Astronaut Neil Armstrong ist tot: Ein Mann der kleinen Schritte
Neil Armstrong war erst Kampfpilot und später der erste Mensch auf dem Mond. Er glaubte an die Erzählung vom friedlichen Aufbruch der Menschheit ins All.
Das berührendste Foto von der Mondlandung zeigt keinen Mond, kaum Technik, nur das Gesicht von Neil Armstrong, nachdem er in die Mondfähre zurückgekehrt ist und den Helm abgenommen hat. Eine verschwitzte Strähne hängt ihm in die Stirn, und knapp lächelt er an der Kamera seines Kollegen Buzz Aldrin vorbei. In seinen Augen stehen Tränen. Ein menschlicheres Gesicht sollte die bemannte Raumfahrt nicht mehr zeigen als an diesem 20. Juli 1969.
Dabei war Armstrong, bevor diese Aufnahme entstand, erst knapp dem Tod entronnen, als er den auf einen Crash in felsigem Gebiet zusteuernden Autopiloten abschaltete und die „Eagle“ per Hand im ebenen „Meer der Ruhe“ (Mare Tranquillitatis) landete. Wegen dieses Manövers war der Treibstoff der Fähre so knapp geworden, dass um ein Haar der Start und Rückflug zum Mutterschiff gescheitert wäre.
Für diesen Fall hatte Präsident Nixon bereits eine Trauerrede in der Schublade: „Das Schicksal hat es bestimmt, dass die Männer, die zum Mond flogen, um dort in Frieden zu forschen, auf dem Mond bleiben werden, um dort in Frieden zu ruhen“. Stattdessen konnten weltweit 500 Millionen Menschen am Fernsehen den Triumph einer 380.000 Kilometer langen Reise bestaunen, den die USA in wohlfeiler Bescheidenheit als betont friedlichen Triumph der ganzen Menschheit ausgaben.
1959: Der UdSSR gelingt mit der Mondsonde „Lunik 3“ die erste Mondumrundung und damit das erste Foto der Mondrückseite.
1966: Die sowjetische Sonde „Luna 9“ landet als erster irdischer Körper weich auf dem Mond.
1967: Rückschlag für das US-Mondprogramm: Bei einem Bodentest bricht in einer "Apollo"-Kommandokapsel ein Feuer aus. Drei Astronauten sterben.
Juli 1969: Erfolg der amerikanischen Mission „Apollo 11“. Die Mondlandefähre „Eagle“ landet erfolgreich und Neil Armstrong betritt als erster Mensch den Mond.
1972: Nach fünf weiteren erfolgreichen Mondmissionen beendet die US-Raumfahrtbehörde Nasa das Mondprogramm. Der Wettlauf mit den Sowjets ist gewonnen.
70er Jahre: Die ersten Verschwörungstheorien zur Mondlandung kommen auf. Die Behauptung: Die Mondlandungen seien von der Nasa und der US-Regierung vorgetäuscht worden.
Ende der 90er Jahre: Auch China, Indien und Japan beginnen mit der Entwicklung eigener Mondsonden.
2020: Bis dahin wollen US-Astronauten mit einem neuen Raumfahrzeug zum Mond zurückkehren und eine ständige Basis bauen.
Diese Betonung war wichtig, weil damit das offene Geheimnis unterschlagen werden konnte, dass die Raumfahrtprogramme von USA und Sowjetunion im Grunde nur die fröhliche Kehrseite des Kalten Kriegs waren. Während ihre seriösen Schwestern in ihren unterirdischen Silos still auf den Ernstfall warteten, durften die „Saturn“-Trägerraketen publikumswirksam ins All abheben. Auch in den USA war man sich der delikaten Tatsache durchaus bewusst, dass die Expertise für ballistische Abenteuer von Wernher von Braun beigesteuert wurde, der zuvor Adolf Hitler mit seinen V-Waffen große Hoffnungen gemacht hatte – freilich nur aus Begeisterung für die Raumfahrt.
Wie ein roter Faden zieht sich diese Dichotomie auch durch das Leben von Neil Armstrong. Aufgewachsen im ländlichen Ohio, erwarb er schon mit 17 Jahren seinen Flugschein. 1949 bildete ihn die Navy zum Kampfpiloten aus, bis 1952 folgten Einsätze im Koreakrieg. Danach machte er Karriere als Testpilot und flog unter anderem die X-15, mit der Geschwindigkeiten von bis zu 7.000 Stundenkilometern und eine Flughöhe von 100 Kilometern erreicht werden konnte.
1962 wechselte er in die kurz zuvor gegründete Weltraumbehörde Nasa, deren Ziel es war, den Vorsprung der UdSSR bei der bemannten Raumfahrt einzuholen. Nachdem die Sowjets 1961 mit Juri Gagarin den ersten Menschen auf eine Umlaufbahn um die Erde geschickt hatten, dekretierte US-Präsident Kennedy, die USA müssten „bis 1970“ den ersten Menschen auf den Mond bringen.
„Tollkühne Männer in ihren fliegenden Kisten“
Ideologisch verankert war das „New Frontier“-Programm im Mythos von der Grenze, die immer wieder zu überschreiten jedes Amerikaners heilige Pflicht sei. Im Anspielung auf die westliche Besiedlungsgrenze der USA an der Pazifikküste verkündete Kennedy in seiner Antrittsrede als US-Präsident: „Wir stehen heute an einer neuen Grenze […]. Jenseits dieser Grenze liegen unerforschte Gebiete der Wissenschaft und des Weltalls, ungelöste Probleme von Frieden und Krieg, ungelöste Probleme von Ignoranz und Vorurteil, unbeantwortete Fragen nach Armut und Überfluss.“ Neil Armstrong gehörte zu den „tollkühnen Männern in ihren fliegenden Kisten“, die sich zur Überwindung aeronautischer Grenzen anschickten – und damit selbst Teil des amerikanischen Mythos werden sollten.
Als Armstrong nur 66 Jahre nach dem ersten Flug der Gebrüder Wright seinen Fuß auf den Mond setzte, führte er in einem Beutelchen mit persönlichen Dingen auch einen Holzsplitter vom Propeller und einen Stofffetzen vom Flügel der „Kitty Hawk“ mit sich. In Interviews berichtete er immer wieder, wie heiß es auf dem Mond gewesen sei und wie zerbrechlich die Erdkugel im Dunkel des Weltalls schwebte. Auch sein berühmter Satz, das sei „ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein riesiger Sprung für die Menschheit“, verriet eine dem Anlass angemessene Sentimentalität.
Auch nach seiner Rückkehr vom Mond und seinem Ausscheiden aus der Nasa blieb Armstrong der Raumfahrt verpflichtet. Von 1971 bis 1979 lehrte er Raumfahrttechnik an der Universität von Cincinnati, bevor er in den Achtzigerjahren in die Wirtschaft wechselte und verschiedene Aufsichtsratsposten übernahm. Die Gründung eigener Unternehmen machte ihn zu einem wohlhabenden Mann, unter anderem war er als Direktor für den Hersteller des Feststoff-Booster für das Space Shuttle tätig.
Als legendärer Experte war er an der Aufklärung sowohl der „Challenger“- als auch der „Columbia“-Katastrophe beteiligt. Neil Armstrong selbst glaubte bis ins hohe Alter fest an die Erzählung vom friedlichen Aufbruch der Menschheit ins All. Noch 2009 erklärte er bei einem Vortrag: „Es war der ultimative friedliche Wettbewerb: USA gegen UdSSR. Ich will nicht behaupten, dass es eine Ablenkung war, der einen Krieg verhindert hat, obwohl es tatsächlich eine Ablenkung war. Es erlaubte beiden Seiten, den richtigen Weg zu beschreiten, mit Wissenschaft und Lernen und Erkundung als Ziel.“
Als unter Präsident Obama erstmals verschiedene Raumfahrtprogramme aus Kostengründen gestrichen wurden, ergriff der bescheidene Armstrong 2010 ein letztes Mal das Wort für die „nationale Sache“. Gemeinsam mit anderen „Apollo“-Astronauten bezeichnete er in einem offenen Brief den Verzicht auf bemannte Mond- oder gar Marsflüge als „verheerende“ Fehlentscheidung. Amerika werde „in die Mittelmäßigkeit abrutschen“ und die Jugend der Motivation beraubt, zu tun, „was niemals zuvor getan wurde“. Er klang wie der Botschafter einer Zukunft, die längst vergangen ist. Tragisch und romantisch.
Am Samstag ist der Mann im Mond an den Folgen einer Herzoperation gestorben. Er wurde 82 Jahre alt.
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