Arzt über Ebola in Westafrika: „Personal, Autos, Sprit und Mut“
Der Kampf gegen Ebola wäre zu gewinnen – aber es fehlt an Unterstützung für die Helfer, sagt Maximilian Gertler von Ärzte ohne Grenzen.
taz: Herr Gertler, Sie waren in der Stadt Guéckédou im Süden Guineas im Einsatz gegen Ebola. Wie groß war Ihre Angst, sich anzustecken?
Maximilian Gertler: Angst müssen vor allem die Menschen haben, die dort leben, die unwissend sind und mit plötzlichen Todesfällen in ihrem Dorf oder in der eigenen Familie konfrontiert sind. Wir kennen die Infektionswege und wir haben bei vielen Ausbrüchen der Vergangenheit wertvolle Erfahrungen gesammelt.
Wie wichtig ist die internationale Hilfe durch Ärzte, Experten der WHO und Epidemiologen wie Ihnen?
Diese Epidemie ist vor allem deshalb so groß geworden, weil die ersten Reaktionen viel zu zögerlich waren. Es hätte von Anfang an stärkere internationale Anstrengungen gebraucht. Bis heute haben die Gesundheitsbehörden vor Ort, vor allem in Liberia und Sierra Leone, lange nicht die Unterstützung, die sie brauchen.
Wie sieht denn der Abwehrkampf gegen Ebola im Alltag aus?
Die Vertreter der lokalen Gesundheitsbehörden müssen in die Dörfer fahren, wo die Ebola-Fälle auftreten. Sie müssen die Kontaktpersonen der Kranken aufspüren und sie in die Behandlungszentren bringen. Das ist ganz banal, aber das Wichtigste.
Das Ebola-Virus gehört zu den gefährlichsten Krankheitserregern der Welt. Es löst mit Blutungen einhergehendes Fieber aus. Die Inkubationszeit beträgt nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zwei Tage bis drei Wochen. Erst setzen Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen ein. Später gehen Nieren- und Leberfunktion zurück und es können schwere innere Blutungen auftreten. Es gibt fünf unterschiedliche Virus-Arten. Da die ersten Symptome sich nicht von denen anderer Tropenseuchen unterscheiden, kommt die Diagnose oft zu spät.
Es gibt keinen Impfstoff und kein Heilmittel gegen Ebola. Laut WHO sterben durchschnittlich rund 60 Prozent der Erkrankten. Wer lange genug am Leben bleibt, bis das Immunsystem Antikörper entwickelt, kann überleben.
Der Flughund ist der natürliche Träger des Virus. Auf Menschen und Tiere übertragen wird es durch Bisse und andere direkte Kontakte mit Körperflüssigkeiten.
Der jetzige Ebola-Ausbruch in Westafrika ist der schwerste der Geschichte. Zwischen dem ersten bestätigten Auftreten im März und dem 1. August starben laut WHO insgesamt 887 Menschen, davon in Guinea 358, in Sierra Leone 273 und in Liberia 255. Hinzu kommt ein Todesfall in Nigeria. Laut einer neuen Bilanz vom 6. August ist die Zahl der Todesopfer mittlerweile auf 932 gestiegen. (dj)
Was ist die Aufgabe der internationalen Helfer?
In vielen Städten Guineas, Liberias und Sierra Leones haben wir Behandlungszentren eingerichtet, wo die Kranken versorgt werden und gleichzeitig isoliert sind von ihren Familien und anderen Dorfbewohnern, damit sie niemanden anstecken. Das ist die medizinische Seite. Die epidemiologische Seite ist der Kampf gegen eine weitere Ausbreitung. Die Aufklärung. Und die Helfer müssen täglich in die Dörfer gehen, um sich einen Überblick zu verschaffen.
39, Internist und seit 2006 bei Ärzte ohne Grenzen (MSF) aktiv, war seit März in Guinea, um die Ebola-Epidemie zu bekämpfen.
In einigen Dörfern werden internationale Helfer laut „New York Times“ mit einem Steinhagel empfangen …
Es gibt Dörfer, die den Helfern den Zutritt verweigern – aus Angst, dass sie die Krankheit bringen. Mit den weißen Autos der Mediziner verbinden viele das Unheil. Außerdem fürchtet man sich vor der Stigmatisierung, wenn die Krankheit ausbricht. Betroffene Dörfer werden gemieden, da geht man nicht mehr auf den Markt.
Wie gut sind Menschen in Westafrika über Ebola informiert?
Das Bildungsniveau ist niedrig. Die Biologie eines Virus zu erklären, das ist schon mühevoll. Die lokalen Helfer, die die Sprache der Dorfbewohner sprechen, versuchen es trotzdem. Die Dorfbewohner haben teilweise ganz andere Erklärungen für die Epidemie. In einem Dorf hatte ich einen Ebolafall, den die Bewohner vertuschen wollten, bis ich immer mehr Gräber entdeckt habe. Schuld an allem war nach Ansicht der Dorfbewohner eine Frau, die in der Stadt gelebt hat und dann mit einem unehelichen Kind zurück ins Dorf kam. Ebola als große Strafe.
Stimmt es, dass viele Kranke von ihren Angehörigen versteckt werden, bis sie die ganze Familie angesteckt haben?
Dieses Phänomen haben wir manchmal tatsächlich beobachtet. Wir haben das Problem, dass die meisten Patienten in den Behandlungszentren sterben, weil es keine wirksamen Medikamente gegen Ebola gibt. Die Zentren werden deshalb von vielen als Sterbelager empfunden, da will niemand hin.
Manche Insassen sind von ihren Familienangehörigen mit Gewalt befreit worden?
Wir hatten bisher keinen solchen Fall. Aber wir nehmen auch niemanden gegen seinen Willen mit.
Wie überzeugen Sie die Kranken oder verdächtige Kontaktpersonen, freiwillig mit Ihnen mitzukommen?
Wichtig ist, lokale Kräfte einzubinden. Und man muss die traditionellen Kommunikationswege beachten, also zuerst mit den Dorfältesten reden. Eine große Hilfe sind Überlebende, die in den Behandlungszentren waren und davongekommen sind. Sie sind wichtige Multiplikatoren.
Aktuell sind nach offiziellen Zahlen so viele Personen an Ebola erkrankt und gestorben wie noch nie – der schlimmste Ausbruch in der Medizingeschichte. Wann hat die Epidemie eigentlich begonnen?
Nach unseren Informationen schon im Dezember beziehungsweise im Januar. Die offizielle Bestätigung des Ebola-Ausbruchs kam erst am 20. März. Das waren viele verlorene Wochen und Monate, in denen sich das Virus ausgebreitet hat. Außerdem hat die Epidemie ihren Charakter verändert. Wir kennen Ebola-Ausbrüche in dünn besiedelten, abgelegenen Regionen. Jetzt wütet das Virus in stärker besiedelten Gebieten mit höherer Mobilität. Ich habe zuletzt mit einer Patientin gesprochen, die von Monrovia, der Hauptstadt Liberias, zu uns gereist war – das dauert mit dem Bus 30 Stunden.
Kann Westafrika das Virus in absehbarer Zeit überhaupt stoppen?
Die Situation ist schrecklich, vor allem in Liberia und Sierra Leone. Es fehlen die Voraussetzungen und die Mittel, um diesen Kampf zu gewinnen. Wenn die Anstrengungen erhöht werden, dann wird man es irgendwann auch schaffen, die Epidemie einzudämmen, aber es wäre unseriös, eine Prognose zu wagen.
Woran fehlt es vor allem?
Es fehlt an Geld und an ausgebildetem Personal. Das betroffene Gebiet ist sehr groß, wir brauchen dringend mehr Helfer und Spezialisten, es braucht Autos, Sprit und sehr viel Mut. Andererseits könnte man diese Krankheit gut beherrschen, es wäre im Prinzip nicht so schwierig. Nur in den Behandlungszentren ist die Arbeit wirklich eine Herausforderung. Daneben brauchen wir Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung – und müssen Kontaktpersonen in den Dörfern aufspüren.
Wie sieht der Infektionsalltag in den betroffenen Gebieten aus?
Die Übertragung findet oft in den Familien statt, wo wir körperliche Nähe haben, Umarmungen und den Austausch von Körperflüssigkeit. Der Schweiß, der Speichel, das Blut, das alles ist bei den Schwerkranken mit Viren kontaminiert. Da reicht es, wenn die Kinder im Bett der kranken Mutter schlafen. Und natürlich sind die Beerdigungen ein hohes Risiko: Die Toten werden rituell gewaschen, teilweise mehrfach, und das ist hoch gefährlich, das müssen wir unterbinden, auch wenn es fast unmenschlich ist und tief in die Kultur eingreift. Wir haben jetzt Spezialteams für sichere Beerdigungen gebildet, die mit den Familien zusammen die Beerdigung abwickeln. Die Toten werden mit Chlorlösung desinfiziert und zwei Meter tief begraben.
Offenbar werden nicht alle Toten begraben. Ein Opfer wurde an Stricken aus dem Dorf geschleift und auf der Straße abgelegt …
Das habe ich gelesen und ich zweifle nicht an solchen Berichten. Man sollte das nicht verurteilen, die Ängste sind groß.
Epidemien mobilisieren irrationale Ängste und Diskriminierungen. Stimmt es, dass Krankenschwestern beim Einkaufen teilweise nicht bedient werden?
Das kann ich mir gut vorstellen. Ich habe erlebt, dass uns die Dorfältesten aufforderten, ihre Dörfer nicht mehr zu besuchen. Ärzte und Krankenschwestern leiden nicht nur daran, dass man ihnen aus dem Weg geht. Ihre Arbeit ist auch sehr gefährlich. Und sie müssen in den Schutzanzügen bei großer Hitze ungeheure körperliche Belastungen aushalten.
Zehn Prozent aller Opfer sind medizinisches Personal. Liegt das daran, dass die meisten Helfer das Tragen der Schutzkleidung nur etwa eine Stunde aushalten?
Das ist genau der Zeitraum, um den Einsatz erst mal zu beenden. Wir sind ja immer zu zweit in den Isolationsabteilungen, falls einer umkippt. Der hohe Anteil der Ansteckungen beim medizinischen Personal geht auf die Frühphase der Epidemie zurück, als noch zu wenig über den neuen Ausbruch bekannt war. Sonst ist die Schutzausrüstung mit Anzug, Brille und Handschuhen wirklich sicher.
In Liberia sind alle Schulen geschlossen, das Militär ist in Alarmbereitschaft. Wie beurteilen Sie die staatlichen Antworten der betroffenen Länder auf die Epidemie?
Es hat sich viel getan. Die Regierungen sind aufgerüttelt und zu wirklich harten Maßnahmen bereit. Ich fürchte aber, dass die Schließung von Grenzen und die Bewegungseinschränkungen in den betroffenen Gebieten nur zu Vertrauensverlusten und neuer Unruhe führen. Wichtiger wäre die Aufklärung, damit die Kranken in die Behandlungszentren gehen.
Wie sieht die Behandlung eigentlich aus? Wie kann es sein, dass bis zu 50 Prozent der Infizierten überleben, obwohl es keine Medikamente gegen Ebola gibt?
Es gibt keine Medikamente oder Impfstoffe, weil es sich für die Pharmaindustrie offenbar ökonomisch nicht rentiert, zu forschen und zu investieren. Ebola-Patienten sind keine lohnende Klientel. Wir verordnen Antibiotika, wenn es bakterielle Infektionen gibt. Wir geben Infusionen und Schmerzmittel und behandeln die Symptome, so gut es geht. Die psychosoziale Unterstützung ist wichtig. Die Kranken stehen unter enormem Druck, weil sie wissen, dass die meisten das Behandlungszentrum nicht lebend verlassen. Sie dürfen aber Kontakt zu den Angehörigen haben, dazu verteilen wir Mobiltelefone.
Die ersten Symptome von Ebola sind Fieber, Kopfschmerzen, allgemeine Schwächegefühle – wie bei einer banalen Sommergrippe …
Die Sommergrippe Guineas ist die Malaria und die beginnt tatsächlich mit den gleichen Symptomen. Da darf man sich nicht täuschen lassen und muss im Zweifel die schlimmere Krankheit annehmen. Wenn jemand tatsächlich nur eine Malaria hat, bekommt er von uns ein Zertifikat, dass er nicht an Ebola erkrankt ist. Das ist für die Betroffenen ungeheuer wichtig, damit sie nicht diskriminiert werden. An solche Dinge muss man eben auch denken.
Wann beginnt Ihr nächster Einsatz?
Ich weiß es noch nicht, aber es ist mir diesmal sehr schwer gefallen, nach Hause zu fahren. Aber für meine Frau und die Kinder ist die psychische Belastung noch größer als für mich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich