■ Astrid Albrecht-Heide ist Professorin für Sozialisationsforschung an der Technischen Universität von Berlin, Erziehungswissenschaftlerin, Friedensforscherin, Expertin für Frauen im Militär und leidenschaftliche Kritikerin der „Dominanzkultur des weißen Mannes“: Das Militär als Mega- Männlichkeitsmaschine
Mit ihr sprach Ute Scheub
taz: Ich bin verwirrt: Erleben wir derzeit eine Remilitarisierung oder eine Pazifizierung? Die Bundesrepublik ist drittgrößter Waffenexporteur der Welt, die Nato wird als Dienstleistungsmulti mit Spezialgebiet Intervention ausgebaut. Gleichzeitig gab es noch nie so viele Kriegsdienstverweigerer wie heute.
Astrid Albrecht-Heide: Es stimmt beides, und noch ist nicht ausgemacht, was die größere kulturelle Kraft hat. Zum ersten Mal seit langer Zeit hat die Mehrheit einer Generation das Schießen nicht gelernt. Um so heftiger muß die Bundeswehr demonstrieren, daß sie noch nötig ist, und das tut sie, in Antwort auf die pazifistische Stimmung, indem sie sich international vorgeblich für Befriedungen engagiert. Aber statt fragwürdige Einsätze etwa in Somalia oder in Exjugoslawien zu fahren, sollte sie besser die UNO stützen und ihr mehr Handlungsspielraum verschaffen.
Die FDP will die Bundeswehr für Frauen öffnen. Sie haben in einem Aufsatz dagegengehalten, Soldatinnen seien „Kollaborateurinnen im härtesten Sinne“.
In den USA oder auch in Großbritannien rechnen sich Frauen, die sich zu Soldatinnen ausbilden lassen, keine Chancen auf dem zivilen Arbeitsmarkt aus, weil sie aus Familien kommen, in denen ein Studium nicht drin ist. Wenn sie sich für mehrere Jahre beim Militär verpflichten, können sie eine Ausbildung bekommen, mit der sie später als Lehrerin arbeiten können. Ich werfe diesen Frauen also nicht vor, daß sie militaristisch sind. Mit dem Wort „Kollaborateurinnen“ will ich vielmehr auf das Militär als Mega-Männlichkeitsmaschine verweisen. Wenn Frauen zum Militär gehen, können sie auch nur Teil dieser Männlichkeitsmaschine werden. Das ist Travestie. Die Maschine verändert sich dadurch nicht, nur die Frauen, im Sinne einer gigantischen Selbstenteignung. Das kann und muß man aber auch für die Männer sagen: Sie werden Teil einer Maschine und müssen ihre Subjektivität und Individualität opfern. Die Angst vor Verweiblichung hält den Betrieb am Laufen, weiblich codierte Tätigkeiten wie Putzen und Bettenmachen, die zum Soldatenalltag gehören, halten diese Verweiblichungsangst wach.
Auch Rita Grieshaber, Bundestagsabgeordnete der Bündnisgrünen, hat gefordert, Frauen müßten Soldatinnen werden dürfen.
Meine Position ist das nicht, aber ich kenne einige Frauen, die so argumentieren. Wir haben es im neuzeitlichen Nationalstaat mit zwei Gewaltmonopolen zu tun. Nach außen wirkt das Militär, nach innen Polizei und Justiz. Beide sind von ihrer Struktur männlich. Man könnte also fordern: Verweiblicht es, damit sich gewalthaltige Strukturen langsam auflösen und zivile Konfliktlösungen entwickeln. Ich stelle dagegen: Es gibt dem Militär einen Legitimationsschub, wenn Frauen reingehen. Frauen sind zwar nicht das friedlichere Geschlecht, aber sie sind ein innergesellschaftlicher Merkposten, um die Notwendigkeit herkömmlicher Gewaltmonopole in Frage zu stellen.
Sie haben mal geschrieben, Männer seien grundsätzlich konfliktunfähig.
Der weiße bürgerliche Mann ist konfliktunfähig. Aber ich meine damit die Konstrukte, nicht die realen Individuen. Das Konstrukt, an dem sich jeder Mann abarbeiten muß, ist der starke, durchsetzungsfähige Herrscher. Das Konstrukt, an dem sich jede Frau abarbeiten muß, ist die harmonisierende Beziehungsarbeiterin, die die Konflikte unter den Teppich kehrt. Und damit stärkt die konfliktunfähige Frau den konfliktunfähigen Mann.
Friedensfrauen stärken Kriegsmänner?
Es war eine narzißtische Einbildung von Frauen, zu glauben, Frauen seien das friedliche Geschlecht. Hier möchte ich Audre Lorde folgen: Wenn es uns nicht gelingt, diese dualistische Geschlechterhierarchie aufzubrechen, diesen Heterosexismus, ihn zu unterschiedlichen Lebensverhältnissen zu vervielfältigen, dann landen wir wieder in den projektiven Aufspaltungen. Männer müßten sich also vom Männlichkeitskonstrukt und Frauen vom Weiblichkeitskonstrukt verabschieden. Aber das ist ein langes kulturelles und herrschaftskritisches Projekt. Carol Hagemann-White beschreibt das Geschlechterverhältnis so: Die Summe aller Männer und aller Frauen ergibt eine kulturelle Spanne von sehr männlich bis zu sehr weiblich. Dazwischen gibt es Tausende verschiedener Facetten. Je mehr man davon ausleben kann, desto freier ist die Gesellschaft. Wenn man alle real existierenden Frauen mit allen real existierenden Männern vergleicht, würde es mehr Übereinstimmung zwischen Männern und Frauen geben als innerhalb der Geschlechter.
Erleben wir derzeit einen Backlash? Es scheint so, als ob Frauen überall gesellschaftlich zurückgedrängt werden.
Der Backlash trifft am sichtbarsten die Frauen, aber nur deswegen am sichtbarsten, weil sie es in unserer westlichen Kultur schon ein Stück weit vorangebracht haben. Noch viel stärker sind die weniger Sichtbaren, sozial Deklassierte und Schwarze, betroffen, also alle, die hier nicht zu den Vorherrschenden gehören, zu den weißen bürgerlichen Männern.
Ingrid Kurz-Scherf behauptet, wir würden vielleicht sogar die Agonie des Patriarchats erleben, weil den Frauen ihre Erwerbsneigung nicht mehr auszutreiben sei.
Es ist richtig, daß den Frauen, vor allem denen aus der DDR, die Erwerbstätigkeit nicht mehr auszureden ist. Nur: Wer trägt denn die Kosten? Im Zweifelsfall handelt es sich um einen Verteilungskampf zwischen weißen Frauen und weißen Männern des Bürgertums. Die polnischen oder chinesischen oder lateinamerikanischen Akademikerinnen arbeiten hier als Dienstmädchen und machen den weißen Frauen den beruflichen Aufstieg möglich. Wenn es darum geht, Lebenszeit, Arbeitszeit, Familienzeit neu zu verteilen, dann müßten alle gesellschaftlichen Gruppen miteinbezogen werden.
Passen sich die Frauen bei ihrem Marsch durch das Patriarchat immer mehr den männlichen Normen an?
Die großen Konzerne haben längst begriffen, daß weiblich codierte Eigenschaften wie Integrationsfähigkeit und Einfühlungsvermögen unerläßlich sind für die Menschenführung. Oft stellen sie aber keine Frauen ein, sondern trainieren ihren Managern „weibliche“ Sozialkompetenz an. Frauen als Manager werden besonders in den USA sehr gefördert, in dem Land, das die Globalisierung am aggressivsten fördert.
Es gibt keine Garantie dafür, daß Frauen – oder auch andere Deklassierte – es besser machen. Eigener Leidensdruck ist in beide Richtungen offen: Er kann herrschaftlich-unterdrückerisch ausgelebt werden oder auch teilhaberisch-egalitär.
Gibt es diese Dialektik auch bei der Dominanzkultur? Der weiße Mann scheint sich inzwischen mit seinen eigenen Waffen außer Gefecht zu setzen. Der kommende kapitalistische Kontinent ist nicht mehr Europa oder Amerika, sondern Asien, die Heimat der gelben Männer.
Ich habe schon den Eindruck, daß dieses System eine selbstzerstörerische Tendenz in sich trägt. Aber die Dominanzkultur trägt in sich Widersprüche, die man nutzen kann, um diese zerstörerische Dynamik umzukehren. Ich vermute, daß wir bei der Mehrheit der Akteure in der Dominanzkultur Menschen mit multiplen Identitäten haben, die vom klassischen Subjektverständnis des bürgerlichen Menschen abweichen und so notwendige Perspektivenwechsel aufweichend ermöglichen.
Sie schlagen vor, den weißen bürgerlichen Mann zu schwächen, indem man die weiße Frau oder den dunkelhäutigen Mann stärkt?
Jein. Es geht ums Beieinanderhalten der Täter- und Opferanteile. Die Täteranteile kann man auch anders als aggressiv ausleben, nämlich gestalterisch. Und die Opferrolle kann man auch anders als jammernd ausleben, nämlich in Empathie für andere Opfer. Das wären auflösende Strukturen statt herrschaftlicher Aktionsformen.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen? Wo löst sich die Dominanzkultur auf?
Das wäre schön, wenn sich die Dominanzkultur einfach auflöste. Aber das wäre leider bloß verantwortungslose Phantasie. Wir könnten dann in Ruhe zugucken oder – und das hatten wir schon in der Geschichte – gar die zerstörerischen Kräfte unterstützen, in der Hoffnung, diese rascher zum Kollaps zu bringen. Wir leben ja nicht nur in der Zeit einer Globalisierung. Sie wird begleitet und vorangetrieben von Neoliberalismus, in dem nahezu ausschließlich wieder auf Marktmechanismen gesetzt wird. Soziale Abfederungen geraten zunehmend aus dem Blick. Soziale Standards müssen sich keinerlei Systemvergleich mehr stellen und werden zu reinen Kostenfaktoren. Wenn wir der Dominanzkultur Auflösendes im Sinne von Menschlichkeit entgegensetzen wollen, geht es um viele „kleine Unterschiede“. Oppositionsparteien etwa müssen sich regierungsfähig machen, im Sinne von fürsorge-, friedens- und konfliktfähig, nicht herrschaftsfähig. Menschliche Bedürftigkeiten müssen politikfähiger werden. Wen die zunehmende Härte der Dominanzkultur erscheckt, der und die hat genug zu tun, diesem durch Vernetzung und handelnden Widerspruch mit Beharrlichkeit etwas entgegenzusetzen, und zwar im Rückgriff auf das Wissen, daß wir alle nichtmarktfähige Anteile haben.
Gibt es eigentlich einen historisch begründeten spezifisch deutschen Opferkult, um nicht zu sagen eine Opferlust?
In der Frauenbewegung ist das zum Glück langsam vom Tisch. Aber ich bin ziemlich sicher, daß es solch einen deutschen Opferkult gibt. In der Aufarbeitung unserer Nazi-Vergangenheit fällt der elaborierte Opferdiskurs auf und der zögerliche, völlig unterentwickelte Täterdiskurs. Letztes Beispiel: das Holocaust-Mahnmal. Da geht viel Identifikation mit den Opfern ein, von Menschen, denen das nicht unbedingt zusteht.
Es geht aber darum, die Spannung zwischen dem Opfer- und dem Täterpol aufrechtzuerhalten. Wobei man ermutigend auf die gestalterischen Seiten der Täterschaft verweisen kann. Tätersein ist nicht nur schuldbesetzt, sondern heißt auch, sich aktiv mit der Umwelt auseinanderzusetzen – von zerstörerisch bis kreativ. Tätersein schließt ein, bereit zu sein, Verantwortung zu übernehmen.
Wie kann man Ambivalenz aushalten lernen und Opfer-Rhetorik vermeiden?
In der Technischen Universität Berlin haben wir ein Treibhaus dieser Auseinandersetzungen zwischen Männern und Frauen, weißen Frauen und schwarzen Frauen, bürgerlichen Frauen und Arbeitertöchtern. Ich habe schon manchmal mit schmerzverzerrtem Gesicht den Raum verlassen – ich wurde als weiße Frau kritisiert, die die Rechte von schwarzen Frauen beschneidet. Ich brauche zwei Orte: den Ort, wo ich den Tritt gegen das Schienbein kriege, und den Ort, wo ich hinterher mit anderen zusammensitzen und darüber reden kann. Das gilt auch für die anderen Gruppen. Wir alle brauchen einen Ort für die Irritation und einen Ort für die Bearbeitung der Irritation.
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