals 200 mikronesischen Einwohner evakuiert, um Platz für die Atomtests zu machen. 1974 durften die ersten Bewohner wieder zurückkehren, sie mussten aber 1978 das Atoll wegen starker Gesundheitsprobleme aufgrund der atomaren Verstrahlung wieder verlassen.
"Die Bikinianer glauben, dass sie wirklich zum Wohlergehen der Menschheit beitrugen, weil die Atomexplosionen über ganz Bikini stattfanden statt woanders in der Welt", sagte Jack Niedenthal, ein Sprecher der rund 4.000 Nachkommen der Bikinianer. Die einst 23 Inseln des Atolls von 594 Quadratkilometer Gesamtfläche, davon einer Landfläche von nur 6 Quadratkilometern, haben heute keine dauerhaften Bewohner. Ohnehin wurden drei der Inseln bei den Atomtests völlig zerstört. Dennoch reisen immer wieder Menschen zum Atoll, neben Wissenschaftlern vor allem Touristen, die in den Lagunen nach Wracks tauchen. Wegen der Verstrahlung des Gebiets müssen sie ihre Lebensmittel mitbringen und können sich dort nur begrenzt aufhalten.
Der Versuch, das Atoll zum Weltkulturerbe erklären zu lassen, soll zweifellos auch den Tourismus ankurbeln. Es geht aber auch darum, überhaupt eine Stätte aus dem Nordpazifik zum bisher als eurozentristisch empfundenen offiziellen Weltkulturerbe zu erklären und zugleich auf die dunklen Seiten der Geschichte des 20. Jahrhunderts hinzuweisen. Schließlich zählen bereits das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau in Polen und der Friedensdom im japanischen Hirosshima zum offiziellen kulturellen Erbe der Menschheit.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin