Asylverfahren beim Bamf: Einer hört zu, einer entscheidet
Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sollten Anhörer und Entscheider in der Regel identisch sein. Derzeit ist das die Ausnahme.
Darin wird bestätigt, dass in weit über 80 Prozent der Fälle, die im dritten Quartal 2016 entschieden wurden, Anhörer und Entscheider nicht die gleiche Person waren. Denn bei den Entscheidungen, die in den sogenannten Entscheidungszentren gefällt werden, bestehe „zwingend eine Trennung von Anhörer und Entscheider“.
Zwar räumt das Innenministerium ein, dass die „Dienstanweisung Asyl“, nach der die Identität von Anhörer und Entscheider grundsätzlich anzustreben ist, weiter bestehe. „Eine Rückkehr zur Einheit von Anhörer und Entscheider wird angestrebt, sobald es die Zahl der zu bearbeitenden Asylanträge wieder zulässt“, heißt es aber in der Antwort.
Menschenrechtsverbände wie Pro Asyl kritisieren, dass die wilde Einstellung und fehlende Einarbeitung des Personals zu sehr vielen Fehlern bei Anhörung und Asylentscheidungen geführt hätten. Auch die Linken-Politikerin Ulla Jelpke sieht das so. „Die systematische Trennung von Anhörung und Entscheidung führt zu Fehlentscheidungen, der unmittelbare persönliche Eindruck, der im Asylverfahren so wichtig ist, geht dabei verloren“, sagte sie der taz. „Beim Asylrecht geht es um Grundrechte, da darf nicht das Motto ‚Schnelligkeit vor Gründlichkeit‘ gelten.“
Fehlerhafte Asylentscheidungen zögen ein Mehr an gerichtlichen Überprüfungsverfahren nach sich. Außerdem gebe es bessere Möglichkeiten, die Asylverfahren zu beschleunigen: etwa durch eine Altfallregelung für bereits lang andauernde Verfahren.
Die neue Bamf-Chefin Jutta Cordt ist sich des Problems offenbar bewusst und will diese Entwicklung wieder zurückdrehen. Wie hoch derzeit der Anteil der Verfahren ist, in der Anhörer und Entscheider identisch sind, und wie viele der Entscheidungen noch in den Entscheidungszentren getroffen werden, konnte das Bamf aber nicht bis Redaktionsschluss beantworten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr